Frage an Jörg van Essen von Ralph T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr van Essen,
vom Deutschen Bundestag werden in den kommenden Wochen und Monaten Entscheidungen in europäischen Schicksalsfragen abverlangt. Die Menschen verfolgen die Entwicklung mit Sorge und Skepsis.
Da berichten Presse und TV über Pläne des Geschäftsordnungsausschusses des deutschen Bundestags, das Rederecht von Abgeordneten einzuschränken und der Kontrolle der Fraktionen zu unterwerfen.
Schlagzeilen wie „Maulkorb im Bundestag“ (stern.de), „Unbequemen Politikern soll Mund verboten werden“ (welt.de), „Fraktionen planen Maulkorb für Abgeordnete“ (sueddeutsche.de), oder „Wie man den Bundestag kaputtmacht“ (sueddeutsche.de) nähren in der Bevölkerung erneut Zweifel, ob die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in ihrer Mehrheit noch willens und fähig sind, für die legitimen Interessen, die Freiheit und die Souveränität des Deutschen Volkes einzustehen.
Wenigstens von Ihnen, dem Vertreter der FDP Fraktion im Geschäftsordnungsausschuss, hätte ich erwartet, jedem (!) Vorschlag zur Änderung der Geschäftsordnung entschieden entgegenzutreten, der die Rechte der Abgeordneten einschränkt. Indem Sie dies versäumt haben, haben Sie dazu beigetragen, dem Ansehen des Deutschen Bundestages, ihrer Partei und der bürgerlich-liberalen Idee in Deutschland schweren Schaden zuzugefügen.
Wie beabsichtigen Sie zu verhindern, dass die verhängnisvolle Änderung der Geschäftsordnung am 26. April im Bundestag zur Abstimmung kommt?
Mit freundlichen Grüßen
Ralph Trinter
Sehr geehrter Herr Trinter,
selbstverständlich wird es mit der FDP keinen Maulkorb für Abgeordnete geben. Das verbietet schon Artikel 38 des Grundgesetzes. Deswegen bleibt es auch bei dem Recht des Abgeordneten, jederzeit mit einer Zwischenintervention unabhängig von den gemeldeten Rednern in eine Debatte einzugreifen.
Neu ist, dass eine Regelung für von der Mehrheitsmeinung der Fraktion abweichende Redner geschaffen wird. Dies sah die Geschäftsordnung des Bundestages bisher nicht vor. Wie bei der bewährten Zwischenintervention ist für abweichende Redner grundsätzlich eine Redezeit von drei Minuten vorgesehen. Der amtierende Präsident - und nur er in eigener Verantwortung und nicht ein Fraktionsvorsitzender oder Geschäftsführer - kann von dieser Regelung bei besonderen Debatten, wie beispielsweise der über die Schuldenkrise am 29.9.2011, abweichen.
Aufbauend auf den Erfahrungen dieser Debatte soll weiter festgelegt werden, dass der Präsident alle Fraktionen über die Gewährung von zusätzlichem Rederecht für „Abweichler“ informieren muss. Dies gibt Fraktionen, die bei einer solchen Gewährung nicht berücksichtigt worden sind, unter anderem die Möglichkeit, ihrerseits bei dem Präsidenten dann für ihre „Abweichler“ ebenfalls um Redezeit zu bitten. Ebenfalls aufbauend auf den Erfahrungen der Debatte vom 29.9.2011 soll festgelegt werden, dass Erklärungen zur Abstimmung grundsätzlich schriftlich erfolgen sollen. In dieser Debatte hatte nach der Abstimmung, als Erklärungen für die Entscheidungsfindung nichts mehr bewirken konnten, eine Vielzahl von Abgeordneten der Linken mündliche Erklärungen abgegeben, die mit der in der Debatte vorgetragenen Fraktionsmeinung übereinstimmten. Aber auch hier sieht die Regelung vor, dass der amtierende Präsident selbstverständlich frei ist, Gelegenheit zu mündlichen Erklärungen zu geben.
Bisher ist mir im Übrigen bei all der Empörung über den angeblichen „Maulkorb“, der den Abgeordneten mutmaßlich verpasst werden soll, kein einziger Kritikpunkt an den Vorschlägen des Geschäftsordnungsausschusses vorgetragen worden.
Nach der massiven Kritik des Wochenendes ist es natürlich sinnvoll auf die Kritiker zuzugehen und mit Ihnen das Gespräch zu suchen. Deshalb wird es in der kommenden Woche eine Zusammenkunft der Fraktionsvorsitzenden und aller Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer geben in denen ausgelotet werden soll, wie das grundgesetzlich geschützte Rederecht der Abgeordneten besser gesichert werden kann.
Ich werde mich in diese Diskussion gerne einbringen. Reden von Abweichlern beleben die parlamentarische Debatte und genau in diesem Sinne sind die jetzt kritisierten Vorschläge des Geschäftsordnungsausschusses auch ausgearbeitet worden. Ich hätte mir gewünscht, die Kritiker hätten Sie überhaupt mal zur Kenntnis genommen.
Mit freundlichen Grüßen
Jörg van Essen, MdB