Frage an Gerlef Gleiss bezüglich Innere Sicherheit

Portrait von Gerlef Gleiss
Gerlef Gleiss
DIE LINKE
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Gerlef Gleiss zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Andreas B. •

Frage an Gerlef Gleiss von Andreas B. bezüglich Innere Sicherheit

Nachdem leider der Absatz zu Sterbehilfe - einem Thema, mit dem der rechte Menschenfänger Roger Kusch hofft, in die Bürgerschaft einzuziehen - aus dem Hamburger Wahlprogramm der LINKEN herausgenommen wurde, bitte ich Sie Ihre Position, die mir bekannt ist, einer breiteren Öffentlichkeit darzustellen.

Portrait von Gerlef Gleiss
Antwort von
DIE LINKE

Lieber Herr Bandl,

es stimmt leider, dass eine Passage gegen die Legalisierung der "aktiven Sterbehilfe" aus dem Wahlprogramm der LINKEN herausgestimmt wurde. Das finde auch ich sehr bedauerlich. Aber meine eindeutige Haltung dazu ist bekannt und dennoch hat mich DIE LINKE auf ihre Landesliste gewählt. Meine Position erläutere ich Ihnen und den LeserInnen von kandidatenwatch.de hier noch einmal:

Keine Legalisierung der „aktiven Sterbehilfe“

Der Hamburger Justizsenator Roger Kusch hat eine Gesetzesänderung zur Freigabe der „aktiven Sterbehilfe“ gefordert: „Verantwortungsvolle, mitfühlende Sterbehilfe ist für mich kein Verstoß gegen humane Grundwerte, sondern ein Gebot christlicher Nächstenliebe."
In Deutschland konnte bisher anders als in den Niederlanden oder Belgien die gesetzliche Freigabe der "Aktiven Sterbehilfe" nicht durchgesetzt werden. Ein Grund sind die Erfahrungen mit der Gesundheitspolitik des Hitler-Faschismus. Die Nationalsozialisten knüpften an der Propaganda für die angeblich so segensreiche und humane Freigabe der "aktiven Sterbehilfe" an, um ihr Programm der Vernichtung "lebensunwerten Lebens" und der Endlösung der sozialen Frage zu verwirklichen.
Im Zusammenhang mit den Prozessen gegen die „Euthanasie“ärzte des Dritten Reiches schrieb 1949 der amerikanische Arzt Leo Alexander, "dass allen, die mit der Frage nach dem Ursprung dieser Verbrechen zu tun hatten, klar wurde, dass sie aus kleinen Anfängen wuchsen. Am Anfang standen zunächst feine Akzentverschiebungen in der Grundhaltung. Es begann mit der Auffassung, die für die Euthanasiebewegung grundlegend ist, dass es Zustände gibt, die als nicht mehr lebenswert zu betrachten sind. In ihrem Frühstadium betraf diese Haltung nur die schwer und chronisch Kranken. Nach und nach wurde der Bereich jener, die unter diese Kategorie fielen, erweitert und auch die sozial Unproduktiven, die ideologisch Unerwünschten, die rassisch Unerwünschten dazugerechnet. Entscheidend ist jedoch zu erkennen, dass die Haltung gegenüber den unheilbar Kranken der winzige Auslöser war, der diesen totalen Gesinnungswandel zur Folge hatte."

Ich halte es daher für gefährlich und grundfalsch, die „Tötung auf Verlangen“ und die „aktive Sterbehilfe“ gesetzlich zuzulassen:

- Wenn der Staat es erst einmal zulässt, dass Ärzte ihren Patienten Tabletten oder Spritzen verabreichen, die als einziges Ziel haben, Patienten umzubringen, dann ist nicht nur der Missbrauch programmiert. Eine genaue gesetzliche Regelung führt auch dazu, dass auch der letzte Abschnitt des Lebens voll in der Routine des medizinischen und betreuungsrechtlichen Alltags aufgeht, dass sich dabei pragmatisch zweckgerichtetes Handeln durchsetzen und die Todesspritze zu einer normalen, gleichrangigen Alternative ärztlichen Handelns wird.

- Auch der Kommerz wird sich rasch der geänderten Rechtslage annehmen. Es wird einen Handel mit diesen Giften geben, das unkontrollierbare Internet bietet sich nahezu dafür an. Es wird einen „Sterbehilfe“-Tourismus und verstärkt spezielle Ärzte und Kliniken geben, deren bevorzugtes Geschäft es sein wird, schwerkranke und schwerstbehinderte Menschen zu töten.

