Frage an Jörg van Essen von Kanstansin K. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr van Essen,
Deutschland sei keine "echte" Demokratie mehr, meint ein Parteienforscher. Ich sende Ihnen diesen Link mit:
http://www.derwesten.de/nachrichten/2008/5/4/news-43271133/detail.html
In diesem sehen Sie, dass dieser Parteienforscher dies u.a. aufgrund der Tatsache meint, weil Lobbyisten im Bundestag ihren Willen durchsetzen wollen.
Was meinen Sie dazu?
Kann man das nicht durch ein Verbot von Parteispenden verhindern? Muss nicht der Straftatbestand des Lobbyismus eingeführt werden? Wer Politiker besticht, der muss m.E. sanft erfahren, dass das nicht geht.
Warum gibt es in Deutschland so wenig direkte Demokratie? Ich hätte über den Vertrag von Lissabon gerne selbst abgestimmt.
Mit freundlichen Grüßen
Kanstansin Kavalenka
Guten Tag!
Vielen Dank für Ihre Zuschrift, in der Sie eine Vielzahl an Themen ansprechen. Einige Fragen - wie z.B. zum Vertrag von Lissabon - habe ich in diesem Forum bereits beantwortet. Ich verweise daher auf meine Antworten hierzu.
Die von Ihnen zitierte Aussage von Herrn von Arnim, dass unser Land keine echte Demokratie mehr sei, teile ich nicht.
Zwar setzt sich auch die FDP für mehr Elemente direkter Demokratie ein. Ich habe so auch schon in diesem Forum auf einen Beschluss des 51. FDP-Bundesparteitages (aus dem Jahr 2000) mit dem Titel "Mehr Demokratie wagen - Vom Parteienstaat zur Bürgerdemokratie" hingewiesen.
Unabhängig von unseren Forderungen nach direkter Demokratie, bin ich aber davon überzeugt, dass wir eine sehr lebendige Demokratie, eben in Form einer repräsentativen Demokratie, sind. Ich finde die verlinkte Aussage, wonach Politiker "vornehmlich aus Eigeninteresse" handeln würden, polemisch und wenig zielführend. Ich selbst habe mein politisches Handeln stets danach ausgerichtet, was ich für unser Gemeinwesen für dienlich gehalten habe. Diese Maxime wird auch bei meiner künftigen politischen Arbeit gelten. Dabei ist mir mein liberaler Kompass stets ein guter Wegweiser. Gleichzeitig war und ist mir die Rückkopplung meines Handelns mit Menschen an der Basis wie auch Experten und Praktikern wichtig.
Vor diesem Hintergrund sehe ich auch Lobbyismus nicht so kritisch wie Sie. Ich bin für Hinweise aus der Praxis - wie schon ausgeführt - stets dankbar. Gegen solche Hinweise aus der Praxis ist doch überhaupt nichts einzuwenden; jedenfalls dann nicht, solange die Interessenlage transparent ist. Ich bekomme zu jedem Gesetzgebungsverfahren Zuschriften von verschiedenster Seite: von Gewerkschaften und Umweltverbänden, aber auch Unternehmervereinigungen oder Industrieverbänden. Häufig führe ich auch Gespräche. Das ist aber doch auch gut so: Andernfalls würden wir doch Politik im luftleeren Raum machen und vollkommen von Vorlagen der Bundesregierung und deren Einschätzung hierzu abhängig werden. Es entspricht gerade meinem Verständnis von Demokratie möglichst viele, verschiedene Positionen aus allen Teilen der Gesellschaft zu einem Gesetzgebungsverfahren kennen zu lernen, und gegeneinander abzuwägen. Nichts anderes findet ja auch bei öffentlichen Expertenanhörungen z.B. im Rechtausschuss statt. Es geht stets darum sicherzustellen, dass Gesetze auch praxistauglich sind. Übrigens: Für mich spielt es keinen Unterschied, ob ein Pfarrer aus meinem Wahlkreis (z. B. zur Stammzellforschung) mich anschreibt oder der Chef eines Unternehmerverbandes (z.B. zur Erbschaftssteuerreform). Für mich sind stets die Argumente maßgeblich.
In einer repräsentativen Demokratie sind die Abgeordneten gewählt - und zwar alle! Das gilt auch für meine Partei, wo bisher die Abgeordneten regelmäßig über Listenplätze in den Bundestag einziehen. Sie müssen sich zunächst einem parteiinternen (Aus-)Wahlverfahren stellen und später selbstverständlich um Stimmen kämpfen. Jeder der FDP-Abgeordneten betreut so auch einen Wahlkreis; mein Wahlkreis ist so z.B. Hamm/Unna II.
Was Sie mit einem Verbot von Parteispenden bewirken wollen, verstehe ich nicht. Schon jetzt sorgen die Vorschriften das Parteiengesetzes doch für gute Transparenz. In meinen Augen ist gegen Spenden nichts einzuwenden - zumal die staatliche Parteienfinanzierung auch immer wieder in Kritik kommt.
Von Parteispenden zu unterscheiden ist hingegen die Abgeordnetenbestechung. Diese steht aber bereits jetzt unter Strafe. Mich ärgert daher, dass immer wieder der Eindruck erweckt wird, dass die Abgeordnetenbestechung zulässig wäre. Im Übrigen schauen die Wähler ganz genau hin, wie sich ein Abgeordneter in einer Abstimmung verhält. Portale wie dieses helfen dabei. Es ist abwegig zu glauben, dass in unserer Mediendemokratie solches Fehlverhalten wie Sie es wohl befürchten ohne Folgen bliebe.
Mit freundlichen Grüßen
Jörg van Essen, MdB,
Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion