Frage an Hans-Christian Ströbele bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Hans-Christian Ströbele
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Sebastian J. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Sebastian J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ströbele

Sie haben in der Vergangenheit viel Verständniss für die Reibungen, die beim mischen der Kultueren entstehen, gehabt.
Das sie immer den Kampf gegen den Nationalsozialismus gemahnt haben ehrt sie.
Nun, da die Reibungen der Kulturen von vielen Berlinern als "unerträglich" angesehen werden, stellt sich für mich eine neue Frage.
Im privaten Umfeld hört man immer wieder von großer Ablehnung der muslimischen Kulter. Die Ablehnung zeugt häufig von schlechten Erfahrungen, wie Beschimpfungen oder sexuellen Belästigungen. Die Handlungsweise der Aggressoren, erinnert in 1:1 Manier an dumpfe Nazis. Das Handeln ist geprägt von Lust an Gewalt, Nazionalismus und Rassentheorien. Dafür die Kohl Regierung verantwortlich zu machen, sowie mangelnde Integrationsbereitschaft der Deutschen, ist wie eine Rechtfertigung rechtsradikalter Übergriffe. Nämlich Unsinn!
Deutsche in Neukölln erleben häufig das, was Schwarze in "National befreiten Zonen" erleiden mussten.
Müssten sie, als linker Politker an dieser Stelle nicht intervenieren, um einen Rechtsruck zu vermeiden? Wie lautet ihre Strategie, um Großstadtstrassen wieder sicher zu machen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Jung.

Sie haben recht: Beschimpfungen, Beleidigungen und Gewalt sind stets unterträglich, von wem auch sie ausgeht. Und es stimmt auch, daß von islamischen Gruppen und Personen islamischen Glaubens aus arabischen Ländern oder auch der Türkei, Pakistans und dem Iran, die in Deutschland geboren oder nach der Geburt zugewandert sind, zuweilen Gewalt ausgeht. Häufig geschieht dies auch unter Berufung auf den Islam oder unter Berufung auf Sitten und Gebräuche in den Herkunftsländer. Beschimpfungen und auch ein wenig Gewalt aber ich selbst schon erlebt. Und unter meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder Freunden sind auch solche, die in dieser Hinsicht schlimme Erfahrungen gemacht haben. Selbstverständlich darf man dabei nicht bloß zusehen, sondern jeder und jede muß versuchen, auch solcher Gewalt entgegenzutreten. und das geschieht auch sehr häufig. Nur die Mißachtungs- und Gewalterfahrungen sind doch nichts Typisches für die Begegnung mit Menschen eines bestimmten Glaubens, etwa des Islams, oder der Herkunft aus bestimmten Ländern. Leider finden sich solche abzulehnende Verhaltensweisen bei Menschen jeglicher Herkunft und Glaubens. Auch Schüler aus christlichen Elternhäusern schimpfen und beleidigen in übler Art, quälen Mitschüler, bringen andere Menschen zu Tode. Medien sind täglich voll von Berichten über solche Ereignisse. Mal stehen Hooligans, mal harmlos wirkende deutsche Schüler, mal Kinder von Einwanderern aus Osteuropa, mal auch arabische oder türkische Jugendgangs in den Schlagzeilen. Die Auswahl ist manchmal willkürlich, manchmal durch besonders schlimme Auswüchse oder dramatische Ereignisse bestimmt. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, etwa daß die Häufigkeit der Kriminalität von Jugendlich viel stärker von der sozialen Situatition und Perspektivlosigkeit abhängt als vom Herkunftsland oder der religiösen und kulturellen Zugehörigkeit oder fehlender Integratition. So begehen statistisch gesehen etwa Kinder von deutschstaatlichen Einwanderer aus Osteuropa, die in Sammelunterkünften untergebracht sind, häufiger Straftaten als in Deutschland geborene Jugendliche verschiedener Herkunft und Glaubens.

Es wird immer wieder übersehen, Beschimpfungen, Beleidigungen, Gewaltdrohungen und Gewaltanwendung sind in Deutschland Straftaten. Ganz egal von wem sie ausgeübt werden. Zuständig für die Verfolgung von Straftaten sind Staatsanwaltschaft, Polizei und Gerichte und auch für die Verhinderung solcher Handlungen in erste Linie die Polizei. So soll es auch bleiben. Was nicht heißt, daß die Bevölkerung nicht das Ihre dazu beitragen kann und dazu beiträgt, solchen Handlungen entgegenzutreten. Z.B. indem sie signalisiert und klar Stellung nimmt, daß solches nicht akzeptiert und nicht geduldet wird. Das tun viele Bürgerinnen und Bürger, auch in Neukölln und auch solche aus islamgläubigen Familien. Ich habe auch erlebt, wie Familienväter auf ihre Kinder wortgewaltig eingeredet haben. Wenn nicht genügend Schutz gewährt wird, ist der Polizeischutz zu verbessern. Das geschieht hin und wieder. Möglicherweise nicht genug. Dann muß in jedem konkreten Einzelfall darauf hingewirkt werden. Vollständigen Schutz vor solcher vor Kriminalität wird es nicht geben, genauso wenig wie den vor anderer Kriminalität oder auch der mit rechtsradikalem Hintergrund, wie ich am eigen Leib erfahren mußte. Das ist aber kein Grund zu versuchen, Gewalt in unserer Gesellschaft ganz oder zum überwiegenden Teil der Einwanderung oder den Einwanderer bestimmter Herkunft und bestimmten Glaubens zuzuschieben. Das wäre die Suche nach dem Sündenbock. Damit wird all den ganz überwiegend vielen Menschen dieser Herkunft und diesen Glaubens bitter Unrecht getan, die Beschimpfungen und Gewalt genauso ablehnen wie Sie und ich.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele