Frage an Katja Mast bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Katja Mast
SPD
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Frage von Joachim M. •

Frage an Katja Mast von Joachim M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Mast,

die Ausführungen von Herrn Sarrazin sind provokativ, aber mit viel Wahrheitsgehalt versehen und nicht, wie Herr Gabriel sagt, rassistisch oder Frau Nahles. "rechts Aussen".
Es ist nicht hinnehmbar, dass eine demokratische Partei wegen provokativer Feststellungen eines anerkannten Ökonomen in dieser Art über reagiert.
Wieso kann man mit Herrn Sarrazin nicht diskutieren, ihm seine Darstellungen erklaeren lassen, ihm evtl. mit Sarkasmus kommen (siehe Pforzheimer Zeitung vom 1.9.2010)?
Sarrazins Feststellungen sind seit Jahren von den führenden Politikern verdrängt worden. Diese Themen der Integration sind halt unbequem.
Warum kommen denn so viele Migranten zu uns? Warum bleiben sie nicht in ihren Ländern, wenn sie sich mit Deutschland nicht identifizieren können? Sozialstaat = gut, nein das Beste.
Warum funktioniert das in USA, Australien, Neuseeland, Kanada etc.?
Weil dort Hilfe zur Selbsthilfe gegeben wird und wer nicht will, kann gehen.
Meine Frage: unterstützen Sie die Ausgrenzung Sarrazins aus der SPD?
Eine ehrliche Antwort wäre erbeten.
Von Ihrer Einschätzung werde ich mein Wahlverhalten abhängig machen.
Sie können natürlich sagen: was macht schon ein Wähler.
Ich sage: ich habe viele Jahre die SPD gewählt - wenn Sarrazin ausgeschlossen wird, werden Sie nicht nur einen Wähler verlieren. Dann beweist die SPD, sie ist nicht streit/demokratiefähig!

Mit freundlichen Grüssen
Joachim Meier

PS: ich habe mir das Buch kommen lassen. Ich weiß, dass das Thema "Juden" in Deutschland mehr als sensitiv bewertet wird, dennoch: ich kann keinen Rassismus erkennen; weder positiv noch negativ

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Meier,

vielen Dank für Ihre Anfrage via Abgeordnetenwatch. Die aktuellen Äußerungen des ehemaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin werden derzeit überall emotional und aufgeheizt diskutiert.

Eine Diskussion über Integration von Migrantinnen und Migranten und die damit verbundenen Schwierigkeiten muss in Deutschland geführt werden. Da ist unerlässlich, damit es beim Integrationsprozess nicht zu einem Stillstand kommt und Erfolge und Misserfolge identifiziert werden können. So wichtig eine kritische Bestandsaufnahme der Integration in Deutschland aber auch ist: Sie muss in der Sache richtig und im Ton sachlich sein. Pauschalisierungen und Polemisierungen führen nicht weiter. Es gibt nicht die Ausländer, die Muslime oder ähnliches, sondern jeder Mensch ist immer in seiner Würde als Person zu sehen. Pauschalisierungen spalten, grenzen aus und erschweren so einen offenen, kritischen Dialog über bestehende Probleme und notwendige Lösungen.
Thematische Auseinandersetzungen und Diskussionen sind für die SPD selbstverständlich, egal ob es um Integration, die Zukunft des Sozialstaates oder Außenpolitik geht. Dabei sind konträre Meinungen wichtig und fruchtbar. Diese müssen jedoch mit den Grundwerten unserer Partei - mit denen Sie als SPD-Wähler bisher sympathisierten - übereinstimmen.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten treten dafür ein, dass in unserem Land Menschen mit verschiedener Herkunft eine gemeinsame Zukunft haben. Dazu brauchen wir eine Kultur der Anerkennung, die kulturelle Vielfalt nicht leugnet, sondern kulturelle Unterschiede als Möglichkeit neuer Gemeinsamkeit begreift.

In meinem Schulprojekt „Junger Rat für Mast“ habe ich letztes Jahr mit Schülern der 9. Klasse in Mühlacker über Integration diskutiert und engagierte Schüler mit verschiedenen Herkunftsländern erlebt, die gemeinsam miteinander Lernen und Leben. Das Integration funktioniert habe ich vor kurzem bei der AOK in Pforzheim gesehen. Dort werden von einer türkischen Mitarbeiterin Präventionskurse angeboten, die Migrantinnen und Migranten mit wenigen Sprachkenntnissen einen gesellschaftlichen Zugang ermöglichen. Dass es trotzdem Probleme gibt beim gemeinsamen Zusammenleben, wie beispielsweise die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, darf dabei nicht übersehen werden. Meine Beispiele verdeutlichen aber, dass es meist kleine Schritte sind, die beim Aufbrechen großer Barrieren helfen. Ein chancengerechter Zugang zu Bildung und ich ergänze gerade bei Migrantinnen und Migranten das Erlernen der deutschen Sprache ist für alle der Schlüssel zur Teilhabe. Das Sarrazin ihnen die Bereitschaft zu Bildung und damit Integration abspricht, steht meinen eigenen Erfahrungen entgegen.

Die Entscheidung des SPD-Parteivorstandes für ein Parteiausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin war nicht die erste Reaktion der Partei auf die die Äußerungen, die parallel zur Veröffentlichung des Buches in Presseartikeln erschienen. Ausschlaggebend war die Äußerung, dass bestimmte Verhaltensweisen von Menschen genetisch begründbar seien. Die SPD wird mit Thilo Sarrazins Äußerungen identifiziert nicht zuletzt weil er viele seiner Funktionen auch seiner Parteimitgliedschaft zu verdanken hat. Daher ist es für die SPD wichtig mit Hilfe eines geordneten Schiedsverfahrens, dass außerhalb von Parteiorganen steht, zu prüfen, inwieweit Sarrazin noch auf den Grundfesten der Partei steht. Keiner wird aus der SPD willkürlich ausgeschlossen, sondern nur nach umfangreicher und unabhängiger Prüfung. Ich befürworte das Parteiausschlussverfahren, denn die SPD steht für eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft, die jeden Menschen in seiner individuellen Würde betrachtet.

Mit freundlichen Grüßen

Katja Mast, MdB

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