Frage an Heinz Lanfermann von Sören Z. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Heinz Lanfermann,
vor knapp einer Woche wurde die Vorratsdatenspeicherung mit der Mehrheit von CDU und SPD durchgewunken. Unter anderem ihre Fraktion hat dies abgelehnt.
Mich als Wähler ihres Stimmkreises und Nutzer sämtlicher Telekommunikationsmittel interessiert, ob Sie Konsequenzen für unser deutsches Demokratieverständnis sehen und ob es möglicherweise ein Demokratieproblem der repräsentativen Demokratie gibt? Immerhin ging es bei der Vorratsdatenspeicherung um das grundgesetzlich gedeckte Recht auf informeller Selbstimmung und das Fernmeldegeheimnis, -welche schwerliche mit der flächendeckenden anlassunabhängigen Speicherung von persönlichen Daten konform geht.
Können Sie mir als engagiertem und politisch denkendem Mitbürger einen Ratschlag geben, den Glauben an die "gute alte" Parteidemokratie aufrecht zu erhalten und gleichzeitig zu sehen, das Gesetze welche die innere Sicherheit betreffen, vermehrt erst vom Verfassungsgericht einkassiert werden. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen derartigen Entscheidungen und dem meiner Meinung stärker werdenden Bedürfnis zu einer Entprofessionalisierung der Politik und einer direkten Demokratie?
Als letztes möchte ich sie noch fragen, ob Sie die von verschiedenen Organisationen angestrebte Verfassungsbeschwerde bzgl. der Vorratsdatenspeicherung mittragen möchten? Wir würden Ihnen sehr gerne, die entsprechenden Formulare auch persönlich zukommen lassen.
Mit freundlichen Grüssen
Sören Zetzsche
Sehr geehrter Herr Zetzsche,
die FDP-Bundestagsfraktion hat die von der Bundesregierung vorlegten Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung und zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung Anfang November 2007 im Deutschen Bundestag abgelehnt. Auf unseren Antrag wurde über das Gesetzgebungsvorhaben namentlich abgestimmt - übrigens ist so auch deutlich geworden, dass selbst in den Reihen der Regierungskoalition einige Parlamentarier dem Vorhaben ihre Zustimmung verweigert haben.
Die Verpflichtung von Kommunikationsunternehmen künftig alle Verbindungsdaten pauschal, das heißt verdachtsunabhängig und ohne Anlass sechs Monate zu speichern, ist eindeutig unverhältnismäßig. Da derzeit auch eine Klage beim Europäischen Gerichtshof gegen die EG-Richtlinie anhängig ist, haben wir mehrfach gefordert, zunächst das Urteil abzuwarten, bevor mit der Umsetzung Fakten geschaffen werden.
Mehrere Bürger, darunter auch FDP-Politiker haben bereits angekündigt, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Ihre Chancen stehen nicht schlecht, dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz kippt.
Die Pläne zur Vorratsdatenspeicherung widersprechen dem früheren Willen des Deutschen Bundestages. Im Jahr 2004 hat der Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen einen Beschluss gefasst, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, eine Vereinbarung, die eine Verpflichtung für Unternehmen zur Mindestspeicherungsfrist von Verkehrsdaten vorsieht, in den Gremien der Europäischen Union nicht mitzutragen. Es ist daher außerordentlich bedauerlich, dass sich die Bundesregierung über dieses einstimmige Votum des Deutschen Bundestages hinweggesetzt hat und der entsprechenden Richtlinie zugestimmt hat. Die Speicherung von Daten auf Vorrat begegnet unverändert grundsätzlichen Bedenken in rechtsstaatlicher, wirtschaftlicher und technischer Hinsicht. In diesem Zusammenhang ist es unverständlich, dass die Bundesregierung bei der Umsetzung dieser Richtlinie an einigen Punkten sogar über deren Regelungsgehalt hinausgeht. Dies betrifft insbesondere die Erweiterung der Verwendungszwecke der Daten. Es muss bezweifelt werden, ob die Vorschläge der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Richtlinie tatsächlich verfassungskonform sind. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält zudem unverhältnismäßige Belastungen für die Telekommunikationsunternehmen. Die Vorschriften sind für die betroffenen Unternehmen mit vielfältigen Verpflichtungen verbunden, ohne dass dafür eine angemessene Entschädigungsregelung vorgesehen ist.
