Warum sind die Grünen bzw. Herr Habeck gegen die Verlängerung der Atomreaktorlaufzeiten für zwei Jahr in einer Energiekrise?

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Dieter Janecek
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Frage von Thomas R. •

Warum sind die Grünen bzw. Herr Habeck gegen die Verlängerung der Atomreaktorlaufzeiten für zwei Jahr in einer Energiekrise?

Sehr geehrter Herr Janecek,

ich habe die Grünen mit meiner Zweitstimme gewählt, da Sie sich für die Umwelt einsetzen möchten. Jetzt muss ich erschrocken feststellen, dass die Grünen die relativ sicheren Atommeiler in einer absoluten Ausnahmesituation während einer Energiekrise nicht zwei Jahr weiterlaufen lassen möchten. Ich bin darüber sehr konsterniert, da es sich für mich nicht rational erklären lässt, da es die Energiekriese zusätzlich verschärft und es sich um klimafreundliche Energie handelt. Außerdem wird dies vermutlich zu noch höheren Energiepreisen führen, was noch eine größere Belastung für die Bevölkerung bedeutet. Ich glaube jeder weiß über die Gefahren der Atomkraft, aber stattdessen Strom mit Kohle zu erzeugen ist auch für die Grünen widersprüchlich. Die Meisten werden dies zudem nicht als Wiedereinstieg in die Atomkraft verstehen, aber auch Nachbarländer die grün regiert werden, wie Finnland wenden sich der Atomkraft zu.

Mit freundlichen Grüßen
Thomas R.

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr R.,

vielen Dank für Ihre Frage an Dieter Janecek, die wir gerne für ihn beantworten möchten. Der Energiepreisschock in Folge des russischen Angriffskrieges verlangt den Privathaushalten und den Unternehmen viel ab. Um das Energieangebot zu erhöhen hat die Bundesregierung bereits umfangreiche Maßnahmen getroffen wie etwa eine erleichterte Verstromung von Biogas, ein beschleunigter Ausbau von Windenergie und Photovoltaik sowie niedrigere Hürden für den Brennstoffwechsel. Mit dem Abwehrschirm in Höhe von 200 Milliarden Euro sollen die Energiepreise durch Gas- und Strompreisbremsen wirkungsvoll reduziert werden.  

Um die Versorgungssicherheit und die Netzstabilität zu gewährleisten, hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck bereits im September eine Verlängerung der Laufzeit der beiden süddeutschen Atomkraftwerke im Rahmen eines Streckbetriebs bis zum 1. Quartal 2023 genehmigt. Diese Entscheidung war aufgrund der Probleme der französischen Atomkraftwerke, aber auch aufgrund des mangelnden Netzausbaus in Deutschland nötig. Die Stromproduktion geschieht verstärkt dezentral und besonders in Süddeutschland wurden nicht ausreichend Netze zur Verteilung angelegt.

Durch die Entscheidung des Bundeskanzlers am 17. Oktober wird nun auch das Atomkraftwerk Emsland in Niedersachsen maximal bis zum 15. April 2023 mit den bereits vorhandenen Brennstäben Strom erzeugen. Eine Verlängerung der Laufzeiten über den 15. April 2023 hinaus und die dafür erforderliche Bestellung neuer Brennstäbe lehnen wir jedoch ab.

Für diese Position gibt es viele gute Gründe. Erstens ist die Atomenergie eine unbeherrschbare Hochrisikotechnologie. Aus diesem Grund gibt es etwa kein einziges Versicherungsunternehmen, das ein Atomkraftwerk versichern würde – der Staat müsste bei einer Laufzeitverlängerung also erneut das vollständige Risiko übernehmen. Zweitens würde die Verwendung zusätzlicher Brennelemente die Menge des Atommülls erhöhen. Dies würde den Prozess der Endlagersuche erneut um viele Jahre zurückwerfen, da die laufende Suche auf der aktuell prognostizierten Menge basiert. Drittens ist in der Wissenschaft sehr umstritten, ob und wie sehr ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke tatsächlich die Strompreise dämpfen würde. Dies liegt an der Struktur des Strommarktes, in dem das teuerste benötigte Kraftwerk den Preis setzt; aktuell sind das natürlich die Gaskraftwerke. Atomkraftwerke können nicht variable ein- und ausgeschalten werden sondern laufen konstant und können somit Gaskraftwerke, die meist nur zur Deckung von Spitzenlasten eingesetzt werden, nicht ersetzen. Stattdessen ersetzen Atomkraftwerke außerhalb der Spitzenlasten oft Windenergie und Photovoltaik. Viertens zeigt die aktuelle Situation in Frankreich, dass Atomenergie eben keineswegs zuverlässig ist. Aufgrund vielfältiger technischer Probleme bei der Wartung und Kühlung sind 32 der insgesamt 56 Atomkraftwerke außer Betrieb womit die Versorgungssicherheit in Frankreich akut gefährdet ist und der Strombedarf nur durch hohe Stromimporte aus Deutschland gedeckt werden kann. Die Unzuverlässigkeit der Atomenergie ist damit auch ein großer Grund für die hohen Strompreise bei uns. Insgesamt lässt sich also sagen, dass eine weitere Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke nur einen sehr geringen Beitrag zur Lösung der Energiekrise leisten könnte aber sehr große Nachteile mit sich bringen würde.

Mit freundlichen Grüßen

Team Janecek

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