Frage an Carl-Ludwig Thiele bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Carl-Ludwig Thiele
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Frage von Claus-Hinrich W. •

Frage an Carl-Ludwig Thiele von Claus-Hinrich W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Thiele,
welche Stellungnahme darf ich wohl von Ihnen zu dem Herzog- Artikel erwarten, den ich Ihnen per Post zugesandt hatte? Bei meiner ersten Frage bei abgeordnetenwatch hatten Sie ja geantwortet, der Artikel sei Ihnen unbekannt. Jetzt dürfte das bereinigt sein, und ich sehe voll Spannung Ihrer Antwort entgegen.
Mit freundlichem Gruß,
Wrampelmeyer

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Wrampelmeyer,

haben Sie vielen Dank für die Zusendung des sehr interessanten Artikels von Roman Herzog und Lüder Gerken aus der Zeitung Die Welt.

Der Artikel zeigt umfänglich Schwächen im derzeitigen europäischen System. Er hat allerdings auch eine vermutlich gewollt einseitige Sicht eingenommen.

Den Verfassern ist zunächst einmal zuzustimmen, dass „Schönwetter-Reden“ über Europa und die Frage des Verfassungsvertrages uns nicht weiterbringen. Ich teile ihre Auffassung, dass es einen konstruktiven, offenen Diskussionsprozess über die Ziele Europas und den Weg dorthin geben muss.

Die Grundthese des Artikels lautete dann: „Europa ist eine Gefahr für die parlamentarische Demokratie in Deutschland“. Auf diesen Teil des Beitrages möchte ich Ihnen gern etwas ausführlicher antworten.

In vielen Punkten ist die Analyse von Roman Herzog sehr ernst zu nehmen. Zu viele Entscheidungen werden mittlerweile in Brüssel getroffen. Oft leidet die Transparenz darunter. Dem Deutschen Bundestag bleibt oft nur das Umsetzen dieser Beschlüsse.

Besonders zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang die zunehmende Missachtung des Subsidiaritätsprinzips in der Europäischen Union. Das 1993 im Vertrag von Maastricht festgeschriebene Subsidiaritätsprinzip ist eine wichtige Grundlage der Europäischen Union, um die Organe der EU in der europäischen Gesetzgebung zu beschränken: Was auf der Ebene der Mitgliedstaaten geregelt werden kann, das soll danach auch auf dieser Ebene geregelt werden. Unter Bezugnahme auf Generalzuständigkeiten wird dieser Grundsatz von Seiten der EU jedoch immer öfter missachtet. Europa reißt immer mehr Befugnisse an sich.

Jedoch haben einige Akteure leider auch schlicht ihre Aufgabe noch nicht ausreichend wahrgenommen. So weist Art. 23 GG zum Beispiel dem Bundestag umfangreiche Informations- und Mitwirkungsrechte in der EU-Rechtssetzung zu. Aber nutzt er sie auftragsgemäß? Die angesprochenen Entscheidungen werden in der Regel von den Fachministerräten getroffen. Das heißt mit direkter deutscher Beteiligung auf Ebene der Exekutive. Die Bundesregierung entscheidet also in Brüssel mit. Die Aufgabe des Bundestages ist es, genau diese Entscheidungen im Vorfeld zu beeinflussen und zu kontrollieren. Dies wird leider noch zu wenig getan, was jedoch auch daran liegt, dass die deutschen Parlamentarier schlicht nicht die Ressourcen besitzen, um alle parlamentarischen Vorgänge im Bundestag und zeitgleich noch auf europäischer Ebene zu begleiten.

Im derzeit neu zu verhandelnden (Verfassungs-)Vertrag wird auch auf die Frage der Mitwirkung der nationalen Parlamente einzugehen sein. Ziel der FDP ist es, vor allem die Rolle der nationalen Parlamente zu stärken und eine klarere Kompetenzaufteilung zwischen Mitgliedsstaaten und Europa herzustellen.

Jede Abgabe von Kompetenzen nach Brüssel muss von entsprechend gleichwertige Kontroll- und Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente begleitet werden. Um dies zu gewährleisten, müssen jedoch die nationalen Parlamente selbst entsprechend aktiv werden können. Die FDP Fraktion im Bundestag organisiert aus diesem Grund eine europaweite Konferenz im Juni in Berlin. Ziel der Konferenz ist es, von Ländern wie Dänemark und Groß Britannien zu lernen. Diese Länder haben in den letzten Jahren andere, effizientere Wege gefunden, um ihre Rolle als Vermittlerin von demokratischer Legitimation wahrzunehmen.

Aber auch strukturell ist einiges geschehen. In einem Vertrag haben alle Fraktionen des Bundestages und die Bundesregierung gemeinsam vereinbart, wie die Arbeit in Angelegenheiten der EU künftig aussehen soll. Der eingangs formulierte Auftrag des GG erhält somit eine praktische Ausgestaltung. Auch im Innern des Bundestages gibt es Entwicklungen. So sind auch Änderungen der Geschäftsordnung des Bundestages geplant.
Als Fazit kann ich Ihnen folgendes sagen: Die FDP hat und wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass die Strukturen innerhalb des Bundestages besser auf die Mitwirkung in europäischen Angelegenheiten abgestimmt werden. Strukturell ist der Bundestag in einer guten Position, er muss sie in Zukunft besser nutzen. Im Zuge der Verfassungsdebatte müssen die Voraussetzen geschaffen werden, dass die nationalen Parlamente stärker als bisher in den Rechtssetzungsprozess eingebaut werden. Dazu bedarf es vor allem einer klareren Kompetenzaufteilung und mehr Transparenz.
Ich bin mir sicher, dass sich dann viele Probleme die in dem Beitrag stehen, von selbst lösen werden. Insbesondere das „über Bande spielen“ von Regierungsvertretern wird hoffentlich nicht mehr möglich sein.

In der Hoffnung, Ihnen weitergeholfen zu haben, verbleibe ich

Mit freundlichen Grüßen
Carl-Ludwig Thiele