Frage an Gabriele Hiller-Ohm bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Gabriele Hiller-Ohm
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SPD
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Frage von Gerhard R. •

Frage an Gabriele Hiller-Ohm von Gerhard R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Hiller-Ohm,

am 17.3. teilten Sie Herrn Brandt mit:
In der SPD-Fraktion sind die eigene Gewissensentscheidung und das freie Mandat gewährleistet.
Unter

http://www.abgeordnetenwatch.de/rene_roespel-575-37899--f249622.html#q249622

wurde berichtet, daß sich 2001 ca. 20-30 SPD-Abgeordnete gegen ihre Überzeugung für das ISAF-Mandat ausgesprochen hatten.
Wie erklären Sie diesen Widerspruch?

Am 9.3.10 berichteten die "Kieler Nachrichten" unter "Attraktives Schießkino; Bundeswehr hatte in Todendorf junge Gäste"(Auszug):
"Das ist ja noch toller als jedes Ballerspiel am PC" entfuhr es einem Teilnehmer. Im Schießsimulator durften die Berufsschüler natürlich auch selbst die Handfeuerwaffen in die Hand nehmen und Ziele anvisieren. "Diese Station hat mir am besten gefallen", stellte ein 16jähriger denn auch klar.
Wie beurteilen Sie diese Veranstaltung?

Im Bekanntenkreis habe ich gehört, daß es Eltern gibt, die aus Gewissensgründen ihre Kinder gewaltfrei mit dem Ziel erziehen, daß sie später den Wehrdienst verweigern. Sind Sie dafür, daß in diesen Fällen Anträge auf Befreiung von der Teilnahmepflicht am Unterricht mit der Bundeswehr genehmigt werden?

Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth

Gabriele Hiller-Ohm
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Reth,

da ich erst 2002 in den Bundestag gewählt worden bin, habe ich die Entscheidung für das Afghanistan-ISAF-Mandat 2001 nicht persönlich miterlebt und kann daher keine Aussage zur Anzahl und Motiven der Abgeordneten machen, die sich in der damaligen Fraktionssitzung gegen den Bundeswehreinsatz ausgesprochen hatten.
Allerdings ist es verständlich und nachvollziehbar, dass bei einer Verbindung dieser Entscheidung mit der Vertrauensfrage angesichts der Tragweite der Konsequenzen einer Abstimmungsniederlage eine Ablehnung viel schwerer zu treffen ist. Es galt in diesem Fall abzuwägen zwischen der Unterstützung und Fortführung der Gesamtpolitik der damaligen sozialdemokratisch geführten Regierungskoalition und der Zustimmung zum erstmaligen ISAF-Einsatz in Afghanistan.
Angesichts der damals kurz zuvor erfolgten Terroranschläge in den USA, durch den UN-Sicherheitsrat autorisierte Zwangsmaßnahmen gegen das damalige afghanische Regime aufgrund der Nicht-Auslieferung von Al-Qaida-Terroristen und des durch die NATO festgestellten Bündnisfalls handelte es sich meiner Ansicht nach 2001 um eine andere Entscheidungssachlage als heute.
Gleichwohl wäre es meiner Meinung nach nicht notwendig gewesen, die Abstimmung mit der Vertrauensfrage zu verbinden, da ohnehin die deutliche Mehrzahl der SPD-Abgeordneten den Einsatz unterstützte und zudem eine breite Zustimmung bei den Fraktionen von CDU/CSU und FDP zu erwarten war. Die damaligen Oppositionsfraktionen stimmten dem verbundenen Vertrauensantrag dann nachvollziehbar nicht zu, da sie Bundeskanzler Schröder nicht das Vertrauen aussprechen wollten.
Insgesamt würde ich diesen besonderen Fall als extremste Form der Fraktionsdisziplin bewerten. Dass das freie Mandat und die Gewissensfreiheit trotz der deutlichen Einschränkungen auch in solchen Fällen möglich ist, sieht man an der Entscheidung der SPD-Abgeordneten Christa Lörcher, die nach ihrer persönlichen Abwägung gegen den Bundeswehr-Einsatz gestimmt und damit auch die Vertrauensfrage negativ beantwortet hat. Ich muss allerdings auch sagen, dass ich durchaus froh bin, dass ich diese schwierige Entscheidung nicht treffen musste.

Natürlich vermitteln die Überschrift sowie die kurzen von Ihnen in der Anfrage zitierten Teile des Artikels den Eindruck, bei dem Besuchstag der Bundeswehr sind die „schießwütigen“ Jugendlichen voll auf ihre Kosten gekommen. Jedoch wird dieser Eindruck durchaus relativiert, wenn man den gesamten Artikel liest. Der „Schießsimulator“ war nur eine von fünf Stationen durch die die Jugendlichen geführt wurden, zudem in Begleitung ihrer Lehrer und fachkundigen Soldaten. Außerdem wird im Artikel auch über weitere Jugendliche berichtet, die sich von anderen vorgestellten Bereichen beeindruckt zeigten wie beispielsweise der technischen Instandsetzung, Logistik oder Personalbearbeitung.
Insgesamt halte ich es für begrüßenswert, dass sich die Bundeswehr als Berufsfeld vorstellt. Es muss allerdings mit der nötigen Ernsthaftigkeit über den Beruf des Soldaten aufgeklärt werden und ein „Schießsimulator“ darf nicht im Mittelpunkt dessen stehen.

Ich befürworte eine gewaltfreie Kindererziehung und kann daher auch nachvollziehen, wenn Eltern nicht möchten, dass ihre Kinder an einem Besuchertag der Bundeswehr teilnehmen. Ich gehe davon aus, dass die Lehrer bzw. Schulen eine mit einer Gewissensentscheidung begründete Entschuldigung der Eltern akzeptieren.

Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Hiller-Ohm