Frage an Jens Ehrlinger bezüglich Bildung und Erziehung

Jens Ehrlinger
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Sabine G. •

Frage an Jens Ehrlinger von Sabine G. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Ehrlinger,

als Elternvertreter beider Erdinger Gymnasien haben wir folgende Fragen an Sie:

Fragen an die Landtagskandidaten - Thema: Schulpolitik

1.In der bayerischen Schulpolitik gibt es seit einigen Jahren immer nur punktuelle Veränderungen, um die eklatantesten Mängel zu beheben.
Haben Sie bzw. hat Ihre Partei ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Bildungspolitik?

2.Die soziale Herkunft entscheidet meist über eine erfolgreiche Schullaufbahn. Was sollte getan werden, um das zu ändern?

3.Das bayerische Schulsystem beruht größtenteils auf Auslese. Welche Maßnahmen möchten Sie ergreifen, um den Schwerpunkt auf Förderung statt Auslese zu legen?

4.Wie stehen Sie zur bayernweiten Einführung und Finanzierung der Schulsozialarbeit an allen Schulen?

5.Halten Sie die jetzige Lehrerausbildung für reformbedürftig und wenn ja, in welcher Richtung?

6.Planen Sie, die Klassenstärken an den Gymnasien zu verringern und wenn ja, in welchem Zeitraum?

7.Welche Maßnahmen möchten Sie ergreifen, um den gravierenden Fachlehrermangel z. B. in den Naturwissenschaften und in Latein an den Gymnasien zu beheben? Wir denken dabei an pädagogisch ausgebildete Fachlehrer!

8.Wie möchten Sie eine ausreichende Versorgung mit Ausbildungsstellen bzw. Studienplätzen für den doppelten Abiturjahrgang in zwei Jahren sicherstellen? Eine Verweisung auf Kapazitäten in den neuen Bundesländern ist sicher keine Lösung!

Herzlichen Dank für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Ulla Dieckmann, Gymnasium Érding II
Sabine Griebel, Anne-Frank-Gymnasium

Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Dieckmann,
sehr geehrte Frau Griebel,

vielen Dank für Ihre Fragen, die sehr transparent einige eklatante Probleme des bayerischen Bildungssystems aufzeigen.

Auch wenn für Sie vielleicht Ihre Fragen aufgrund der Podiumsdiskussion des Münchener Merkurs vergangene Woche bereits geklärt sind, möchte ich doch zur Sicherheit noch mal auf die Punkte eingehen. Ich gebe Ihnen absolut Recht in Ihrer Einschätzung, dass die bayerische Schulpolitik seit Jahren nur noch daraus besteht, Mängel notdürftig zu flicken. Auch mir erweckt sich schon lange der Eindruck, dass der CSU hier jegliches Konzept fehlt. Dabei werden punktuelle Lehrereinstellungen medienwirksam gefeiert, wie eine neue Erfindung. Verschwiegen wird dabei aber gerne, dass die CSU seit 2004 Planstellen in den Schulen ABGEBAUT hat. Unterm Strich ergibt sich ein Minus von 324 Planstellen. Besonders bluten mussten die Hauptschulen (von wegen Stärkung der Hauptschulen!). Hier wurden seit 2004 mehr als 3000 Lehrerstellen abgebaut. Was zugenommen hat, sind die Mittel für Aushilfs- und Zeitverträge. Wenn man diese Gelder umrechnet in Stellen, ergibt sich ein Plus von ca. 2200. Das ist aber nur eine theoretische Zahl, denn aus Fleisch und Blut gibt es diese Lehrer oft nicht (deswegen sprechen wir von Phantomlehrern).

Im Falle einer Regierungsbeteiligung meiner Partei Bündnis 90/Die Grünen möchten wir zuerst mal den Bildungsetat auf ein internationales Niveau heben. Es kann und darf einfach nicht sein, dass hier, wie in den letzen Jahren kontinuierlich geschehen, der Etat immer weiter runtergefahren wird (der Staatshaushalt für Schulen fiel von 17,45% im Jahr 2006 auf 17,30% im Jahr 2007 auf 17,03% im Jahr 2008). Wir benötigen einfach mehr Geld für LehrerInnen, für die von Ihnen angesprochene und meines Erachtens immens wichtige Schulsozialarbeit, für Psychologen/innen, aber auch für Verwaltungspersonal, die in den Schulen den Laden am Laufen halten. Die grüne Fraktion im bayerischen Landtag hatte den LehrerInnenmangel übrigens bereits frühzeitig erkannt und bereits 2004 eine mittelfristige Personalplanung gefordert, um eine ausreichende Versorgung mit LehrerInnen zu gewährleisten. Der Lehrermangel ist hausgemacht, hat man doch 2004 bei der Einführung des G 8 zunächst einmal über 6 Mio Euro an Personalkosten gekürzt.

Nun steckt der Karren ziemlich tief im Dreck. Eine erste Maßnahme ist, dass wir die befristeten Verträge abbauen und jedem eine feste Anstellung anbieten. Auch dies hat die grüne Fraktion im bayerischen Landtag bereits bei den letzten Haushaltsberatungen gefordert. Es ist darüber hinaus unbedingt notwendig, Planstellen zu schaffen, das Geld ist vorhanden. Planstellen geben allen eine Perspektive und zeigen den Willen auf, dass die Maßnahme eine dauerhafte darstellt.
Auch bin ich der Meinung, dass die Qualität des Unterrichts natürlich auch von der Qualität der Ausbildung unserer LehrerInnen abhängig ist.

