Interne Unterlagen

Angela Merkel bat Guttenberg um Argumentationshilfe zu Wirecard

Bundeskanzlerin Merkel hat sich stärker für das Skandal-Unternehmen Wirecard eingesetzt, als bislang bekannt. Laut internen Dokumenten, die abgeordnetenwatch.de vorliegen, bat die Kanzlerin den Wirecard-Lobbyisten und früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg für eine bevorstehende China-Reise um eine Argumentationshilfe zu dem Zahlungsdienstleister. Der Zeitpunkt ihrer Bitte ist brisant.

von Josephine Andreoli, 09.10.2020
wirecard gebäude zoom

In welchem Umfang hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für den inzwischen insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard eingesetzt? Das ist eine der vielen offenen Fragen, die ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss seit Donnerstag, 8. Oktober, im Bundestag aufklären soll. Interne Dokumente, die das Kanzleramt auf Antrag von abgeordnetenwatch.de nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) herausgeben musste, lassen Merkel nun in keinem guten Licht erscheinen. Denn die Kanzlerin ließ sich für ihre bevorstehende China-Reise im September 2019 ausgerechnet von einem Lobbyisten des Konzerns eine Argumentationshilfe ausarbeiten: Karl-Theodor zu Guttenberg.

So behauptet es zumindest der frühere Verteidigungsminister in einer Mail, die er am 3. September 2019 an den Abteilungsleiter für Wirtschaft-, Finanz- und Energiepolitik im Kanzleramt, Lars-Hendrik Röller, schrieb: „Ich hatte heute Nachmittag einen Termin bei meiner ehemaligen Chefin und wir sprachen mit Blick auf die anstehende Reise nach China u.a. kurz über das Dax-Unternehmen Wirecard.“ Man sei sich einig gewesen, „dass ein kurzer Hinweis im Rahmen des Besuches sehr hilfreich sein könnte. Die Frau Bundeskanzlerin bat mich, Ihnen noch einige Zeilen zukommen zu lassen, um die richtige Formulierung an der Hand zu haben.“  

Mail von Guttenberg an das Bundeskanzleramt vom 3.9.2019
Mail von Karl-Theodor zu Guttenberg an Lars-Hendrik Röller, Berater von Bundeskanzlerin Merkel: "... dass ein kurzer Hinweis sehr hilfreich sein könnte"

 

"Thema ist durch die Chefin angesprochen worden"

Guttenberg, der zum damaligen Zeitpunkt mit seiner Firma Spitzberg Partners als Berater für Wirecard tätig war, kam Merkels Bitte gern nach. Im Anhang seiner Mail: die erbetene Argumentationshilfe. Die Botschaft an die chinesischen Entscheidungsträger: Ein erfolgreicher Eintritt Wirecards als erstes ausländisches Unternehmen in den chinesischen Payment Markt sei „ein klares Signal und wichtiger Impulsgeber für die weitere Vertiefung der deutsch-chinesischen Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen“.

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Bereits einen Tag nach der Rückkehr der Kanzlerin aus China, am 8. September 2019, meldete Röller bei Guttenberg Vollzug: „Thema ist durch die Chefin angesprochen worden“, schrieb er an diesem Sonntagmorgen um 9.34 Uhr. „Bitte halten Sie mich auf dem Laufenden. Ich werde das auch weiter flankieren.“  

Mail von Merkel-Berater Lars-Hendrik Röller an Guttenberg: "Thema ist durch Chefin angesprochen worden"
Schreiben von Kanzler-Berater Röller an Karl-Theodor zu Guttenberg: "Thema ist durch die Chefin angesprochen worden."

Der Zeitpunkt des Vorgangs ist äußerst brisant. Denn die schwerwiegenden Manipulationsvorwürfe gegen Wirecard waren durch Recherchen der Financial Times bereits öffentlich bekannt. Dass man im Kanzleramt keine Zeitung liest, ist eher unwahrscheinlich. Zumal es bereits Anfang 2019 interne Bedenken zur Seriosität des Dax-Unternehmens gab. In einer Vorlage des Bundeskanzleramtes vom 10. Januar 2019, die FragdenStaat vorliegt, raten Merkels Fachleute von einem Treffen der Kanzlerin mit Wirecard-Chef Markus Braun ab. Ein Gespräch sei vor dem Hintergrund eines möglichen Verfahrens der Münchner Staatsanwaltschaft wegen Verbindungen zu illegalen Online-Kasinos "nicht ratsam". Gegenüber Wirecard führte das Kanzleramt "Termingründe" an.

Und trotzdem – die Kanzlerin setzte sich auf ihrer China-Reise am 6. und 7. September für das skandalträchtige Unternehmen ein, das dorthin expandieren wollte. Bei wem sich Merkel für Guttenbergs Klienten Wirecard in China starkmachte, hält das Kanzleramt geheim – dies sei eine „sensible Information“. Auch ob die Kanzlerin die Argumentationshilfe von Guttenberg tatsächlich nutzte, ließ das Kanzleramt auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de unbeantwortet.  

Karl-Theodor zu Guttenberg und Angela Merkel im Bundestag (2010)
Angela Merkel und Karl Theodor Guttenberg 2010 im Plenum des Deutschen Bundestages

Merkel war allerdings nicht die einzige, die Wirecard in China einen Gefallen tat – und auch hier hatte Guttenbergs Firma Spitzberg Partners ihre Finger im Spiel. Auf Antrag von abgeordnetenwatch.de gab das Bundesfinanzministerium (BMF) jetzt ein Schreiben heraus, in dem Guttenbergs Geschäftspartner Ulf Gartzke bereits im Juni 2019 um Unterstützung beim Markteintritt Wirecards in China bat. Auch in dieser Mail an den Staatssekretär Wolfgang Schmidt ist die Rede von einem „Dokument mit näheren Hintergrundinformationen zum geplanten Markteintritt von WD in China“. Und auch hier findet sich die Argumentation, die Guttenberg ans Kanzleramt schickte, in ähnlichem Wortlaut wieder. Gartzke hatte sich gar die Mühe gemacht, einen Briefentwurf ins Englische zu übersetzen, mit Platzhalter „Dear XYZ“. Das Ministerium müsste also nur noch den Namen des Ansprechpartners einfügen. 

Rätselraten um Blankoschreiben

Ob Staatssekretär Schmidt, ein enger Vertrauter von Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD), das Blankoschreiben wie gewünscht an die chinesischen Stellen weiterleitete, ist offen. Eine entsprechende Anfrage von abgeordnetenwatch.de ließ das BMF bis zum Erscheinen dieses Artikels unbeantwortet.

[SPIEGEL-Bericht über die Recherche: Interner Schriftverkehr belegt Lobbyarbeit - So ließ sich Merkel von Guttenberg für Wirecard einspannen]

Dass es im Juni 2019 einen schriftlichen Kontakt zwischen Schmidt und dem chinesischen Vize-Finanzminister Liao Min über das „Interesse von Wirecard am Markteintritt“ in China gab, hatte ein Sprecher des BMF dem Spiegel gegenüber kürzlich eingeräumt.

Zu den Lobbyvorgängen um Spitzberg Partners müssen sich Finanzminister Olaf Scholz und Angela Merkel demnächst vor dem Untersuchungsausschuss erklären.

Mitarbeit: Martin Reyher

Die Dokumente des Bundeskanzleramtes: 
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