Frage an Hans-Christian Ströbele bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Hans-Christian Ströbele
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Jonathan S. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Jonathan S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ströbele,

in Ihrer Antwort auf eine Frage von Herrn Wesemann am 14.02.2009 befürworten Sie eine direkte Beteiligung der Bürger der Bundesrepublik an deren Gesetzgebung und Entscheidungen.

Eine solche Form der (teilweisen) direkten Demokratie gibt es zum Beispiel auf bundesstaatlicher Ebene in den Vereinigten Staaten - mit durchaus schlechten Ergebnissen.
Ende letzten Jahres wurde zum Beispiel die sog. "prop 8" verabschiedet. (52% der Wählerstimmen dafür, 48% dagegen) Diese Gesetzesvorlage ergänzt die kalifornische Verfassung um einen Passus der gleichgeschlechtliche Ehen explizit verbietet. Wer zu der Zeit in Kalifornien war, wird vor jedem zweiten Haus die Werbeschilder der verschiedenen Kampagnen gesehen haben.
Die Stimmung war äußerst aufgeheizt, unversöhnlich - und im Übrigen auch von teuren Marketingkampagnen aufgestachelt.
Nun ist es verlockend zu argumentieren, man brauche eine Zweidrittelmehrheit für solch schwerwiegende Entscheidungen - oder 75%? Oder gar 90%? Das grundsätzliche Problem bleibt allerdings, und Kant hat es sehr treffend auf den Punkt gebracht mit:

"Unter den drei Staatsformen ist die der Demokratie, im eigentlichen Verstande des Wortes, notwendig ein Despotism, weil sie eine exekutive Gewalt gründet, da alle über und allenfalls auch wider einen (der also nicht mit einstimmt), mithin alle, die doch nicht alle sind, beschließen; welches ein Widerspruch des allgemeinen Willens mit sich selbst und mit der Freiheit ist."

(Auch Kant bezieht sich hier wohl ausschließlich auf direkte Demokratien)

Hinzu kommt: Wenn Sie die kalifornischen Einwohner fragen, was sie von den direkten Abstimmungen halten, werden sie hören, daß auch hochgebildete Menschen mit Universitätsabschluss keine Ahnung haben was hinter den dutzenden Gesetzesvorlagen steckt über die sie abstimmen müssen.

Ich frage mich nun, wo Sie die - möglichst nicht willkürlichen - Grenzen einer direkten Demokratie ziehen würden.

Vielen Dank im Voraus

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Sonntag.

Ihre Bedenken kann ich verstehen und nachvollziehen. Gerade auch das von Ihnen genannte Beispiel aus Kalifornien zeigt, daß bei Volksentscheiden Ergebnisse rauskommen, die ich gar nicht gut finde und gern verhindern würde. Nur ist die Möglichkeit solcher schlechten Ergebnisse für mich kein ausreichender Grund, mich grundsätzlich gegen Volksentscheide zu wenden. Wenn wir Demokratie, also die Herrschaft des Volkes, wollen, müssen wir auch Mehrheitsentscheidungen in Kauf nehmen, die uns nicht gefallen oder ganz einfach falsch sind. Das Grundgesetz sieht daher zurecht für die Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk neben Wahlen auch Abstimmungen vor.
Ich bin aber durchaus bereit, darüber nachzudenken, ob in ein Gesetz zur Regelung der Volksabstimmungen Regelungen aufgenommen werden sollten, die Volksentscheide nicht zulassen, die Würde von Menschen antasten oder Grundrechte von Bürgerinnen und Bürger oder Rechte von Minderheiten im Wesensgehalt verletzen, sofern solche nicht ohnehin verfassungswidrig wären. Nach dem von der grünen Bundestagsfraktion vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes waren neben Einschränkungen für das Haushaltsrecht auch Volksintiativen für die Wiedereinführung der Todesstrafe unzulässig.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele