Frage an Kerstin Tack bezüglich Soziale Sicherung

Kerstin Tack
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SPD
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Frage von Lena S. •

Frage an Kerstin Tack von Lena S. bezüglich Soziale Sicherung

meine eigene Altersrente liegt zwar in einer sehr weiten Zukunft, die geplante Grundrente wirft jedoch schon jetzt einige Fragen auf, um deren Beantwortung ich Sie bitte.

1) ist das geplante Vorhaben verfassungsrechtlich in Ordnung?

2) warum ist bei Finanzierung durch Steuereinnahmen keine Bedürftigkeitsprüfung (wie bei einer Grundsicherung) vorgesehen? Warum kommt die Solidargemeinschaft bei der Grundrente für die Altersvorsorge vermögender Senioren auf?

3) warum werden bei der Berechnung der Grundrente bestimmte Personengruppen (z.B. reine Teilzeitkräfte, Teilzeitkräfte mit Nebenverdienst durch selbständige Tätigkeit, Teilzeitkräfte mit zusätzlicher privater Altersvorsorge, sogar bloß als Teilzeit angemeldete Beschäftigte (die die restliche Zeit evtl. schwarz auf Vollzeit aufstocken) durch die doppelte Altersrente (doppelte Entgeltpunkte) begünstigt und normale AG-und AN-RV-beitragsfinanzierte Vollzeitkräfte nicht?

4) Wo bleibt der sogenannte Respekt (hier also nach Gesetz als Ausdruck in finanzieller Form der doppelten Rente) den Vollzeitkräften gegenüber? In meinem persönlichen Umfeld kenne ich einige Personen, die bewusst jahrelang in Teilzeit arbeiten, um mehr Zeit für eigene Hobbys, Familie, Gesundheit, Urlaube etc. zu haben und jetzt bekommen diese noch eine doppelte Rente? Eine Vollzeitkraft (auch weibliche!) muss aus Zeitgründen auf einiges verzichten, hat mehr Stress und Gesundheitsprobleme und bekommt dafür keine doppelte Rente im Alter? Wo bleibt da die Gerechtigkeit?

5) Wird Fremdrentengesetz angewandt oder nicht? Reicht es für die doppelte Rente aus, wenn man z.B. Teilzeit-Arbeit (=geringeren Verdienst) durch EU-Zeiten-Bescheinigungen (z.B. 35 Jahre 40% der Vollzeitarbeit gearbeitet) belegen kann? Ggf. wäre es dann z.B. den Spätaussiedlern gegenüber diskriminierend, da diese bestimmte Obergrenzen der Rentenhöhe für UdSSR-Zeiten hinnehmen müssen. Oder wird deren Rente ebenfalls verdoppelt?

Vielen Dank für Ihre baldige Antwort,
Lena

Kerstin Tack
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau S.,

vielen Dank für Ihre Fragen, die ich gerne beantworte.

Zu 1) Selbstverständlich, sonst würden wir die Grundrente erst gar nicht auf den Weg bringen.

Zu 2) Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben, sollen nicht mehr zum Amt gehen müssen, um staatliche Hilfen zu beantragen, und dort ihre gesamten Einkommens- und Vermögensverhältnisse und die ihres Lebenspartners oder ihrer Lebenspartnerin offenlegen zu müssen.
Das war uns ein sehr wichtiges Anliegen. Denn derzeit beantragen viele Menschen aus Scham keine Grundsicherung. Viele befürchten immer noch, dass auch ihre Kinder hier zur Kasse gebeten würden, was jedoch nicht stimmt. Die Dunkelziffer ist hier sehr groß. Eine aktuellen Studie des DIW hat ergeben, dass ca. 70 Prozent der möglichen Anspruchsberechtigten auf Grundsicherung im Alter diesen Antrag nie stellen – Grundrente werden diese Menschen aber nun bekommen, da hierfür kein Antrag gestellt werden muss. Außerdem geht es genau darum, dass die Menschen mit so vielen Arbeitsjahren Renten verdienen und nicht Sozialleistungen.
Ohne Bedürftigkeitsprüfung haben auch diese Menschen, die derzeit trotz langer Versicherungszeiten in verschämter Armut leben, jetzt einen Anspruch auf Grundrente. Auch wenn viele Menschen es sich nicht vorstellen können: Schon die jetzige Bedürftigkeitsprüfung bei der Grundsicherung im Alter ist für viele Menschen eine riesengroße Hürde. Das wäre bei einer Grundrente, bei der noch in gleichem Stil Formulare auszufüllen sind, nicht anders. So eine Prüfung könnte auch nicht über die Rentenversicherung abgesichert werden.
Grundrente bekommen nur Menschen, die sie wirklich brauchen. Das wird über eine unbürokratische Einkommensprüfung – durch einen Datenaustausch zwischen Rentenversicherung und den Finanzbehörden – sichergestellt. Dabei gelten Freigrenzen beim steuerpflichtigen Einkommen für Alleinstehende in Höhe von 1.250 Euro und für Paare in Höhe von 1.950 Euro. Ein Freibetrag wird außerdem beim Wohngeld eingeführt, damit die höhere Rente nicht an anderer Stelle wieder verrechnet wird. Das bedeutet auch, dass wer bisher nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet ist, da er „nichts“ hat (nichts über dem für ihn jeweils als Rentner geltenden Steuerfreibetrag), auch künftig Grundrente bekommen wird.
Wenn die Grundrente mit anderem Einkommen zusammentrifft, wird sie natürlich dem Gesamteinkommen entsprechend besteuert. Insofern findet über die Besteuerung ein Ausgleich bei Besserverdienenden statt, der für alle im Rahmen des Steuerrechts gerecht ist. Hierher gehört dann auch das momentan in der öffentlichen Debatte arg strapazierte Beispiel der Zahnarztgattin in Teilzeit – und diese Erwerbsbiografien sind mit Sicherheit nicht die Mehrheit der künftigen Empfänger einer Grundrente.
Die Steuerfinanzierung der Grundrente ist besonders wichtig, damit die Rückführung über die Steuer wirkt. Das wäre bei einer Beitragsfinanzierung nicht der Fall.

