Frage an Jörg van Essen von Johannes K. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr van Essen,
Wie mir heute zu Ohren gekommen ist, sind Sie sehr skeptisch, wenn es darum geht, Abgeordnetenbestechung unter Strafe zu stellen. Ich mag mich täuschen, aber von dem, was ich bisher gehört habe, sind Sie vehement dagegen, es beispielsweise unter Strafe zu stellen, dass Abgeordnete großzügige "Geschenke" von Interessensverbänden entgegennehmen. Meine erste Frage an Sie ist: Weshalb sind Sie dafür, dass die Bestechung von Abgeordneten weitestgehend straffrei sein sollte?
Ihnen ist sicherlich genauso klar wie mir, dass Interessensverbände Politikern nicht "einfach so" ihre wertvollen Ressourcen überlassen, sondern dass es im Regelfall zumindest darum geht, eine freundschaftliche Beziehung aufzubauen; die Zugang zu Verfahrensinformationen, Einflussmöglichkeiten, usw. ermöglichen. Im schlimmsten Fall kann Korruption sogar so aussehen, dass Gesetze direkt gekauft werden. Vielen Menschen ist mittlerweile bekannt, dass die Gesetze zur Deregulierung der Finanzmärkte oftmals direkt von Banken-Vertretern verfasst wurden.
Ich sehe ein, dass gute Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft auch Vorteile für die Politik haben können. Wogegen ich bin, und worum es bei der Korruptionsbekämpfung geht, ist, dass Politiker sich stärker gegenüber bestimmten Interessensgruppen verpflichtet fühlen, als dem Wohl des Volkes.
Es ist schon in zahlreichen psychologischen Studien nachgewiesen worden, dass schon recht kleine Geschenke (z.B. Opern-Tickets) dazu führen können, dass politische Mandatsträger Gesetzesalternativen bevorzugen, die zu Lasten der Gemeinheit gehen, und dafür stärker den Interessen der "Gönner" dienen. Das ist keine Neuheit: Es ist ja auch Angestellten im öffentlichen Dienst untersagt, Geschenke über einen bestimmten Wert entgegenzunehmen...
Seit 8 Jahren steht die Umsetzung der UN-Richtlinie zur Korruptionsbekämpfung in Deutschland aus. Finden Sie nicht, dass es endlich an der Zeit ist, diesen Mißstand aktiv anzupacken?
Sehr geehrter Herr Katsarov,
Es ist für viele Bürger und nicht nur für Sie unverständlich, dass die Bundesrepublik Deutschland eine von ihr unterzeichnete Konvention der UN nicht ratifiziert. Es entsteht der Eindruck, die Abgeordneten wollten sich vor Bestrafung schützen. Das ist aber nicht der Beweggrund, warum es bisher nicht zu einer Ratifizierung gekommen ist. Bereits vor der Unterschriftsleistung der Bundesregierung haben alle Fraktionen des Deutschen Bundestages, die damals regierenden Sozialdemokraten und Grünen, aber auch CDU/CSU und FDP als Oppositionsparteien, die Bundesregierung darauf aufmerksam gemacht, dass die in der UN-Konvention vorgenommene Gleichstellung von Amtsträgern (beispielsweise Beamten) und Mandatsträgern (beispielsweise Abgeordneten) nach der Verfassungsrechtslage der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich sei. Der Bundesgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung immer wieder darauf hingewiesen, dass Abgeordnete keine Amtsträger im Sinne der deutschen Rechtsvorschriften sind.
Den Unterschied kann man an mir persönlich sehr deutlich machen. Als Angehöriger der Justiz habe ich einen Amtseid geleistet und hatte als Landesbeamter des Landes Nordrhein-Westfalen entsprechend der Dienstvorschriften meinen Dienst als Angehöriger der Staatsanwaltschaft objektiv und neutral durchzuführen.
Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages habe ich keinen Diensteid geleistet, weil Artikel 38 des Grundgesetzes (GG) den Abgeordneten das freie Mandat garantiert.
Im Gegensatz zu meiner früheren Beschäftigung als Staatsanwalt, wo ich selbstverständlich nicht einseitig Ermittlungen führen durfte, kann ich als Abgeordneter einseitig Interessen vertreten, beispielsweise die des Wahlkreises, in dem ich kandiert habe. Es ist nicht möglich, Abgeordnete wie Beamte strikt und objektiv dem Gemeinwohl zu unterwerfen und Abgeordnete sind auch nicht verpflichtet, ein gleiches durchschnittliches Gesamtinteresse zu vertreten. Sie dürfen - und das ist gut so - auch Interessen einzelner Interessengruppen vertreten. Ich begrüße es außerordentlich, dass es immer wieder Gewerkschaftsvorsitzende im Deutschen Bundestag gegeben hat, die sehr einseitig die Interessen der Arbeitnehmer vertreten haben, obwohl der Kollege als Vorsitzender der Gewerkschaft für die Wahrnehmung gleicher Interessen von der Gewerkschaft Gehalt bezogen hat. Genau dieses Mitwirken hat den Diskussionen im Deutschen Bundestag immer wieder gut getan.
Der Deutsche Bundestag hat deshalb bei der Verabschiedung des Tatbestandes des § 108 e StGB, wie ich finde, zu Recht ausgeführt:
„Der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung kann nicht dem der Beamten- und Richterbestechung nachgebildet werden (§§ 331, 332 StGB). Im Bereich des Öffentlichen Dienstes ist es generell verboten, einen persönlichen Vorteil für eine Diensthandlung oder im Zusammenhang mit einer dienstlichen Tätigkeit anzunehmen oder zu gewähren. Der Amtsträger soll seine Entscheidung im Rahmen der maßgeblichen Rechtsvorschriften stets unparteiisch und frei von unsachlichen Einflüssen treffen. Beim Träger eines Abgeordnetenmandats fehlt es hingegen bereits an einem genau umgrenzten Pflichtenkreis, wie er für Amtsträger existiert. Bei der Ausübung von Stimmrechten im Parlament spielen oft auch politische Gesichtspunkte und Rücksichtsmaßnahmen eine Rolle. Es ist nicht zu beanstanden, wenn bei der Stimmabgabe politische Zwecke mitverfolgt werden, die den eigenen Interessen des Stimmberechtigten entgegenkommen. Bei zahlreichen Abgeordneten ist die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe von wesentlicher Bedeutung für ihre Aufstellung als Kandidat. Von dem Abgeordneten erwartet die gesellschaftliche Gruppe denn auch, dass er sich für ihre Belange einsetzt. […] Zwar sind auch bei Abgeordneten Fälle denkbar, in denen Vorteile nicht für eine Stimmabgabe, sondern für ein anderes Verhalten in strafwürdiger Weise angenommen bzw. gewährt werden. Bei der Art des Aufgabenbereichs der Abgeordneten ist es jedoch nicht möglich, solche andersartigen Handlungen, die Gegenstand einer Bestechung sein könnten, begrifflich in einem klar begrenzten Tatbestand zu erfassen. Die Tätigkeit der Abgeordneten reicht über das eigentlich parlamentarische Wirken hinaus in das allgemeine politische Geschehen, wo scharf abgrenzbare Verhaltensvorschriften fehlen.“
Dies ist der Grund, warum die Große Strafrechtskommission über 15 Jahre hinweg keinen akzeptablen Vorschlag für eine weitere Fassung des Tatbestands der Abgeordnetenbestechung vorlegen konnte. Die Entwürfe, die von den Fraktionen SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und der Linkspartei in den Deutschen Bundestag eingebracht worden sind, sind kürzlich Gegenstand einer Anhörung des Rechtsausschusses gewesen. In den fast 23 Jahren, in denen ich dem Rechtsausschuss angehöre, habe ich noch keine Anhörung erlebt, wo in einer solchen Breite von den Sachverständigen durchgreifende Bedenken gegen Gesetzesvorlagen erhoben worden sind. Nach Auffassung der gehörten Sachverständigen verstoßen alle Entwürfe entweder gegen Artikel 38 GG, der die Freiheit des Mandats gewährleistet, und/oder gegen Artikel 103 Abs. 2 GG, wonach gesetzliche Bestimmungen klar und eindeutig gefasst sein müssen, damit der Bürger weiß, was strafbar ist oder nicht. Für mich war es interessant zu beobachten, dass trotz breiter Anwesenheit von Medienvertretern keine Berichterstattung darüber stattgefunden hat, dass die Entwürfe der Opposition untauglich waren. Ich habe mich deshalb umso mehr über den Brief einer Bürgerin gefreut, die mir ähnliche kritische Fragen gestellt hat wie Sie, die mir dann aber nach der Teilnahme an der Anhörung mitgeteilt hat, sie verstünde nun, warum es bisher keine gesetzliche Regelung gäbe.
Mit freundlichen Grüßen
Jörg van Essen, MdB