- Die Rechtsprechung der letzten Jahre, aber auch die 1999 vorgelegten „Richtlinien zur Sterbebegleitung und Behandlungsabbruch“ der Bundesärztekammer haben zudem das Tor zur „aktiven Sterbehilfe“ weit aufgestoßen. Die Rechtsprechung in Deutschland verlangt vor einem Behandlungsabbruch die Prüfung, ob "ein bewußtes oder selbstbewußtes Leben für den betroffenen Patienten zu erwarten sei" (OLG Frankfurt 1998). Dieses Kriterium aber führt unausweichlich in ein Wertesystem, das menschliches Leben erster und zweiter Klasse unterscheidet, mit unterschiedlichem Anrecht auf Schutz und Menschenwürde. Das ist eine direkte Übernahme der Prämisse der Bioethik, dass es einen grundsätzlichen Unterschied gibt zwischen einem bewussten und selbstbewussten Leben von Personen, die deshalb ein volles geschütztes Lebensrecht haben, und einem menschlichen Leben von "Nichtpersonen", dem Bewusstheit und Selbstbewusstsein abgesprochen wird und das deshalb vernichtet werden darf, wenn das für die Gesellschaft insgesamt nützlicher erscheint.

- Wenn aktive Sterbehilfe generell freigegeben würde, dann sind sich Kranke und Behinderte buchstäblich ihres Lebens nicht mehr sicher. Permanent stünde ihnen die Aufforderung im Rücken: Warum stirbst du nicht endlich - Warum bittest du nicht um dein Ende?

- Von einem freien Willen kann bei der Bitte um die Giftspritze überhaupt nicht die Rede sein. Die Einsamkeit, die unzureichend behandelten Schmerzen, die schreckliche Situation in den Kliniken und Pflegeheimen, das Gefühl, nur noch anderen zu Last zu fallen, der mehr oder weniger direkte Druck des sozialen Umfeldes werden weit häufiger diese Bitte um den schnellen Tod bestimmen als der „freie“ Wille.

- Als eine wesentliche Hilfe für das Handeln des Arztes sollen demnächst auch in Deutschland verbindliche Patientenverfügungen dienen. Aber diese sogenannten Patiententestamente sind ja in der Regel in einer ganz anderen Lebenssituation verfasst worden. Und selbst wenn die Patientenverfügungen schon bei sehr fortgeschrittener Krankheit oder zu einem Zeitpunkt kurz vor Eintreten der Nichtzustimmungsfähigkeit verfasst werden, ist ihre Aussagekraft höchst zweifelhaft.
Und bei nichteinwilligungsfähigen Patienten sollen gesetzliche Betreuer, Angehörige, Ärzte und Vormundschaftsrichter den "mutmaßlichen Willen" der Betroffenen ermitteln. Was ist aber der "mutmaßliche Wille" und kann er überhaupt ermittelt werden? Der mutmaßliche Wille ist ein sehr manipulatives Instrument; er richtet sich nach dem Maß des durchschnittlich Vernünftigen. Die Gesunden würden also einem Kranken, in dessen Lage sie sich gar nicht hineindenken können, ihre Auffassung aufpressen.

- Dass Menschen in kritischen Lebenslagen mit Selbsttötungswünschen reagieren, ist normal. Die Frage ist dann, wie mit solchen Wünschen respektvoll umgegangen wird. Das Angebot des schnellen Todes ist hier ganz sicher der falsche Weg. Aufgabe des Arztes, der Pflegenden und der Angehörigen ist es vielmehr, in solchen Situationen die Not hinter dem Tötungswunsch sensibel wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Und wenn es nicht zu verhindern war, dass sich Menschen selbst töten, dann ist das allemal Anlass zu trauern, innezuhalten, nachzudenken, was falsch gelaufen ist. Es darf aber nicht zum Anlass genommen werden, neue Gesetze zu fordern, die die Selbsttötung oder das Tötung auf Verlangen erleichtern, oder gar eine neue „praktische“ Ethik oder Moral als sozial notwendig zu verlangen, die das Tötungstabu grundsätzlich aufhebt.

- "Sterbehilfe" ist nicht zuletzt eine ökonomische Frage. 60 bis 70 Prozent der gesamten Behandlungskosten eines Lebens fallen in den letzten zwei Lebensjahren an. Da ist die Versuchung groß, die maroden Gesundheitssysteme durch die Tötung dieser Patienten zu sanieren. Die Praxis der "Sterbehilfe" in den Niederlanden oder Belgien ist für die Kosten und Nutzen abwägenden Sozial- und Gesundheitspolitiker weltweit daher durchaus Vorbild.
Rund 40.000 Menschen fallen zum Beispiel in Deutschland jedes Jahr ins Koma, die meisten für wenige Tage oder Wochen, rund 3000 aber für mehr als ein halbes Jahr. Die Behandlung eines Komapatienten kostet monatlich mindestens 5.000 Euro. Es ist daher kein Zufall, dass diese Menschen am häufigsten als Argument für die „aktive Sterbehilfe“ herhalten müssen.
Ein radikales „Sterbehilfe“-Gesetz, die Zulassung der Giftspritze ist daher weit mehr ein Gebot des Wettbewerbs- und Standortvorteils als ein Gebot christlicher Nächstenliebe.