Frage an Harald Terpe bezüglich Wirtschaft

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Harald Terpe
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Konrad S. •

Frage an Harald Terpe von Konrad S. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Dr. Terpe,

Ihre Partei ist der Auffassung, dass Wirtschaftswachstum Grenzen gesetzt sind, und versteht sich selbst als wachstumskritisch.
(Vgl. http://www.gruene.de/einzelansicht/artikel/sind-die-grenzen-des-wachstums-erreicht.html?tx_ttnews%5BbackPid%5D=212 )
Trotzdem will Ihre Partei in die Wirtschaft und daher auch in Wirtschaftswachstum investieren. (Vgl. http://www.gruene.de/einzelansicht/artikel/wirtschaftsfoerderung-die-wirkt.html?tx_ttnews%5BbackPid%5D=212 )
Daher meine Frage: Inwiefern führt für Sie wirtschaftliches Wachstum zu Wohlstand (auch nicht materiellen)? Wann ist Wirtschaftswachstum für die Grünen positiv und wünschenswert und wann stehen die Grünen Wirtschaftswachstum ablehnend gegenüber? Wollen die Grünen vom Wachstum loskommen, und wenn ja, wie gedenken Sie die daraus resultierenden Probleme, die Ihre Partei in der ersten angegebenen Quelle nennt, zu bewältigen?

Mit freundlichen Grüßen

Konrad Schröder

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schröder,

herzlichen Dank für Ihre Frage. Die Grenzen des Wachstums werden spätestens seit 1972 mit dem Erscheinen des gleichnamigen Buches von Donella und Dennis Meadows diskutiert. Es basiert auf der Erkenntnis, dass die Ressourcen unseres Planeten begrenzt sind. Und zwar in doppelter Hinsicht:
Zum einen gibt es keine unbegrenzten Rohstoffvorkommen in unserer Erde. Seit wir den Vorratsgrenzen näher kommen, wird heftig darüber diskutiert, wo diese Grenzen liegen. Aktuelle Beispiele sind die Diskussionen um Ölreserven in der Tiefsee nachdem die BP-Plattform im mexikanischen Golf explodiert ist. Wir Grüne sind grundsätzlich gegen die Bergung auch der letzten Rohstoffvorkommen, wenn dadurch das ökologische Gleichgewicht ins Wanken gerät sowie Menschenrechte verletzt und Arbeiter ausgebeutet werden. Gleichzeitig aber benötigen wir bestimmte Rohstoffe, z.B. Lithium für die Batterien von Elektroautos, um die andere Grenze ressourcenbasierten Wachstums zu beachten.
Die andere Grenze ist die, dass mit der Verwertung fossiler Ressourcen das darin über jahrtausende gebundene Kohlendioxid freigesetzt wird, wodurch Klimaveränderungen entstehen, die unser Leben bedrohen. Dass Stürme und Überschwemmungen in Deutschland und weltweit zugenommen haben, ist Ihnen sicher nicht entgangen.
Ressourcenbasiertes Wachstum hat also Grenzen. Wir Grüne setzen uns deshalb dafür ein, das Wachstum von den Ressourcen weitestgehend abzukoppeln und setzen auf Ressourcen- und Energieeffizienz, Reduzierung des absoluten Verbrauchs durch Wiederverwertung (Recycling) und Kaskadennutzung (Mehrfachnutzung von Rohstoffen) und auf erneuerbare und nachwachsende Rohstoffe.

Jetzt zur immateriellen Seite, die Sie ebenfalls angesprochen haben.
Das Bruttoinlandsprodukt als Indikator für Wirtschaftswachstum enthält jene Leistungen einer Volkswirtschaft, die monetär erfassbar sind. Das heißt, die von Ihnen angesprochenen "nicht materiellen" Leistungen, wie z.B. ehrenamtliches Engagement, sind nicht enthalten.
Problematisch ist dabei, dass Wirtschaftswachstum häufig noch als Maßstab für die Wohlfahrt einer Gesellschaft betrachtet wird. Wir wissen aber inzwischen, dass in einem bestimmten Entwicklungszustand eines Landes zwar Wachstum zunächst mehr Wohlstand für alle bringt, ab einem bestimmten Wohlstand die Lebenszufriedenheit aber nicht mehr zunimmt. Wir in Deutschland sind an einer solchen Stelle angekommen. Also brauchen wir neben der Wachstumsdebatte auch eine Diskussion darüber, was wir unter Wohlfahrt und Lebensqualität verstehen und wie wir dies erreichen können.

Darüber hinaus müssen wir die Wachstumsdebatte im globalen Kontext betrachten. Schwellenländer wie China und Indien sowie zahlreiche Entwicklungsländer brauchen Wirtschaftswachstum. Würden diese Länder dies mit denselben Kohlendioxid-Emissionen erwirtschaften, wie sich dies die entwickelten Länder in den vergangenen Jahrzehnten erlaubt haben, würde das Klima kollabieren noch bevor sämtliche Ressourcen verbraucht sind. Wir müssen uns damit beschäftigen, weil wir die materialintensiven Produkte zunehmend importieren, also Ressourcenverbrauch und Emissionen in anderen Ländern verursachen.

Es gibt auf all diese komplexen Fragen keine fertigen Antworten. Fest steht, dass wir nicht auf Kosten der Lebensgrundlagen künftiger Generationen wachsen dürfen. Fest steht auch, dass mehr Wachstum nicht automatisch mehr Wohlstand für alle bringt. Ziel muss es sein, unabhängig vom Wachstum mehr Lebensqualität zu erreichen.
Deshalb diskutieren wir darüber, wenn manchmal auch unterschiedlich. Und deshalb unterstützen die Grünen die Einrichtung einer Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt“. Den Antrag finden Sie im Internet unter:

http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/029/1702950.pdf

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Dr. Harald Terpe

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