Frage an Gabriele Hiller-Ohm bezüglich Soziale Sicherung

Gabriele Hiller-Ohm
Gabriele Hiller-Ohm
SPD
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Frage von Gerrit D. •

Frage an Gabriele Hiller-Ohm von Gerrit D. bezüglich Soziale Sicherung

Hallo Frau Hiller-Ohm,

durch Ihre Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands einerseits, aber auch als Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales möchte ich Ihnen gerne folgende Fragen stellen:

- Sind die derzeit geltenden Gesetze zu "Hartz IV" Ihrer Ansicht nach sozial, demokratisch
und mit der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vereinbar?

- Was für eine Meinung vertreten Sie in Bezug auf die möglichen Sanktionen für Bezieherinnen
und Bezieher von Hartz IV?

Ich möchte Sie bitten Ihre ganz persönliche Meinung, und nicht die Ihrer Partei, darzulegen.

Vielen Dank!

Gabriele Hiller-Ohm
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Depner,

grundsätzlich war und ist die Zusammenlegung von ehemaliger Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe durch das so genannte Hartz-IV-Gesetz zum Arbeitslosengeld II bzw. der Grundsicherung für Arbeitssuchende richtig. Denn dadurch haben mehr Menschen Ansprüche auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie Qualifizierungen und Weiterbildungen bekommen. Viele – vor allem auch junge Menschen – waren zuvor in der Sozialhilfe gefangen. Durch den Grundsatz „Fördern und Fordern“ sollte diese gesellschaftliche Fehlentwicklung aufgebrochen werden.

Natürlich muss der Grundsatz „Fördern und Fordern“ in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Notwendig sind intensive Betreuung und Unterstützung bei der Vermittlung, zum Beispiel durch die Fallmanagerin bzw. den Fallmanager sowie ausreichend unterstützende Förderangebote wie Qualifizierungsmaßnahmen. Besonders dort hat die Vorgängerregierung aus CDU/CSU und FDP durch kurzsichtige Kürzungen den falschen Weg eingeschlagen. Deshalb freut es mich sehr, dass wir bei den Koalitionsverhandlungen durchsetzen konnten, dass 1,4 Milliarden Euro mehr für die Eingliederung von Arbeitsuchen zur Verfügung stehen.

Auch die Regelsätze des Arbeitslosengeldes II müssen so ausgestaltet sein, dass man davon vernünftig im Sinne des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum leben kann. Ich habe gemeinsam mit meiner Partei immer wieder kritisiert, dass die derzeitigen Regelsätze nicht den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2010 entsprechen, da sie nach einem fehlerhaften, noch dazu willkürlichen Verfahren ermittelt wurden. Ein Problem ist die Größe der Referenzgruppe zur Berechnung des Regelsatzes für Alleinstehende. Die frühere schwarz-gelbe Bundesregierung hat die Regelsatzhöhen nur noch auf der Grundlage der untersten 15 Prozent der Haushalte berechnet. Dies führte dazu, dass die Regelsätze verhältnismäßig niedrig ausfallen. Ebenso kritisieren wir, dass es zu so genannten Zirkelschlüssen kommt. Diese ergeben sich, wenn Haushalte in die Berechnungen mit einbezogen werden, die „aufstockende“ Sozialleistungen erhalten. Einen weiteren Kritikpunkt sehen wir in der willkürlichen Nichtberücksichtigung einzelner Positionen für die Regelsatzberechnung.
In unserem Wahlprogramm haben wir daher auch klar formuliert: „Wir werden die Grundsicherung im SGB II und SGB XII so gestalten, dass sie die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt. Das heißt: ein transparentes und sachgerechtes Verfahren, realitätsnah und nachvollziehbar. Dies gilt insbesondere für eine eigenständige Ermittlung der Bedarfe von Kindern.“
Es wird sich zeigen, inwieweit wir die Regelsatzberechnung mit CDU/CSU verändern können. Ich setze mich jedenfalls dafür ein, dass ein tragfähiges Konzept entwickelt wird, nach welchem Verfahren und nach welchen Kriterien die Regelbedarfe dauerhaft ermittelt werden sollen.

Als langjähriges Mitglied des zuständigen Ausschusses für Arbeit und Soziales ist mir die von Ihnen angesprochene Thematik der Sanktionsregelungen für Hartz IV-Bezieherinnen und -bezieher gut bekannt.

Ob die derzeitige Sanktionspraxis im SGB II rechtswidrig ist, ist sehr umstritten und pauschal bis zu einem Urteil darüber wohl nicht zu beantworten.
Untersagt hat das Bundesverfassungsgericht in seinen bisherigen Urteilen zu den Hartz-IV-Gesetzen bzw. dem Existenzminimum Sanktionen nicht. Die Urteile haben jedoch im Hinblick auf Einschränkungen des Existenzminimums Hinweise gegeben. In gewissen Umfängen sind demnach Leistungseinschränkungen durchaus zulässig. Diese dürfen meiner Ansicht nach allerdings nicht das physische Existenzminimum, also Nahrung, Kleidung, Wohnung und die medizinische Versorgung einschränken.

