Frage an Jörg van Essen von Jörg D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr van Essen,
laut Ihrer Biographie beim dt. Bundestag waren Sie Oberstaatsanwalt und sind heute als MdB tätig. Sie hatten entsprechend als Oberstaatsanwalt die Aufgabe, die Interessen des Staates rechtlich zu vertreten und tun dies seit einigen Jahren als MdB politisch.
Nach meinem Demokratieverständnis besteht zwischen Staat und Volk prinzipiell kein Unterschied. Kann es aber Unterschiede zwischen den Interessen des Staates und des Volkes geben? Und wenn ja, wer löst diese im Konfliktfall auf? Kann ein Staatsanwalt gleichzeitig Anwalt des Volkes sein, wie Politiker Volksvertreter sind? Oder bezieht sich der Begriff „Staat“ auf die Interessenvertretung des Volkes als Ganzes und Konflikte können nur zwischen der Gesamtheit des Volkes und deren Teile entstehen? Ich frage gerade deshalb als Bürger bei Ihnen an, um von Ihnen zu erfahren, woraus Ihrer Meinung nach die Interessen des Staates bestehen.
Herzlichen Dank im Voraus für Ihre Antwort,
mit freundlichen Grüßen aus Kiew,
Jörg Drescher
Sehr geehrter Herr Drescher,
natürlich kann es unterschiedliche Interessen geben. Ein Staat besteht nach der völkerrechtlichen Definition aus dem Staatsvolk, dem Staatsgebiet und der Staatsmacht. Das Volk ist also nur ein – wenn auch der wichtigste – Teil des Staates.
Nach dem deutschen Rechtsverständnis hat der Staatsanwalt objektiv die Interessen des Rechtsstaates in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren zu vertreten. Wir haben damit eine andere Rechtstradition als beispielsweise die angelsächsischen Länder, wo die Staatsanwaltschaft Partei ist und zum Beispiel einseitig gegen einen Beschuldigten oder Angeklagten agieren kann.
Ich habe diese objektive Stellung der Staatsanwaltschaft immer besonders geschätzt. Der weitaus größte Teil der Angeklagten ist anwaltlich nicht vertreten. Es ist doch ein Gebot der Fairness, dass man als Profi in seinem Plädoyer da nicht nur die belastenden, sondern auch die entlastenden Gesichtspunkte vorträgt. Ich halte dies auch für die angemessene Vertretung der Interessen des Staates, der nach dem Grundgesetz ein Rechtsstaat ist. Zu meinem Verständnis von Rechtsstaat gehört auch, dass es ein möglichst gerechtes und objektives Urteil geben und jeder dazu beitragen soll.
Um eine Interessen-Kollision zu verhindern, werden alle Beamten, die in ein Parlament gewählt werden in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Interessenkollisionen zwischen mir als Oberstaatsanwalt a.D. und den heutigen Abgeordneten sollten deshalb nicht auftreten.
Mit freundlichen Grüßen
Jörg van Essen, MdB