Frage an Harald Terpe bezüglich Innere Sicherheit

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Harald Terpe
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Frage von Martin H. •

Frage an Harald Terpe von Martin H. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Dr. Terpe,

bei der Diskussion um die Abschaffung der Wehrpflicht geht es meistens um Argumente wie Kosten oder die "Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft". Für mich steht ein anderes Argument im Vordergrund, nämlich wie können wir uns gegen Angriffe von außen wehren und möglichst wenige Kriege führen? Mir scheint, dass eine Armee, die praktisch nur aus Wehrpflichtigen besteht, wie in der Schweiz, die beste Garantie für beides ist. (Nicht von ungefähr hat die Schweiz seit langem keine völkerrechtswidrigen Angriffskriege geführt und ist auch lange nicht mehr von außen angegriffen worden.)

Was sagen Sie zu dem Argument, dass eine Berufsarmee Länder dazu verleiten kann, sich in blutige und teure Kriegsabenteuer zu stürzen, weil es ja nur diejenigen trifft, die sich freiwillig gemeldet haben (meist aus den ärmeren Schichten) und dafür ohnehin bezahlt werden? Viele Beobachter, gerade in den USA, meinen, dass der völkerrechtswidrige Irak-Krieg mit einer Wehrpflichtarmee niemals geführt worden wäre. Und auch für völkerrechtswidrige Kriege wie den Kosovo-Krieg oder den drohenden Angriff auf den Iran fände sich in Deutschland wohl keine Mehrheit, wenn alle ihre Söhne und Töchter schicken müssten (abgesehen davon, dass eine reine Wehrpflichtarmee gar nicht über die Logistik für solche im Grunde auch grundgesetzwidrigen Kriege fernab unserer Bevölkerung verfügen würde).

Bei der Argumentation für die Abschaffung der Wehrpflicht auf seiten von Bündnis90/Die Grünen bekommt man manchmal den Eindruck, als verträten Sie inzwischen ungefähr dieselben Ansichten zur Weltpolitik wie George W. Bush. Gibt es noch besondere friedenspolitische Akzente Ihrer Partei, oder haben Sie inzwischen auch die FDP (die ja immerhin zunächst gegen UNFIL war) rechts überholt?

Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen,
Ihr
Prof. Dr. Martin Haspelmath

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Prof. Dr. Haspelmath,

Vielen Dank für Ihre Anmerkungen und Fragen zur grünen Position der Abschaffung der Wehrpflicht.

Deutschland befindet sich im 21. Jahrhundert im Frieden mit seinen Nachbarn und ist in zahlreiche multilaterale Bündnisse eingebunden. Wir sind von Freunden umgeben. Angriffskriege oder andere manifeste territoriale Bedrohungen sind nicht erkennbar. Daher halten wir den hohen Stellenwert der Landesverteidigung innerhalb der derzeitigen Bundeswehrstrukturen für überholt.

Wir GRÜNEN sind überzeugt davon, dass eine professionelle Armee nötig ist, um den sicherheitspolitischen Herausforderungen im 21. Jahrhundert begegnen zu können. Den Bedrohungen, denen sich die Menschheit ausgesetzt sieht, kann nicht mit großen Armeen von Wehrpflichtigen begegnet werden. Selbst wenn wir über potentielle Angriffe auf den Staat wie bspw. durch cyberwarfare nachdenken, könnte eine große Armee hier nichts ausrichten. Neue Risiken für den Frieden entstehen durch Klimawandel, Fragen der Ressourcenverteilung, fragile Staaten sowie neuen Aufrüstungsdynamiken und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Dies sind alles Bedrohungen, denen mit großen Armeen nicht begegnet werden kann.

Der VN-mandatierte Einsatz der Bundeswehr zur Gewalteindämmung, Gewaltverhütung und Friedenskonsolidierung in Regionen außerhalb Europas ist wahrscheinlicher als der Fall der Landesverteidigung. Daher muss die Bundeswehr zur Bewältigung entsprechender Aufträge in einem multilateralen Kontext befähigt und aufgabenorientiert aufgestellt werden. Die Aufgaben der Bundeswehr ergeben sich aus dem Grundgesetz und der allgemeinen Bedrohungssituation. Militärische Abenteuer oder eine Militärpolitik zur Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen lehnen wir ab. Auslandseinsätze werden grundsätzlich nur in einem multilateralen Rahmen durchgeführt.

In Europa ist die Wehrpflicht ein Auslaufmodell, gleichwohl zeichnen sich keine Tendenzen zu aggressivem Verhalten unserer EU-Partner ab. Außer Deutschland halten nur 6 der 27 EU-Staaten an der Wehrpflicht fest. Allein in den vergangenen zehn Jahren haben 17 EU-Staaten die Wehrpflicht für sicherheitspolitisch verzichtbar gehalten und abgeschafft. Dass sich all diese Länder leichtfertig in blutige und teure Kriegsabenteuer stürzen, ist nicht erkennbar.

Schon heute ist die Wehrpflicht nicht mehr gerecht organisiert: Für 85% der Wehrpflichtigen hat die Bundeswehr keinen Platz mehr. Heute leisten mehr als 60 % der Wehrpflichtigen keinerlei Dienst, 20 % Zivildienst, 10 % den gesetzlichen Grundwehrdienst, 5 % einen freiwilligen Wehrdienst. Die allgemeine Wehrpflicht wird also vor allem von Kriegsdienstverweigerern erfüllt. 2008 wurden 85.000 Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst aber nur etwa 45.000 Wehrpflichtige zum 9-monatigen Grundwehrdienst herangezogen.

Sie fragen nach dem sicherheitspolitischen Profil von Bündnis 90/Die Grünen: Zentrales Handlungsprinzip grüner Friedens- und Sicherheitspolitik ist die zivile Konfliktbearbeitung. Dabei stellen wir zivile Konfliktprävention in den Vordergrund. Für uns ist Sicherheit mehr als die Abwesenheit von Krieg. Daher zielt grüne Sicherheitspolitik auf die Beseitigung der Gewalt- und Konfliktursachen ab und steht für die Förderung des Friedens, den Schutz der Menschenrechte, Abrüstung, soziale und ökologische Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und die Stärkung des internationalen Rechts.

Für globale sicherheitspolitische Herausforderungen gibt es keine nationalen Lösungen. Wir setzen auf die Stärkung eines kooperativen Multilateralismus und auf kollektive Friedenssicherung im Rahmen und im Auftrag der Vereinten Nationen. Rein militärische Konfliktlösungen lehnen wir ab. Das Militär kann nicht den Frieden selbst, sondern unter bestimmten Bedingungen nur den Rahmen für die zivile Konfliktbearbeitung schaffen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Harald Terpe

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