Frage an Jürgen Trittin bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

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Jürgen Trittin
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Maiko S. •

Frage an Jürgen Trittin von Maiko S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Trittin,

als GRÜNE sind sie für mich eine Partei, die sich am ausführlichsten und ernsthaftesten mit den Problemen im deutschen Bildungsystem befasst und auch gute Alternativen dazu anbietet.
Allerdings sehe ich, selber Schüler eines Gymnasiums und im September Erstwähler bei einer Bundestagswahl, das Kernproblem des deutschen Bildungssystems, dass es ein solches garnicht gibt, sondern 16 verschiedene zusammengeschusterte Bildungsysteme, die den jeweiligen Vorstellungen der Landesregierungen entsprechen. In Zeiten in denen Europa zusammenwächst, die Welt immer kleiner wird, haben wir in Deutschland Probleme von Hamburg nach Bayern umzuziehen ohne ein komplettes Schuljahr wiederholen zu müssen.
Genausowenig kann es sein, dass im Rahmen eines Konjunkturpaketes der Staat keine rechtliche Grundlage für die Bezuschussung der Bildungseinrichtungen hat, weil dies ja Aufgabe der Länder ist...?
Herr Trittin, sehen Sie persönlich und stellvertretend für die GRÜNEN einen Sinn in der förderalistischen Struktur des deutschen Bildungsystems, oder sollte nicht vielmehr ein zentral organisiertes Bildungsystem mit einheitlichen Lehrplänen und Richtilinien entstehen, damit es nicht länger gravierende qualitative Unterschiede zwischen einer z.B. bayrischen und bremischen Schulausbildung gibt?
Und: Sehen sie eine Möglichkeit ein zentral organisiertes Bildungswesen gegen den vermutlichen Widerstand der Landesregierungen durchzubringen?

Ich danke Ihnen für ihre Antwort,
Besten Gruß
Maiko Schaffrath

PS: Ich hoffe sehr, dass sich ihr Konzept zum Bildungssoli durchsetzt- Wir Schüler freuen uns derzeit auf jeden Cent, der bei unseren Schulen ankommt, denn momentan droht das große Bauwerk Bildungswesen in Deutschland zu einer Ruine zu verkommen...

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schaffrath,

Sie sprechen in Ihrer Mail verschiedene Aspekte der Bildungspolitik an. Darauf will ich Ihnen gerne antworten.

Der Bildungsföderalismus in Deutschland ist eine Tatsache, an der wir nicht vorbeikommen. Es gibt absehbar keine politischen Mehrheiten für ein, wie Sie vorschlagen, „zentral organisiertes Bildungssystem“. Im Gegenteil hat die Große Koalition in der jetzt zu Ende gehenden Wahlperiode dafür gesorgt, dass der Bund nun noch weniger Möglichkeiten hat als bisher, die qualitativen Unterschiede in den Bildungsangeboten der einzelnen Bundesländer zu verringern helfen.

Bündnis 90/ Die Grünen haben sich im Rahmen der beiden Föderalismusreformen, die in dieser Wahlperiode stattgefunden haben, dafür eingesetzt, dass der Bund in der Bildungspolitik weiterhin agieren kann. Leider haben Union und SPD mit Unterstützung der FDP in der 1. Föderalismusreform 2006 das sogenannte Kooperationsverbot durchgesetzt. Durch dieses Verbot besteht in Deutschland die unsinnige und weltweit einmalige Situation, dass die Bundesebene die Länder und Kommunen im Bildungsbereich nicht mehr unterstützen darf!

An dieser unsinnigen Verfassungsreform liegt es auch, dass der Bund, wie Sie richtig bemerken, in seinen Konjunkturpaketen den zentralen Zukunftsbereich der Bildungsinfrastruktur nicht unterstützen durfte. Bündnis 90/ Die Grünen haben seit Herbst 2008 darauf gedrängt, die Konjunkturpakete dafür zu nutzen, aber die Große Koalition hat das erst viel zu spät und auch nur halbherzig umgesetzt. Die von der Koalition viel beschworene „Energetische Sanierung von Schulgebäuden“ ist, wie Sie wissen, nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Koalition hat auch die Chance ungenutzt gelassen, in der Föderalismusreform 2 die Fehler der 1. Reform zu korrigieren.

Die Freude am Lernen zu fördern und Menschen ein Leben lang die Lust auf neue Herausforderungen zu erhalten, ist der eigentliche Auftrag aller Bildungseinrichtungen. Selbständiges Arbeiten und Lernen der SchülerInnen muss gefördert werden. Bildungspolitik ist für uns eine grundlegende öffentliche Aufgabe. Und Bildungspolitik ist eine wichtige gesamtstaatliche Aufgabe. Es war schwerer ein Fehler, mit der Föderalismusreform I dem Bund die Mitwirkung in der Bildungspolitik zu untersagen. Deshalb wollen wir das widersinnige Kooperationsverbot im Bildungsbereich wieder aufheben. Bessere Bildung muss wieder gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen werden. Wir brauchen einen kooperativen Föderalismus statt bildungspolitischer Kleinstaaterei.

Investitionen in Bildung sind für uns nicht nur solche in Gebäude und Ausstattung, sondern auch in mehr hochqualifiziertes Personal.

Sie sprechen in Ihrem Schreiben auch den Aspekt der Mobilität innerhalb Deutschlands und die Qualität der Bildungsangebote an. Zu den Themen kann ich Ihnen versichern, dass Bündnis 90/ Die Grünen auf Bundes- wie auf Landesebene dafür arbeiten.

Auch wenn es kein „zentral organisiertes Bildungssystem“ gibt, so halten wir die bundeseinheitlichen Bildungsstandards für ein geeignetes Instrument. Wir setzen uns dafür ein, dass diese Qualitätsstandards bundeseinheitlich erarbeitet und verbindlich gesetzt werden. Dann wird endlich der Umzug von einem Bundesland zum anderen mit samt notwendigem Schulwechsel keine größeren Schwierigkeiten mehr erzeugen als ein Schulwechsel innerhalb einer Stadt oder eines Landes.

Bündnis 90/ Die Grünen wollen, dass Kinder und Jugendliche individuell gefördert werden. Das hilft im Falle eines Schulwechsels, führt aber vor allem dazu, dass deutlich mehr Kinder bessere Schulabschlüsse machen können, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Ein flächendeckender Ausbau von Ganztagsschulen bis 2020 schafft die Grundlage dafür. Deshalb muss noch 2009 ein Ganztagsschulausbauprogramm II vereinbart werden. Kinder sollen in einem integrativen Schulsystem länger gemeinsam lernen, möglichst bis zum 9. Schuljahr.

Nur mit einer klaren Priorität für Bildung, auch beim Einsatz der öffentlichen Mittel, kann dies alles erreicht werden. Wer es ernst meint mit der Bildung, muss deutlich mehr dafür ausgeben als bislang. Während in der OECD im Durchschnitt 6,2% der Wirtschaftskraft für Bildung ausgeben werden, sind es in Deutschland nur 5,2% - diese Differenz macht alleine 20 Mrd. Euro aus. Sie beschreiben selbst, wie sich der Geldmangel auf das System auswirkt. Investitionen in Bildung sind ein zentraler Teil unseres „grünen New Deal“. Sie schaffen Chancengerechtigkeit und Hunderttausende neue qualifizierte Arbeitsplätze. Wir wollen den “Soli” zum Teil in einen Bildungssoli umwandeln, denn für ein gerechtes Bildungssystem brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung. Außerdem muss die Erbschaftssteuer so reformiert werden, dass dadurch ein zusätzlicher finanzieller Spielraum entsteht, den wir für höhere Bildungsausgaben nutzen können.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Trittin