Frage an Christel Riemann-Hanewinckel bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Christel Riemann-Hanewinckel
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Frage von Andreas B. •

Frage an Christel Riemann-Hanewinckel von Andreas B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Riemann-Hanewinckel,

ich danke für Ihre Antwort vom 16.05.08 und möchte hierzu noch eine Nachfrage loswerden:

Auf meinen Wunsch nach einem europaweiten Referendum zum quasi-verfassungsmäßigen EU-Vertrag antworten Sie, dass diese Form der direkten Demokratie in Europa zur Zeit nicht konsensfähig sei.

Mal abgesehen davon, dass ich diesen mangelnden Willen zum Konsens sehr bedauere, konnte ich nicht feststellen, dass dies von der SPD vehement eingefordert wurde und nur wegen des massiven Widerstands anderer Parteien in Deutschland und Europa nicht zustande kam - jedenfalls war davon in der Öffentlichkeit nichts zu hören. Wenn ich da richtig liege und die SPD sich nicht für dieses demokratische Votum eingesetzt hat, dann würde ich mir so viel Ehrlichkeit wünschen, dies den WählerInnen gegenüber auch einzugestehen und nicht die Schuld an ein diffuses, nicht konsensfähiges, demokratielahmes Europa zu verweisen.

Ohne Sie persönlich angreifen zu wollen, muss ich darüber hinaus anmerken, dass ich Ihrer Argumentation nicht folgen kann: Die Mitgliedsstaaten sind sich untereinander über die Form der Legitimierung der Quasi-Verfassung so uneins, dass beschlossen wird, hierfür nicht legitimierte Abgeordnete der nationalen Parlamente einzuspannen? Ein/e aufrechte/r Demokrat/in wie ich sie/ihn mir vorstelle, hätte an dieser Stelle sagen müssen: Solange dieser Punkt nicht geklärt ist, brauchen wir gar nicht weiter diskutieren, geschweige denn Fakten schaffen!
Denn meiner Einschätzung nach wurde im Bundestagswahlkampf für die laufende Legislatur die Quasi-Verfassung für Europa nicht thematisiert und wir WählerInnen haben somit keinen einzigen der Abgeordneten damit beauftragt, uns in dieser herausragend wichtigen Angelegenheit zu vertreten. Sehen Sie das anders?

Beste Grüße,

A. Beck

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SPD

Sehr geehrter Herr Beck,

mit dem Scheitern des Verfassungsvertrages ist die Möglichkeit für ein europäisches Bürgerbegehren entfallen. Der Entwurf für den Vertrag über eine Verfassung für Europa wurde im Europäischen Konvent erarbeitet. Hier haben sich die Sozialdemokraten auf europäischer Ebene für ein europaweites Referendum als weitere Form der direkten Demokratie eingesetzt.

Auf Bundesebene ist die Möglichkeit eines Referendums in unserer Verfassung noch nicht verankert. Voraussetzung dafür ist eine Änderung des Grundgesetzes. Ich war von Anfang an bemüht, eine solche Grundgesetzänderung herbeizuführen. Als Mitglied der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat habe ich bereits 1994 an einem entsprechenden Antrag mitgearbeitet. Ich habe mich sehr für das Einführen plebiszitärer Elemente eingesetzt, doch kam die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat bedauerlicherweise nicht zustande.

Die früheren Koalitionsfraktionen (Rot/Grün) hatten zuletzt im Herbst 2004 ihre Initiativen aus den vergangenen Legislaturperioden aufgegriffen. Wir haben einen Gesetzentwurf erarbeitet, der Volksinitiativen, -begehren und -entscheide in das Grundgesetz aufnimmt und ermöglicht. Die Fraktionsvorsitzenden hatten sich damit an die Opposition gewandt und ihr Verhandlungen angeboten. Die FDP hatte bereits Dialogbereitschaft und grundsätzliche Zustimmung signalisiert. CDU und CSU waren über diese Frage zerstritten und hatten sich einem Gespräch verweigert. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit war damit unerreichbar.

Ihre Ansicht, dass die Abgeordneten der nationalen Parlamente für den Vertrag von Lissabon nicht zuständig seien, teile ich nicht. Der Vertrag von Lissabon ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Jeder EU-Mitgliedstaat hat seine eigenen Regeln zur Ratifizierung von internationalen Verträgen und Abkommen. In Deutschland werden völkerrechtliche Verträge im innerstaatlichen Verfahren durch ein Gesetz ratifiziert. Dazu ist die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat erforderlich (Artikel 23, 59 und 79 Grundgesetz). Dieses parlamentarische Verfahren wurde nicht erst für den Vertrag von Lissabon kreiert, sondern ist Teil unserer bewährten Verfassungswirklichkeit und Staatspraxis.

Sie sehen also, dass die Bundestagsabgeordneten durch das Grundgesetz sehr wohl legitimiert sind, die deutschen Interessen in Europa wahrzunehmen. Die SPD hat bereits im Bundestagswahlkampf 2005 für ein starkes Europa und einen europäischen Verfassungsvertrag geworben. (Im Wahlprogramm unter Punkt 23 heißt es: „…Wir wollen eine Europäische Union, die entscheidungsfähig und zugleich politisch führbar ist, deren Zuständigkeiten klar beschrieben und so auch begrenzt sind. Und deren demokratischer Charakter gestärkt ist. Der Europäische Verfassungsvertrag ermöglicht dies…“

Mit freundlichen Grüßen

Christel Riemann-Hanewinckel