Frage an Elke Seidel von Rhan G. bezüglich Umwelt
Liebe Frau Seidel,
danke für Ihre Antwort. In Ergänzung eine Frage: durch meine Arbeit habe ich festgestellt, dass viele Nachhaltigkeitsstrategien und -konzepte sich an Inländer richten. Oft sind die Konzepte (s. der Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung oder die Konzepte des Rates für Nachhaltige Entwicklung) in einer Sprache verfasst, die viele Bürger nicht "mitnehmen". Bildungsferne Schichten sind selten angesprochen. Auch Bürger mit Migrationshintergrund (oft reden wir da auch von Bildungsfernen Schichten ) werden in den Konzepten so gut wie gar nicht berücksichtigt. Nachhaltigkeit, so scheint mir, wird oft als Thema des Bildungsbürgertums begriffen. Nicht umsonst rekrutiert sich das Klientel, das Ihre Partei wählt, in der Regel aus dieser Schicht. Gibt es ein Konzept, dieses aufzubrechen?
Herzlich Rhan Gunderlach
Liebe Frau Gunderlach, Ihre Frage nach der Verständlichkeit von Aussagen trifft genau den Punkt.
Das Wort „Nachhaltigkeit“ wird in allen Lebenslagen inflationär benutzt. Egal ob es passt oder nicht. Man nimmt das Wort hin, aber ich bezweifle, dass Jeder, der das Wort anwendet und hört, auch verinnerlicht hat, was damit gemeint ist.
Die „Nachhaltigkeit“ ist auch nicht leicht verständlich zu beschreiben. Wenn Sie googeln, so finden sie hundertfache Erklärungen. Und diese Vielzahl der Erklärungsversuche erleichtert nicht das Verstehen. Der Umweltbeirat des Landes Brandenburg (bis 2004 im Amt) hat einmal definiert: „Das Ziel „Nachhaltigkeit“ erfordert „Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs“ für die Bürger auf der eigenen Landesfläche unter lokaler stofflicher Kreislaufführung zu produzieren. Dazu gehören Energie(träger), Wasser, Nahrungsmittel und regenerative Rohstoffe, für deren nachhaltige Sicherung ein funktionaler Naturschutz unverzichtbar ist. Dieser hat im Unterschied zum eingeschränkten Verständnis eines arterhaltend konservierenden Naturschutzes eine Schlüsselstellung bei der Sicherung der Bedürfnisse der heutigen und auch der künftigen Generation. Es geht dabei um den dauerhaften Erhalt von intakten Naturfunktionen. Eine funktionsfähige Natur bildet das Fundament für die menschliche Gesellschaft und ihre nachhaltige (Weiter-) Entwicklung. Wasser ist das verbindende Element für Vegetation, Atmosphäre, Boden und Gewässer. Es stellt sozusagen den „Blutkreislauf“ oder „Lebensstrom“ der Biosphäre dar. Deshalb gehört zu einer funktionsfähigen Natur in erster Linie ein intakter Wasser- und Stoffhaushalt. Dieser "funktionale Naturschutz", der in einer nachhaltigen Gesellschaft auf der gesamten Landesfläche umgesetzt werden müsste, ist das vom Beirat vorgeschlagene Leitbild.“ So richtig allgemeinverständlich ist es vielleicht auch nicht, aber es gibt doch die Richtung an, wo wir hinmüssen – wirtschaften und leben in den Grenzen, die uns die Natur setzt.
Ich selbst benutze für die Beschreibung der Nachhaltigkeit gern das Wort „enkeltaugliche Entwicklung“, es lässt erahnen, wie eine Entscheidung von heute aussehen sollte, um auch in Zukunft richtig zu sein. Ich erfahre sehr oft, dass selbst in Diskussionen sehr schnell auf die gängigen Floskeln, auf wissenschaftliche Aussagen usw. zurückgegriffen wird, ohne dass die Zuhörer mal nachfragen: was heißt denn das? Wir sollten viel öfter nachfragen, denn Missverständnisse beginnen damit, dass man sich über die Bedeutung, über den Inhalt eines Begriffes nicht einig ist, jeder versteht etwas anderes darunter. Und deshalb sollte vor jeder Sachdebatte klar definiert sein, worüber man redet. Glauben Sie mir, diese Missverständnisse sind nicht selten.
Als Landtagsabgeordnete Bündnis90/Die Grünen werden wir uns dafür einsetzen, dass die Gesetze, Verordnungen und Richtlinien in verständlichen Worten und Sätzen abgefasst werden. In einigen Kommunen finden wir bereits den Ansatz, Satzungen in „bürgerverständliche“ Worte zu kleiden. Aber sehr schnell verläuft dieses Vorhaben, weil alle den gerichtsfesten, anwaltlich gefilterten Text wollen und sich nicht vorstellen können, dass auch allgemeinverständliche Formulierungen Rechtsbestand haben können. Die Geschichte zeigt, dass es sehr wohl möglich ist. Hier müssen wir noch viel arbeiten, und das will ich gerne tun. Nach Ihrem Hinweis erscheint es mir aber auch wichtig, Gutachten und wissenschaftliche Berichte genauso allgemein verständlich darzustellen. Mir sind aber bisher keine konzeptionellen Überlegungen bekannt, um wissenschaftliche Expertisen, Gutachten und Gesetze durchweg allgemeinverständlich vorzustellen. Und ich muss gestehen, auch der Bericht des Beirates für Nachhaltige Entwicklung und Ressourcenschutz, der jetzt fertig gestellt ist, und der der Landesregierung am 14.09. zur Beachtung und Anwendung übergeben wird, wird Ihre Anforderungen nicht erfüllen. www.nachhaltigkeitsbeirat.brandenburg.de Ihre Frage ist aber ein sehr guter, deutlicher Hinweis. Wenn ich in der nächsten Periode wieder in den Nachhaltigkeitsbeirat berufen werde, setze ich mich noch mehr für allgemeinverständliche Formulierungen ein. Ich hoffe, dass meine Antwort trotzalledem allgemeinverständlich ist. Ihre Frage, wie man bildungsferne Schichten erfolgreich anspricht und informiert, ist nicht pauschal zu beantworten. Aber vielleicht wäre ein Projekt „Wissenschaft trifft Bürger mit Migrationshintergrund“ der Beginn eines Prozesses.
Ich verbleibe mit sonnen-energi(E)schen Grüßen Ihre ELKE SEIDEL