Frage an Harald Terpe bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Harald Terpe
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Frage von Holger J. •

Frage an Harald Terpe von Holger J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Terpe,

wie ich heute in der Telepolis lesen musste, befürwortet die Sprecherin ihrer Fraktion Silke Stokar neuerdings den Ausbau der Videoüberwachung im öffentlichen Raum (hier öffentliche Verkehrsmittel). Ist das eine Einzelmeinung oder ist damit Bündnis90 als Bürgerrechtspartei umgekippt?

Wie jeder einigermaßen rationale Mensch weiß, wird so etwas weder Terroranschläge noch sonstige Gewaltverbrechen verhindern. Diese können höchstens besser ermittelt werden, wenn sie sich nicht gar in andere, nicht überwachte Räume verlagern. Wird ihre Partei dann auch die großzügige Überwachung dieser Räume (nach britischem Vorbild) befürworten? Terroristen des Kalibers der Anschläge von London und Madrid werden sich davon außerdem kaum abschrecken lassen. Der Sinn derartiger Maßnahmen ist also fragwürdig und stellt nur einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung des Bürgers dar. Vor allem, wenn die damit beauftragten Institutionen, dem Trend folgend, privatisiert werden.

Sollte es sich also um keine Einzelmeinung handeln, dann würden mich die Gründe interessieren. Ist es tatsächlich ein politischer Schachzug um sich dem konservativen Lager anzubiedern und die Überwachung des öffentlichen Raumes für Sie nur ein kleiner Eingriff in die Freiheit der Bürger darstellt? Gauben Sie dann wirklich, in einer deratigen Koaltion etwas erreichen zu können, wo Sie doch momentan als Opposition schon viel zu leise sind? Oder glauben Sie tatsächlich an die "Bedrohungslage durch islamistischen Terrorismus" für Deutschland, die so gern vom IM Schäuble propagiert wird? Wieviele konkrete Anschlagspläne und -versuche wurden denn durch die bisherigen zusätzlichen Maßnahmen verhindert? Und glauben Sie, dass die erkennungsdienstliche Behandlung aller deutschen Staatsbürger diese Zahl erhöhen könnte?

Ich halte diese Fragen für außerordentlich wichtig, da ich im momentanen Trend eine Abkehr von den demokratisch freiheitlichen Werten unseres Landes erkenne.

Vielen Dank
Holger Jorra

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Sehr geehrter Herr Jorra,

Das Silke Stokar zugeschriebene Zitat aus der Telepolis zur Videoüberwachung ist aus dem Zusammenhang gerissen. Ob der Autor des Artikels eine bestimmte Absicht damit verfolgt oder ob es sich einfach nur um einen Fehler handelt, sei mal dahingestellt.

Zum Hintergrund:
Die Videoüberwachung auf Bahnhöfen ist in einem geheimen Vertrag zwischen dem Bundesministerium des Innern und der Deutschen Bahn geregelt. Silke Stokar hat nun einen "Antrag auf Akteneinsicht zum gemeinsamen Sicherheitszentrum der Deutschen Bahn AG und Bundes" nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestellt. Ihr Ziel war es, mehr Transparenz in die Videoüberwachung auf Bahnhöfen zu bringen. Die Folge des Vertrages zwischen Bahn und Innenministerium ist eine Art "Teilprivatisierung". Damit wird die Datenschutzkontrolle unterlaufen und das Parlament ausgeschaltet. Wir stellen als Bundestag für diese gemeinsame Sicherheitszentrale von Bahn und Bundespolizei zwar Haushaltsmittel zur Verfügung, haben aber auf die Gestaltung nicht den geringsten Einfluss. Dies hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass immer mehr Kameras installiert wurden, an deren Ende lediglich ein 48-Stunden-Aufzeichnungsband hängt. Diese Billigvariante führt zu immer mehr Überwachung ohne einen belegbaren Sicherheitsgewinn. In ihrer Presseerklärung "Transparente Qualitätskontrolle für Videoüberwachung auf Bahnhöfen" ( http://www.stokar.de/presse/647631.html ) fordert sie Auskunft darüber, wie viele Bahnhöfe mit Kameras überwacht werden und welche Vereinbarung es zur Qualität der eingesetzten Technik gibt. Ihre Aussage wörtlich: "Die Übertragung von Aufgaben auf den privaten Sicherheitsdienst der Bahn darf nicht zu gefährlichen Sicherheitslücken führen." Ob der Begriff der Sicherheitslücke in diesen Zusammenhang glücklich gewählt ist, sei ebenfalls dahingestellt.

Dass Videoüberwachung unter bestimmten Umständen an besonders gefährdeten Orten zu mehr Sicherheit an diesen Orten führen kann, wird wohl von niemandem bestritten. Übrigens auch nicht von der Linkspartei. Allerdings ist dafür eine klaren Regelung notwendig, in der insbesondere der angemessene Umfang der Überwachung definiert werden. Eine flächendeckende Überwachung öffentlicher Orte, wie unter anderem von Schäuble ins Gespräch gebracht, hat weder Silke Stokar gefordert noch ist dies Beschlusslage der Partei. Insofern ist ihre Sorge, die Grünen seien als Bürgerrechtspartei umgekippt, unbegründet.

Davon abgesehen teile ich Ihre Bedenken, dass die derzeit raumgreifende Diskussion über neue Sicherheitsinstrumente die Fundamente unserer freiheitlichen Demokratie beschädigen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Harald Terpe

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