Auch in diesem Bereich habe ich bereits in der letzten Legislaturperiode gemeinsam mit meinen Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen der SPD folgende Änderungen gefordert:

- Die Leistungen für Unterkunft und Heizung müssen von den Sanktionen ausgenommen werden. Ansonsten besteht große Gefahr, dass alle Familienangehörige in Mithaftung genommen werden.
- Wir brauchen mehr Flexibilität bei den Sanktionen. Wenn ein Arbeitsuchender erkennt, dass er einen Fehler gemacht hat, dann muss eine Sanktion auch schnell zurückgenommen werden können. Die Sanktionsdauer kann derzeit nicht flexibel verringert werden.
- Bevor eine Sanktion verhängt wird, muss zuvor zwingend eine schriftliche Belehrung erfolgen. Die Neuregelung der schwarz-gelben Koalition, die unter bestimmten Voraussetzungen eine schriftliche Information für entbehrlich hält, muss geändert werden. Denn die oder der von Sanktionen bedrohte muss davon vorher wissen.
- Es gibt keinen plausiblen Grund, warum Jugendliche und Erwachsene unter 25 Jahren härter sanktioniert werden als Ältere. Die derzeitige Regelung muss entsprechend geändert und vereinheitlicht werden.

Außerdem befürworte ich die Möglichkeit von Ersatzleistungen durch Sachleistungen oder geldwerte Leistungen bei Sanktionen.

Dass es aber auch Missbrauch gibt, ist eine Tatsache. Im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht der Gesetzgeber hier Grenzen zu setzen, wenn beispielsweise Vereinbarungen mit dem Jobcenter nicht eingehalten, Maßnahmen oder Arbeitsangebote abgelehnt werden. Allerdings müssen Sanktionen mit Augenmaß erfolgen und dürfen keine Schikanen sein. Deshalb wollen wir mehr Flexibilität bei den Sanktionen, um auf die individuelle Sachlage eingehen zu können, die jeder Einzelfall mit sich bringt.
Sie können sich sicher vorstellen, dass sich in Briefen und Gesprächen auch der Unmut der Menschen ausdrückt, die Missbrauchsfälle kennen und die selbst auf Grundsicherung angewiesen sind. Die Möglichkeit zu sanktionieren muss es daher geben, gerade auch im Sinne sozialer Gerechtigkeit.
Diese Missbrauchsfälle sind aber die Ausnahme. Die allermeisten Leistungsbezieherinnen und -bezieher wollen arbeiten und wären froh, wenn sie einen Arbeitsplatz fänden. Dies zeigt auch die sehr geringe Sanktionsquote von lediglich etwa drei Prozent.

Es gibt darüber hinaus natürlich auch noch weitere Regelungen innerhalb der Grundsicherung, die es zu überarbeiten gilt. Ich freue mich deshalb, dass wir im Koalitionsvertrag mit der Union folgendes vereinbaren konnten: „Wer Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung hat, soll schneller und einfacher als bisher zu seinem Recht kommen. Die Verwaltungen vor Ort sollen so effizient und ressourcenschonend wie möglich arbeiten können. Deswegen wollen wir das Leistungs- und Verfahrensrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende vereinfachen und effektiver ausgestalten. Hierzu sollen insbesondere die Ergebnisse der 2013 gegründeten Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Rechtsvereinfachung im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) intensiv geprüft und gegebenenfalls gesetzgeberisch umgesetzt werden.“

In diesem Zusammenhang werden auch die Sanktionsregelungen überprüft werden und ich bin zuversichtlich, dass viele der genannten Forderungen umgesetzt werden können.

Wie dargestellt, gibt es durchaus berechtigte Kritik an der Hartz-IV-Gesetzgebung, die wir gemeinsam in der SPD erkannt haben und nun angehen werden. Ich sehe jedoch nicht, dass die Grundsicherung für Arbeitssuchende der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte widerspricht. Außerdem ist dieses Gesetz durch ein demokratisch gewähltes Parlament beschlossen worden. Zudem hat es ein klare soziale, da absichernde und helfende Funktion (in § 1 des Gesetzes sind die Ziele und Aufgabe definiert, wonach es den Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit erbracht werden) und zählt zu den Sozialgesetzen, die unser verfassungsrechtlich im Grundgesetz verankertes Sozialstaatsprinzip in diesem Fall durch die Sicherung des Existenzminimums umsetzt.

Gemeinsam mit meiner Partei, der SPD, setze ich mich außerdem seit langem dafür ein, dass gute Arbeit und ein menschenwürdiges Dasein ohne Armut für jeden möglich ist. Deshalb fordern wir gemeinsam mit den Gewerkschaften seit etwa zehn Jahren unter anderem einen allgemeinen gesetzlichen und flächendeckenden Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde, die Stärkung der Tarifbindung mit höheren Löhnen und Gehältern und treten dafür ein, dass prekäre Beschäftigung abgebaut und normale sozialversicherungspflichtige Arbeit wieder zum Standard in Deutschland wird. Dass uns die Umsetzung des Mindestlohnens nun ab dem 1. Januar 2015 gelungen ist, ist ein wahrer historischer sozialpolitischer Meilenstein für gute Arbeit und wird die Lebens- und Einkommenssituation von rund vier Millionen Menschen in unserem Land verbessern. Damit werden wir auch erreichen, dass zukünftig weniger Menschen zusätzlich zu ihrer Arbeit aufstockende SGB-II-Leistungen benötigen.

Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Hiller-Ohm