Frage an Annette Schavan bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Annette Schavan
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Frage von Uwe B. •

Frage an Annette Schavan von Uwe B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Wann endlich können wir in freier Entscheidung über unsere Verfassung entscheiden?

Der Artikel 146 des im Jahre 1949 unter westalliierter Oberhoheit für die Bundesrepublik geschaffene Grundgesetzes lautete bis zum Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 31.8.1990 wie folgt:

»Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.«
Mit Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt Teil II vom 23.9.1990, Seite 885 ff, wurde dieser Artikel wie folgt geändert:

»Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.«

Da die Einheit und Freiheit Deutschlands aber eben noch nicht vollendet worden ist, wie die aufgezeigten fortgeltenden Souveränitätsbeschränkungen beweisen, ergeben sich a) die staatsrechtliche Frage, ob und ab wann es denn überhaupt gilt und b) die bleibende Aufforderung an das deutsche Volk, in freier Entscheidung eine Verfassung zu beschließen, die allein die letzte, in freier Entscheidung gegebene Reichsverfassung von 1919 ablösen könnte.

Nun wann bekommen wir den Ihrer Meinung nach ein Verfassung ?

Mit freundlichen Grüßen

Uwe Bitzenbauer

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Bitzenbauer,

vielen Dank für Ihre Frage vom 3. April 2010.

Das Grundgesetz ist die vollgültige Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Es wurde im Jahr 1949 bewusst nicht als eine durch Volksabstimmung zu beschließende Verfassung im klassischen Sinn geschaffen, sondern als eine provisorische Regelung der staatlichen Grundordnung bis zur angestrebten Wiedervereinigung Deutschlands.

Dementsprechend sah das Grundgesetz auch in der ursprünglichen Fassung von Artikel 146 vor, dass es seine Gültigkeit an dem Tag verliert, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die vom deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist. Inhaltlich enthielt und enthält das Grundgesetz aber sämtliche Merkmale einer Verfassung und hat sich als solche in nunmehr über 60 Jahren Staatspraxis bewährt, so dass verfassungsrechtlich auch keine Zweifel an der demokratischen Legitimation des Grundgesetzes als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland bestehen.

Zur Wiedervereinigung Deutschlands sah das Grundgesetz in seiner früheren Fassung zwei Wege vor - den Beitritt anderer Teile Deutschlands zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Artikel 23 in seiner alten Fassung sowie den Beschluss einer neuen Verfassung durch das deutsche Volk nach Artikel 146.

Im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 haben die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik beschlossen, die Wiederherstellung der staatlichen Einheit auf der Grundlage des Artikels 23 in der alten Fassung zu vollziehen. Diese Entscheidung haben die Parlamente beider deutscher Staaten mit Zweidrittelmehrheit bestätigt. In der nach dem Einigungsvertrag neu gefassten Präambel des Grundgesetzes wird klargestellt, dass mit der in freier Selbstbestimmung vollendeten Einheit und Freiheit Deutschlands das Grundgesetz für das gesamte deutsche Volk gilt.

Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, die im Jahr 1993 über mögliche weitere Verfassungsänderungen im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der staatlichen Einheit beraten sollte, hat auch die Frage eines Verfassungsreferendums auf der Grundlage des Artikels 146 diskutiert. Die Kommission hat sich dabei mehrheitlich dafür ausgesprochen, dass das Grundgesetz bereits jetzt uneingeschränkt demokratisch legitimiert sei. Die Beschlüsse der Volkskammer und des Bundestages sowie des Bundesrates hätten eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass das Grundgesetz die gesamtdeutsche Verfassung sei.

Der Artikel 146 des Grundgesetzes erlaubt den Erlass einer neuen Verfassung im Wege einer Volksabstimmung, begründet jedoch kein verfassungsbeschwerdefähiges Individualrecht. Auch eine Pflicht staatlicher Stellen zur Durchführung einer Volksabstimmung über eine neue Verfassung lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen.

Seien Sie herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt.

Ihre Annette Schavan