Warum erzeugt die Bundesregierung nicht das dringend benötigte Geld für die Wirtschaft?
Sehr geehrter Herr Dürr,
der Staat als Schöpfer seiner eigenen Währung kann so viel davon erzeugen, wie er will. Wir als private Personen müssen uns für die Rückzahlung von Schulden anstrengen und etwas leisten, damit wir diese Schulden inklusive Zinsen tilgen können. Aus Sicht des Staates ist der Begriff 'Schulden machen' bereits falsch gewählt, denn er muss nichts leisten, weil er das Geld schlichtweg auf Knopfdruck erzeugen kann. Die Wirtschaft ist so groß, dass sie gewaltige Mengen frischen Geldes aufnehmen kann, ohne Inflation zu erzeugen. Das sieht man ganz einfach in den Statistiken der 2010er Jahre, als die Geldpolitik der EZB so locker war. Geld ist nur ein vom Menschen eingeführtes fiktives Mittel, um reale Dinge umzusetzen. Wenn die Auswirkungen des Klimawandels so stark werden, dass die Fossilen abgeschaltet werden müssen, dann haben wir niedrige 'Schulden', aber keine grüne Infrastruktur. Warum wird der Bundeshaushalt so kalkuliert wie der eines privaten Unternehmens?
Sehr geehrter Herr V.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Ihre Auffassung zu Geld, Schulden und Inflation teile ich keineswegs. Eine stabile Währung ist eine der Grundvoraussetzungen für Wachstum und Wohlstand. Schon für Walter Eucken, einen der Väter der Sozialen Marktwirtschaft, zählte sie zu den konstituierenden Prinzipien der Wirtschaftspolitik.
Eine ausufernde Staatsverschuldung untergräbt mittel- bis langfristig garantiert die Geldwertstabilität und erzeugt hohe, unkontrollierbare Inflation. Zwar kann der Staat theoretisch unbegrenzt Geld schöpfen, er kann die natürliche wirtschaftliche Folge davon - die Geldentwertung - aber nicht verhindern. Das haben unsere Vorfahren in der Weimarer Republik mit der Hyperinflation von 1923 nach dem mit der Druckerpresse finanzierten Ersten Weltkrieg bitter erfahren müssen, und die Gründung der unabhängigen, stabilitätsorientierten Deutschen Bundesbank nach dem Zweiten Weltkrieg war entscheidend dafür, dass Deutschland mit dem "Wirtschaftswunder" wieder zu den führenden Wirtschaftsnationen aufschließen konnte.
Die extrem lockere Geldpolitik der EZB in den 2010er Jahren war einerseits wegen der deflationären Wirkung der immer weiter zunehmenden Integration Chinas in die Weltwirtschaft möglich, andererseits, weil das billige Geld in dieser Zeit seinen Weg in die Vermögenspreise statt in die Verbraucherpreise gefunden hat. Den enormen Anstieg der Vermögenspreise, insbesondere von Immobilien und Aktien, hat die Geldpolitik in dieser Periode zu wenig zur Kenntnis genommen.
Spätestens mit der expansiven Geld- und Fiskalpolitik in der Corona-Krise hat sich dann jedoch gezeigt, dass zusätzlich erzeugtes Geld über kurz oder lang auch seinen Weg in die Verbraucherpreise findet: Wir haben eine heftige Rückkehr der Verbraucherpreisinflation erlebt, mit sehr nachteiligen Folgen für unsere Wirtschaft, für die Reallöhne und auch für den Bundeshaushalt.
Mit einer stabilitätsorientierten Wende in der Geld- und Fiskalpolitik haben wir die Inflation inzwischen wieder in den Griff bekommen. Vor weiteren Schuldenexzessen in Europa kann ich aber nur warnen, denn die Lage der Staatsfinanzen ist in mehreren Euro-Staaten weiterhin fragil. Das kann die Stabilität des Euros insgesamt bedrohen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Christian Dürr