Ich halte es für ein Armutszeugnis und eine Abqualifizierung des Lehrerberufes, wenn man glaubt, dass man jede(n) als LehrerIn vor eine Klasse stellen kann. Derzeit ist es ja schon Usus hier Eltern, Abiturienten oder andere Aushilfslehrer mit Zeitverträgen auszustatten und unterricht zu lassen. Ich halte es, wie Sie aber ansprachen, aber schon für einen Lösungsansatz den Lehrermangel mit Fachlehrern zu besetzen, hiermit haben andere Länder durchaus gute Erfahrungen gemacht. Gerade in naturwissenschaftlichen Fächern kann der Einsatz von Fachlehrern auch den praxisbezug des Unterrichts verbessern. Bei alledem halte ich aber für unabdingbar, dass diese Fachlehrer ein pädagogisches Zusatzstudium machen. Schließlich geht es beim Unterrichten nicht nur um bloße Wissenvermittlung, sondern auch um die soziale Entwicklung der SchülerInnen.

Wir halten Bildungspolitik für eine Investition in die Zukunft. Nur wenn unsere Bürgerinnen und Bürger gut ausgebildet sind, können sie ihren Beitrag zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung leisten.

Um das bayerische Schulsystem zu modernisieren und sozial gerechter zu machen, ist es unseres Erachtens nötig das Schulsystem insgesamt zu verändern.
Zuerst einmal lehnen wir die Selektion nach der 4. Klasse ab. Jedes 4. Kind in Bayern nimmt vor dem Übergang in unser dreigliederiges System Nachhilfeunterricht, um den Sprung in Realschule und Gymnasium zu schaffen.
Kinder, deren Eltern sich diesen Nachhilfeunterricht nicht leisten können, haben dabei schon von Haus aus verloren. Es darf unseres Erachtens nicht sein, dass diese Potentiale einfach vergeudet werden und nicht die individuellen Fähigkeiten, sondern der soziale Hintergrund dieser jungen Menschen den Ausschlag für ihre weitere schulische, berufliche und soziale Entwicklung hat.

Auch aus diesem Grunde halten wir es für sinnvoll das 3-gliederige Schulsystem und die Selektion nach der 4. Klasse aufzugeben. Unser Ansatz ist dabei ein gemeinsames Lernen der Kinder bis einschließlich der 9. Klasse. Dies wäre faktisch natürlich eine Auflösung der bisherigen Hauptschule. Nach der 9. Klasse und dem damit verbundenen ersten Abschluß sehen wir dann weiterführende Schulen vor, wo dann die mittlere Reife und das Abitur gemacht werden kann.

Auch halten wir es für sinnvoll das veraltete Halbtagesschulsystem aufzugeben und Ganztagesschulen zu schaffen. Dies würde auch die Problematik entschärfen, die wir heute haben, dass Eltern dazu verdammt sind, Nachmittags bei den Hausaufgaben als Ersatzlehrer zu agieren (was auch wieder sozial ungerecht ist).
Auch halte ich es für immens wichtig, die Schule auch in unserem Land endlich als wichtigen Lebensraum zu begreifen. Hier werden soziale Kontakte geknüpft, die manchmal ein Leben halten, hier sollte aber auch die Möglichkeit geschaffen werden, dass sich Schülerinnen und Schüler verwirklichen können.

Ein dritter Punkt, den wir an dieser Stelle anstreben, ist die Regionalisierung unserer Schulen, also die Schaffung von Regionalschulen. Nicht nur, dass der Weggang von Schulen derzeit einen stetigen Attraktivitätsverlust der Regionen zur Folge hatte; wir sind auch der Meinung, dass es für die SchülerInnen und Eltern gut wäre, wenn die mitunter langen Schulwege und die damit anfallende Logistik des Schulweges wegfiele.
Ganz richtig sprachen Sie auch von den viel zu großen Klassen in Bayern. Hierzu ein paar Zahlen:
Mehr als 37% aller SchülerInnen an bayerischen Gymnasien lernten im Schuljahr 06/07 in Klassen mit mehr als 30. Über 600 Klassen der Gymnasien haben über 33 Kinder. Die Hälfte der Realschulklassen hat über 30 Kinder und fast 600 haben 33 SchülerInnen. Wir fordern: Keine Klasse mehr als 25 Schüler Unter den Flächenländern hat Bayern die durchschnittlich höchste Klassenstärke bei Grundschulen von 23,1 (vgl. Sachsen-Anhalt hat 17,8). Unterrichtsausfall wegen Lehrermangel (bis zu 10%), übervolle Klassen, zu wenig Sozialarbeiter und Psychologen und auch zu wenig Verwaltungsstellen an den Schulen selbst sind die Realität. Der Staatshaushalt von 203 Millionen Euro in den letzten 3 jahren hatte einen Staatshaushalt für Schulen von 17,45% (2006), 17,30% (2007) und fällt nun auf 17,03%.

Als letztes sprachen Sie noch die Problematik des doppelten Abiturjahrgangs an. Diese Frage haben wir Grünen bereits desöfteren die CSU gefragt, wie sie sich das Vorstellen und bis dato nie eine Antwort erhalten. Das Problem der übervollen Hörsäle auf der einen Seite, aber auch die Verschärfung auf dem Ausbildungsmarkt auf der anderen Seite wird hier ein Problem sein.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich selbst habe persönlich noch keine Idee, wie dies wirklich lösbar sein wird. Ich habe Ihre Frage aber an das Büro unserer bildungspolitischen Sprecherin weitergeleitet. Wenn ich eine Antwort habe, würde ich Ihnen dies gerne weiterleiten. Wenn Sie möchten, können Sie mir zu diesem Zweck Ihre Mailadresse an meine Mailadresse jens.ehrlinger@atomstromfrei.de weiterleiten.

Ich hoffe, ich habe alle Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantworten können.

Gerne stehe ich Ihnen natürlich für weitere Fragen zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,

Jens Ehrlinger