Frage an Hans-Christian Ströbele bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Hans-Christian Ströbele
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Leopold C. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Leopold C. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ströbele,

es ist zwar schon etwas her, aber trotzdem interessiere ich mich für den nun wiederbelebten Fall von Kurras.
Wie wichtig war er für den Ausbruch der Studentenrevolution und im speziellen der Gewalt?
Und wäre es möglich gewesen, die notwendigen Veränderungen auch ohne Gewalt geschehen zu lassen?
Sie scheinen mir damals versucht zu haben, einen vernünftigen Rechtsstaat aufrecht erhalten zu wollen. Wie konnten Sie zwischen den Fronten der Gewalt Lösungen erringen, die Ihren moralischen Vorstellungen entsprachen, ohne sich selbst in Unrecht zu begeben?
Ihre Meinung zu diesem Thema ist mir sehr wichtig.

Herzliche Grüße,
Leopold Coenders

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Coenders.

Schön, daß Sie sich für die Ereignisse vom 2. Juni 1967 und den Todesschuß von Kurras interessieren.

Ganz verstehe ich Ihre Fragen nicht. Aber ich versuche, sie trotzdem zu beantworten:
Die APO (Außerparlamentarische Opposition) oder "Studentenrevolte" gab es schon vor dem 2.Juni 1967. Gründe für die Revolte gab es viele, nicht nur den 2. Juni und dann später das Attentat auf Rudi Dutschke.

Die Ereignisse dieses Tages markieren nur den Höhepunkt der Gewalterfahrung, die die Demonstrantinnen und Demonstranten mit der Polizei bis dahin gemacht haben. Diese Erfahrung bestätigte die schlimmsten Erwartungen und Vorhersagen, daß der Staat mit faschistischer brutaler Gewalt reagiert, wenn die Politik in Deutschland und international fundamental kritisiert und deren Legitimation in Frage gestellt wird. Die Ereignisse und die staatlichen Reaktionen auf die Geschehnisse trugen erheblich dazu bei, daß viele, darunter auch ich, mit diesem Staat fertig waren. Auch am Rechtsstaat bin ich verzweifelt. Nicht nur wegen des Freispruchs für Kurras und der vielen harten gerichtlichen Verfolgungsmaßnahmen gegen Studenten. 1968 wurde vom Berliner Schwurgericht der einzige Richter der Volksgerichtshof der Nazis, der im Nachkriegsdeutschland überhaupt vor Gericht gestellt wurde, freigesprochen. Der Vorsitzende des Schwurgerichts war der Leiter meiner Arbeitsgemeinschaft in der Refendarausbildung. Wir Referendare haben dazu einen langen Kommentar verfaßt.
Ich war vorher nicht aktiv in der APO, sondern habe deren Aktionen mehr oder weniger von Außen beobachtet. Vom 2. Juni 1967 an habe ich mich engagiert und an fast allen Demonstrationen und Aktionen in Westberlin teilgenommen. Als Rechtsreferendar habe ich mich an der Aufklärung und Aufarbeitung der Ereignisse intensiv beteiligt und in unendlich viele Straf- und sonstigen Gerichtsverfahren Betroffenen juristischen Beistand geleistet. 1970 bin ich in die SPD eingetreten.

Nach dem 2. Juni hat die APO noch jahrelang versucht, durch Demonstrationen, Sit-Ins, Teach-Ins und andere Aktionen des zivilen Ungehorsams grundlegende Veränderungen in der westdeutschen Gesellschaft auf den Weg zu bringen.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele