Frage an Fritz Kuhn bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Fritz Kuhn
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Frage an Fritz Kuhn von Joachim P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Die CDU/CSU setzt sich dramatisch für eine privilegierte Partnerschaft mit der DDR ääh entschuldige Türkei mit der EU ein, die beide seit Jahrzehnten pflegen. Die Bundesregierung dagegen betont gereizt (zu recht!?), dass sie sich aus voller Überzeugung an Verträge der EU mit der Türkei gebunden sieht. “ pacta sunt servanda „ hat FJS zu den Ostverträgen von Brandt/Scheele gesagt. Angela Merkel tritt dagegen kühn bis zickig-zackig auf, als könne sie die Außenpolitik durch PFLÜGERN?
FRAGE: Ist die von Angela Merkel angeschobene Neben-Außenpolitik nicht von ähnlichem Kaliber, wie die Neben-Außenpolitik von F.J. Strauss 1973 als der den erfolgreichen Putsch gegen Salvador Allende und dessen Tod in Chile mit Zustimmung von Henry Kissinger lauthals tönend bejubelte? , und bald darauf vor dem Diktator Pinochet telegen erst sein schweres Haupt beugte und dessen Hand schüttelte bis zum Abwinken? Ist Ihre Haltung in dieser Frage nicht ein Bruch der Verpflichtung zur Loyalität der Oppositiongegenüber der Außenpolitik der Bundesregierung? Und insbesondere gegenüber dem amtierenden Außenminister Joschka Fischer- Ist diese Haltung der CDU/CSU von der Art, als ob man die Fußballmannschaft der Türkei zu einem Match eingeladen hat und dann zickig mokant zackig bei Herannahen des vereinbarten Spieltermins Vorgesprächsbedarf anmeldet mit dem Ziel ein privilegiertes Spielergebnis von 2 : 1, 5 für die EU festzulegen und bei Verweigerung der Türkei das Fußballspiel abzublasen und die türkische Mannschaft auszuladen? Ist solch zickig-zackiger Kurs gegenüber der Außenpolitik von Joschka Fischer nicht auch eine Brüskierung der berechenbaren Sicherheitspartnerschaft mit vielen Staaten und insbesondere den USA? Danke!

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Petrick,

Ihre Frage ist ja eher ein persönliches Statement mit harrsch formulierter Kritik in Richtung der Türkei-Politik von Frau Merkel und der (heutigen) CDU/CSU. Ich möchte daher nicht Ihren Beitrag selber kommentieren, aber in der Sache meine Meinung und die meiner Partei Bündnis 90/Die Grünen daneben stellen.

Die Verhandlungen zwischen EU und Türkei sollen am 3. Oktober den Status erhalten ergebnisoffener Beitrittsverhandlungen. Der Türkei wird eine Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, wenn sie innerhalb von 10 bis 15 Jahren sich soweit reformiert hat, dass sie die wesentlichen politischen, rechtsstaatlichen und wirtschaftlichen Grundlagen der EU erfüllt, die auch alle anderen EU-Staaten zu erfüllen haben. Die EU wird in dieser Zeit die Reformen in der Türkei begutachten und dort Änderungen anmahnen, wo die Türkei mit ihrer Modernisierung nicht ausreichend voran kommt. Und am Ende wird die EU entscheiden, ob die Türkei sich zu einem Land entwickelt hat, das sich in seiner politischen und rechtsstaatlichen Ordnung und in den wirtschaftlichen Rahmendaten so entwickelt hat, dass damit die Voraussetzungen für eine EU-Mitgliedschaft gegeben sind. Und ergebnisoffen bedeutet: wenn nicht, dann wird es keine Aufnahme der Türkei als Mitglied der EU geben. Wenn ja, dann bietet man der Türkei diesen Beitritt an und wir sehen nicht, warum das in dem Fall dann grundsätzlich nicht sein sollte.

Nicht nur die Bundesregierungen der vergangenen Jahrzehnte inklusive der Regierung Kohl (zu der Merkel und ja Schäuble selbst gehörten) haben diese Beitritts-Perspektive der Türkei immer versprochen, haben ihr Wort gegeben, im Falle der Reformbereitschaft der Türkei sie auf dem Weg zu unterstützen, Mitglied der EU zu werden. Und dies ist auch die Position nahezu aller anderen EU-Mitgliedsstaaten gewesen und ist es weiterhin, inklusive der konservativ regierten. Deshalb ist Merkel auch isoliert mit ihrer Position in der EU, sie weiß das; ihr außenpolitischer Berater Schäuble sagt ja auch, man werde den Start der Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober nicht in Frage stellen im Falle einer unionsgeführten Regierung. Merkel und Co. geht es nur darum, den WählerInnen in Deutschland vorzugaukeln, mit ihnen an der Regierung würde ein Beitritt der Türkei am Ende verhindert. Im Grunde belügen sie damit an einem weiteren Punkt die Wählerinnen und Wähler. Ehrlichkeit sieht anders aus.

Was die CDU/CSU unter privilegierter Partnerschaft als Alternative anpreist, ist bereits jetzt schon der Status der Beziehungen zwischen Türkei und EU, durch etliche bilaterale Handels-, Aufenthalts- und sonstige Abkommen und mittelbar auch durch die Bündnispartnerschaft in der NATO. Also sagt Merkel verkleistert nix anderes als: Es soll halt so bleiben wie jetzt. Unser, Deutschlands Wort von früher gilt nicht mehr. Das ist außenpolitisch ein Hasardeur-Verhalten, das auch das Vertrauen von anderen Staaten in einen Verhandlungspartner Deutschland in den auf längerfristige Entwicklungen und Vereinbarungen aufbauenden internationalen Beziehungen untergräbt und unserem Land damit schadet.

Dass die Türkei in wichtigen Fragen noch nicht den Stand erreicht hat, die Kriterien der EU zu erfüllen, ist Allen klar. Ansonsten könnte man ja auch jetzt schon über den Beitritt selber reden. Und darum spricht die EU ja auch von einer Phase von bis zu 15 Jahren, die die Verhandlungen und Beobachtungen der Reformprozesse dauern sollen und ein ergebnisoffenes Verfahren sei. Die Türkei ist heute in Vielem noch weit davon entfernt. Aber das muss und soll ja gerade so nicht bleiben und es sind auch bereits in den letzten Jahren - für Viele ja überraschenderweise gerade unter einer islamisch-orientierten Partei von MP Erdogan - richtige Reformprozesse begonnen worden. Die Türkei zeigt damit grundsätzlich, dass sie den europäischen Weg gehen will. Warum sollte man ihr dann jetzt die Perspektive einer Mitgliedschaft in 15 Jahren schon imVoraus nehmen? Damit würde man alle demokratischen und europäisch orientierten Kräfte und Entwicklungen in dem Land den Boden ihrer Bemühungen und ihre Überzeugungskraft nehmen und weitere wünschenswerte Reformen verhindern. Das wäre doch geradezu absurd: die EU schlägt die Tür zu und torpediert damit selber den Weg der Modernisierung nach europäischen Maßstäben in der Türkei.

Es spricht also alles vom Verfahren und von den außenpolitischen Verpflichtungen her für die Beibehaltung der Beitrittsverhandlungen wie von der EU und der Türkei vorgesehen und oben geschildert.

Es spricht das von uns und ja sicher auch von Ihnen geteilte Anliegen dafür, den Staat und die Gesellschaft in der Türkei unseren politischen, rechtsstaatlichen und wirtschaftlichen Standards anzunähern statt noch reaktionäre und islamistische Bewegungen in der Türkei zu befördern.

Es spricht die Aussicht dafür, mit einer modernisierten Türkei ein Mitglied in der EU zu haben, das sowohl den Westen als auch den Okzident "verinnerlicht" hat und so als politische und kulturelle Brücke eine Verständigung und friedliche Kooperation voranbringen und dabei weitere Demokratieimpulse in arabische Staaten hinein befördern kann. Dieses auch sicherheitspolitisch sehr wichtige Ziel geht am besten über eine moderne Türkei als Mitglied der EU. Ob dies auch in dem jetzigen Status und nach einer Abwendung der EU von der Türkei (so würde es einen Mehrheit der Türken verstehen, wenn die alten Zusagen jetzt einkassiert würden, und zu Recht) erreichbar wäre, ist höchst unwahrscheinlich.

Es spricht nicht so eindeutig für die Beitrittsperspektive die ökonomische Ebene, darum sollten wir nicht herumreden. Die Türkei wäre von der Fläche und der Bevölkerungszahl her eines der größeren Mitgliedsländer, das schon jetzt ein wichtiger Handelspartner für die EU, auch für Deutschland, ist und dessen Markt einen Wirtschaftsimpuls für den EU-Raum geben könnte, wenn er völlständig in die EU integriert wäre nach einem Beitritt. Dazu müßten aber die wirtschaftlichen, finanzpolitischen und sozialen Bedingungen in der Türkei zu dem Zeitpunkt eines Beitritts soweit sein, dass sie unterm Strich die EU-Wirtschaft eher fördern als ihr zu Last fallen würde. Auch diese Frage muss dann und im Paket mit den anderen Anforderugnen zu dem Zeitpunkt abgewogen und entschieden werden, wenn ein Beitritt ansteht und nicht heute oder morgen, wie die Kritiker meist suggerieren.

Mit freundlichem Gruß,

Fritz Kuhn, MdB
Bündnis 90/Die Grünen