Frage an Kerstin Bednarsky von Frank B. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Bednarsky,
aus meiner beruflichen Tätigkeit ist mir bekannt, dass es in den jetzigen bestehenden Berufsbildungsbereichen der Werkstätten für behinderte Menschen sehr unterschiedliche Ausgestaltungen hinsichtlich der Qualität und Quantität der Ausbildung der behinderten Menschen gibt.
Sehen Sie persönlich einen Nutzen in der Schaffung zentraler Ausbildungsleitlinien für diese Bereiche und welche Realisierungsmöglichkeiten sehen Sie?
Vorab herzlichen Dank für die Beantwortung.
Mit freundlichen Grüßen
F. Bräuer
Sehr geehrter Herr Bräuer,
eine sehr interessante Frage, die ich umfänglich beantworten möchte. Auf ihrem Weg in das Berufsleben stehen behinderte Menschen vor ganz besonderen Herausforderungen. Denn nicht jeder Beruf ist aufgrund seiner physischen oder psychischen Anforderungen für die Betroffenen geeignet. Daher sind die Berufswahl, das Kennen lernen der eigenen Stärken und die realistische Einschätzung der zukünftigen Leistungsfähigkeit für eine erfolgreiche berufliche Eingliederung von großer Bedeutung. Menschen mit Behinderungen werden bisher oft in Berufen ausgebildet, die nicht bundesweit anerkannt sind und landen so häufig in einer Sackgasse des Arbeitsmarktes.
Menschen mit Behinderungen oder auch z. B. Lernschwierigkeiten haben es u.a. so schwer einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden, weil einfach strukturierte Tätigkeiten stark abgenommen haben und ein Verdrängungswettbewerb auf dem Ausbildungs- und Stellenmarkt stattfindet, der dazu führt, dass für gleiche oder ähnliche berufliche Tätigkeiten heute andere und zum Teil höhere Qualifikationen notwendig sind als früher.
Allein durch Maßnahmen der beruflichen Bildung ist die bestehende hohe Arbeitslosigkeit jedoch nicht abzubauen. Es fehlt an Arbeitsplätzen, auf deren Anforderungen hin die Qualifizierung von Arbeitsuchenden mit dem Ziel ihrer betrieblichen Integration Sinn machen würde. Es ist von "Warteschleifen" die Rede, die beispielsweise als Berufsvorbereitungsjahr oder Förderlehrgang Arbeitslosigkeit unterbrechen bzw. eine gewisse Zeit verhindern, aber nicht in Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisse des allgemeinen Arbeitsmarktes führen. Die Übergänge zwischen Schule, Berufsausbildung und Erwerbstätigkeit sind brüchig geworden.
- Qualifizierte Berufsausbildung erforderlich
Vor dem Hindergrund der Massenarbeitslosigkeit haben Jugendliche ohne Berufsausbildung nur geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Eine qualifizierte Berufsausbildung ist besonders für junge behinderte Menschen notwendig, um den ständig neuen wachsenden Anforderungen im Arbeitsleben gerecht zu werden und im Wettbewerb mit Nichtbehinderten auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können.
- Betriebliche Ausbildung fördern
Das Grundrecht, Beruf, Ausbildungsstätte und Arbeitsplatz frei wählen zu können, darf kein theoretischer Anspruch sein. Die öffentlichen und privaten Arbeitgeben sind in der Verantwortung, ihrer Ausbildungsplatzverantwortung vor allem auch gegenüber behinderten Jugendlichen nachzukommen. Die gegebenen Möglichkeiten einer gemeinsamen beruflichen Ausbildung von behinderten und nichtbehinderten Jugendlichen sind voll auszuschöpfen. Ausbildungsbetriebe sollten noch stärker die Fördermöglichkeiten nach dem Schwerbehindertengesetz zur Schaffung behindertengerechter Ausbildungs- und Arbeitsplätze nutzen. Alle Berufsschulen sind in die Lage zu versetzen, auf die spezifischen Bedürfnisse behinderter Menschen einzugehen und den im Einzelfall erforderlichen sonderpädagogischen Förderbedarf sicherzustellen.
- Berufsbildungs-/Berufsförderungswerke
Sondereinrichtungen der beruflichen Bildung müssen den behinderten Menschen offen stehen, denen wegen Art und Schwere ihrer Behinderung keine betriebliche Ausbildung möglich ist. Wie bereits im Schulbereich sollten die Sondereinrichtungen der beruflichen Bildung auch für nichtbehinderte Jugendliche geöffnet werden. Berufsbildungswerke und Berufsförderungswerke müssen für eine zukunftsorientierte und praxisnahe Gestaltung ihrer beruflichen Bildungsmaßnahmen, z.B. im Ausbildungsverbund mit Betrieben, Sorge tragen. Individuelle Hilfen beim Übergang in die Beschäftigung müssen angeboten werden. In den allgemeinbildenden und berufsbildenden Förderschulen hat die Vorbereitung auf Beruf und Leben deshalb einen besonderen Stellenwert.
- Beschäftigungspolitik fördern
Die andauernde Massenarbeitslosigkeit ist die zentrale soziale Herausforderung für unsere Gesellschaft. Sie kann und muss durch arbeitsmarktpolitische Einflussnahme, besonders durch eine aktive Beschäftigungspolitik auf allen Ebenen überwunden werden. Für die berufliche Integration behinderter Menschen tragen alle öffentlichen und privaten Arbeitgeber eine besondere Verantwortung. Sie müssen ihrer im Schwerbehindertengesetz festgelegten Beschäftigungspflicht endlich in vollem Umfang nachkommen. Ohne Erfüllung dieser Verpflichtung bleiben alle Maßnahmen der beruflichen und sozialen Integration fragwürdig.
In enger Zusammenarbeit von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften, Integrationsberatern und Arbeitsassistenten/Alltagsbegleitern sollen insbesondere:
- eine auf Verselbständigung abzielende einzelfall- und kontextorientierte, flexible und langfristige Unterstützung für die Jugendlichen organisiert werden, die zur Anbahnung und Absicherung ihrer Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse begleitende Hilfen benötigen,
- zusätzliche Praktikums-, Ausbildungs- und Arbeitsstellen in Wirtschaftsbetrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes akquiriert werden;
- die Kompetenz der Lehrkräfte durch gezielte Informationen über rechtliche und konzeptionelle Grundlagen der betrieblichen Integration und beruflichen Bildung von Menschen mit Lernschwierigkeiten verbessert werden;
- Kooperationsbeziehungen zwischen Schulen und sozialen Einrichtungen, Diensten und Maßnahmen zur beruflichen Integration von benachteiligten Jugendlichen angebahnt, entwickelt und dauerhaft nutzbar gemacht werden.
- Konzeption der Werkstätten für Behinderte weiterentwickeln Die Konzeption der Werkstätten für Behinderte muss mit dem Ziel weiterentwickelt werden, möglichst viele dort beschäftigte Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln. Integrationsfirmen und Integrationsfachdienste haben hier eine sehr wichtige Funktion. Eine Ausweitung der Werkstattplätze ist im Hinblick darauf nicht erforderlich. Unabhängig davon besteht jedoch die Notwendigkeit, eine Verbesserung der Entgeltsituation, der Mitwirkungsrechte sowie der rechtlichen Stellung der behinderten Beschäftigten in den Werkstätten voranzutreiben.