Die FDP-Bundestagsfraktion erhebt seit Jahren die Forderung nach einer Gesamtreform der Telekommunikationsüberwachung. Es ist lange bekannt, dass es große Defizite in der geltenden Rechtspraxis gibt. Eine große Anzahl der richterlichen Anordnungen von Telefonüberwachungsmaßnahmen sind fehlerhaft. Auch die Benachrichtigungspflichten an die Beteiligten werden nur sehr unzureichend erfüllt. Zudem steigen die einzelnen Überwachungsmaßnahmen von Jahr zu Jahr stetig an ? eine Ausnahme war bisher nur das Berichtsjahr 2006. Eine Reform der gesetzlichen Grundlagen ist daher dringend notwendig. Vor diesem Hintergrund haben wir es auch grundsätzlich begrüßt, dass die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt hat. Die Telekommunikationsüberwachung ist ein wichtiges Instrument zur effizienten Bekämpfung der Kriminalität. Da aber jede Überwachungsmaßnahme gleichzeitig mit Eingriffen in die grundrechtlich geschützten Lebensbereiche der Bürgerinnen und Bürger verbunden ist, ist es dringend geboten, das wichtige Instrument der Telefonüberwachung rechtsstaatlich einwandfrei auszugestalten.
Es muss bezweifelt werden, ob die jetzt beschlossenen Regelungen tatsächlich zu der gewünschten Begrenzung der Überwachungsmaßnahmen führen werden, nicht geglückt sind auch die Vorschriften für Berufsgeheimnisträger. Der Gesetzentwurf, wie er nun vom Bundestag beschlossen wurde, bemüht sich, einen einheitlichen Schutz für bestimmte Berufsgruppen zu gewährleisten, die konkrete Ausgestaltung ist jedoch fragwürdig. Es wird eine Verhältnismäßigkeitsprüfung eingeführt, die den vermeintlichen Schutz nur sehr unzureichend garantiert. Bei der vorgeschlagenen Verhältnismäßigkeitsprüfung wird jeweils im Einzelfall geprüft und festgestellt, inwieweit der Schutz des Berufsgeheimnisträgers reichen soll. Es bleibt daher zunächst offen, in welchem Umfang Angehörige der betroffenen Berufsgruppen bei ihrer Berufsausübung geschützt sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in letzter Zeit wiederholt die besondere verfassungsrechtliche Stellung von Berufsgeheimnisträgern betont. Der Schutz von Berufsgeheimnisträgern vor verdeckten Ermittlungsmaßnahmen muss daher entsprechend ihrer verfassungsrechtlichen Bedeutung so ausgestaltet werden, dass ein effektiver Grundrechtsschutz gesichert ist. Zur Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens muss der Vertrauensschutz zwischen zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsangehörigen und denen, die ihre Hilfe in Anspruch nehmen, unbedingt gewährleistet werden. Eine willkürliche Differenzierung zwischen bestimmten Berufsgruppen unterläuft das grundrechtlich geschützte Vertrauensverhältnis.
Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hat im September 2007 eine Sachverständigenanhörung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung durchgeführt. Die Experten haben überwiegend die Kritik der FDP-Bundestagsfraktion bestätigt. Insbesondere wurden die Vorschriften über die Berufsgeheimnisträger als unzureichend angesehen. Leider hat sich die schwarz-rote Regierungsmehrheit über diese Bedenken hinweggesetzt.
Der Gesetzentwurf war aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion nicht zustimmungsfähig. Die FDP-Bundestagsfraktion hat daher einen Entschließungsantrag eingebracht (BT Drs 16/7017). Diesen und weitere Informationen zum Thema können Sie unter http://www.fdp-fraktion.de einsehen.
Leider konnte aber gegen die Stimmen der Großen Koalition die Beschlussfassung nicht aufgehalten werden. Dies bedaure ich mit Blick auf das letztlich beschlossene Gesetz ausdrücklich.
Zwischenzeitlich wurde aber auch aus den Reihen der Abgeordneten der FDP-Bundestagsfraktion Verfassungsbeschwerde gegen die Einführung der Vorratsdatenspeicherung erhoben, was ich sehr begrüße. Mit Blick auf das Gesetz sehe ich Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes mit einigem Optimismus entgegen.
Ihr Heinz Lanfermann, MdB