Frage an Birgit Wöllert bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Birgit Wöllert
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Frage von Günther L. •

Frage an Birgit Wöllert von Günther L. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Frau/Herr Abgeordnete(r),

Eventuell gibt es von Ihnen eine Antwort auf meine Frage. Im Folgenden Auszüge aus meinem Leserbrief an die Saarbrücker Zeitung vom 6. Jan 2015 — dieser Brief das Büro von Sahra Wagenknecht.

Sehr geehrte Frau Wagenknecht, sehr geehrter Herr Kohlhoff!

So dass ich Sie folgendes fragen möchte:

Sind die zwei folgenden Tatsachen sich nicht sehr ähnlich? oder wie verstehen Sie 1. den erstrebten Schuldenschnitt in Griechenland im Blick auf 2. den gehabten Schuldenschnitt durch Deutschland?

1. erstrebter Schnitt: Die Linken in Griechenland verlangen so wie die LINKE in Deutschland, einen Schuldenschnitt, d.h. wie Sie sagen: «mehr als zwei Drittel» der Schulden erlassen.
2. gehabter Schnitt: Die Linken in Griechenland verlangen die Rückzahlung der Zwangsanleihe in Höhe von 476 Millionen Reichsmark, die 1942 vom Deutschen Reich von Griechenland erpresst wurde (zuletzt von Joachim Gauk bei seinem Besuch im April 2014 in Griechenland abgelehnt). Alle Bundesregierungen der letzten 25 Jahre haben diese Forderung abgelehnt.

So auch am 06.02.2014 in der Drucksache 18/451 Deutscher Bundestag 18. Wahlperiode
Im Folgenden ein Auszug aus der Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der Fraktion DIE LINKE.

Das sagt die Bundesregierung zur Begründung dafür, dass sie ihre Schulden nicht zahlt!
Haben Sie das so akzeptiert, können sie das nachvollziehen, ist das juristisch wasserdicht? Ich höre daraus nur: «…ist diese formal ohne Weiteres als Reparationsforderung zu klassifizieren» — Ja das macht Deutschland so: ohne Weiteres klassifizieren!

Italien, das wie die Deutschen Griechenland besetzt hatte und auch eine Zwangsanleihe von Griechenland erzwungen hatte, hat diesen Zwangskredit längst zurückgezahlt.
(Quelle: = Zeitschrift Telepolis http://www.heise.de/tp/artikel/38/38997/1.html )

Vielen Dank für Ihre Mühe im Voraus,
mit freundlichem Gruß
Günther Leitner

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Leitner,

wenn ich Ihre Frage richtig verstehe, sprechen Sie sich dagegen aus, dass Deutschland die Zwangsanleihe von 476 Millionen Reichsmark, die von Griechenland 1942 erpresst wurde, nicht zurückzahlt. Dieser Meinung bin ich im Gegensatz zur derzeitigen deutschen Regierung auch.
Wie Sie vielleicht wissen, kommt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages aus dem Jahr 2013, zu dem Schluss, dass die Rechtsauffassung der Bundesregierung bezüglich der Rückzahlung der NS-Zwangsanleihen zweifelhaft ist. Wenn die Bundesregierung nun so tut, als sei über die Fragen der Zwangsanleihe und von Reparationszahlungen schon endgültig entschieden, so ist das falsch, da ihre Position rechtlich umstritten ist.
Meiner Auffassung nach muss sich die Bundesregierung in den Verhandlungen mit der griechischen Regierung auch der historischen Verantwortung Deutschlands für in Griechenland verübtes NS-Unrecht stellen. Es würde viel zu einer Entspannung des Verhältnisses zu Griechenland beitragen, wenn die Bundesregierung entsprechende Forderungen nicht brüsk zurückweist, sondern ernsthaften Verhandlungswillen zeigt.

Zu einem möglichen Schuldenschnitt Griechenlands muss gesagt werden, dass die Teilnehmer am ESM, dem so genannten Euro-Rettungsschirm, sowie dem Vorgänger EFSF, für die griechischen Staatsschulden haften. Allein Deutschland ist mit 27% in der Mithaftung. Deshalb wurde mit der Euro-Rettung nicht Griechenland sondern den Europäischen Banken und den Gläubigern Griechenlands geholfen. Ein Schuldenschnitt Griechenlands hätte deshalb nur Sinn gemacht, wenn er nicht von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in Europa getragen wird. Vielmehr hätte er durch eine europaweite Vermögensabgabe und eine Finanztransaktionssteuer refinanziert werden müssen.
Statt die ökonomische Schieflage im Land zu bekämpfen, wurde ihr durch das Spardiktat eine soziale Katastrophe hinzugefügt. Arbeitslosigkeit, Armut und Staatsverschuldung sind gestiegen, die gesundheitliche Versorgung wurde an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Die neue Regierung unter Alexis Tsipras hat angekündigt, diese Fehlentscheidungen zu korrigieren. Ohne eine Erholung des Arbeitsmarktes, der Produktion und der Konjunktur in Griechenland, wird das Land seine Schulden nicht zurückzahlen können. DIE LINKE kritisiert die Bundesregierung dabei für die Unehrlichkeit, diese Notwendigkeiten nicht anzuerkennen. Die bisherige Sparpolitik war in jeder Hinsicht kontraproduktiv.
Darüber hinaus wird eine wirksame Bekämpfung der Korruption in Griechenland angestrebt, die sich in den letzten Jahrzehnten etabliert hat. Insbesondere bei den Einkommens- und Vermögensmillionären fand beispielsweise kein effektiver Steuervollzug mehr statt. Eine Erhöhung der Staatseinnahmen, um wirkliche Sozial- und Wachstumspolitik durchführen zu können, ist aber nur mit diesen Einnahmen möglich.
Damit die Regierung Tsipras diese Vorhaben umsetzen kann, braucht sie natürlich Zeit. Unter anderem deshalb habe ich am 27. Februar 2015 der Verlängerung der Finanzhilfen für die Helenische Republik zugestimmt.