Zu 3 und 4) In Deutschland haben die gesellschaftlichen Verhältnisse Frauen häufig benachteiligt. Sie haben oft nur Teilzeit arbeiten können und oft in schlecht bezahlten Berufen. Das darf heute nicht dazu führen, dass wir ihnen die Anerkennung für das Geleistete verweigern. Auch heute noch würde jede vierte Frau in Teilzeit gerne mehr Stunden arbeiten. Es geht um Lebensleistung. Das Bild von einer Gesellschaft, in der sich Frauen über ihre Männer definieren, ist doch längst nicht mehr aktuell. Wer arbeitet, hat für die eigene Leistung Respekt verdient, ohne auf den Ehepartner oder die Ehepartnerin zu schauen. Deshalb halten wir es für ungerecht, wenn wir Frauen, die ja in der Vergangenheit durchaus auch aus zwingenden Gründen (keine Kinderbetreuung U3 oder am Nachmittag, Pflege der Eltern) zuhause bleiben mussten oder Teilzeit gearbeitet haben, darauf verweisen, dass ihr Mann ja genug verdient habe. Übrigens trifft das oft auch nicht zu, weil auch besonders viele alleinstehende Frauen mit Kindern neben Teilzeitarbeit auf Sozialleistungen angewiesen waren. Wir wollen, dass Frauen Gerechtigkeit wiederfährt, dass ihre eigene Leistung gewürdigt wird und sie in Zukunft selbstbestimmter leben können. Aus diesem Grund zählen auch Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten bei den Anspruchsvoraussetzungen mit.
Ob und wie die Anteile von Teilzeit und Vollzeitarbeitenden verteilt sind, kann die Rentenversicherung nicht feststellen. Diese erfasst alleine die erworbenen Entgeltpunkte. Insofern wäre der einzige Weg, dieses Problem zwischen Teilzeit und Vollzeit zu vermeiden, der komplette Verzicht auf die Grundrente. In Klartext hieße das jedoch, dass Menschen mit niedrigen Löhnen in Vollzeit auf eine Grundrente verzichten müssten, weil es auch Menschen in Deutschland gibt, die freiwillig in Teilzeit arbeiten. Das wäre ein Preis, der uns deutlich zu hoch ist.
Einkommen unter 30 Prozent des Durchschnittsverdienstes sollen jedoch nicht durch Grundrente aufgewertet werden. Damit bleiben Teilzeitkräfte mit extrem niedriger Stundenzahl und Minijobber unberücksichtigt.

Zu 5) Ja, das Fremdrentengesetz findet Anwendung. Fremdrenten-Zeiten sind normale Pflichtbeitragszeiten und daher als Grundrentenzeit und als Grundrentenbewertungszeit anzurechnen. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Rente nach Mindestentgeltpunkten vor 1992, von der circa 50 Prozent der Fremdrentnerinnen und -rentner profitieren. Damit kann auch der Forderung einem Härtefallfonds von Seiten der Spätaussiedler begegnet werden, denn ihnen wird die Grundrente helfen.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass – anders, als Sie schreiben – deren Rente keinesfalls einfach so „verdoppelt“ wird. Für Menschen, die die Grundrente erhalten (unabhängig davon, ob sie zusätzlich unter das Fremdrentengesetz fallen) gilt: Die Grundlage für die Berechnung des Grundrentenzuschlags sind die Entgeltpunkte (EP), die während des gesamten Versicherungslebens in den „Grundrentenbewertungszeiten“ erworben wurden. Dazu zählen nur diejenigen Grundrentenzeiten, die mindestens einen Wert von 0,025 EP/Monat (0,3 EP/Jahr) aufweisen. Liegt der Durchschnittswert der Entgeltpunkte aus allen „Grundrentenbewertungszeiten“ unter 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes (entspricht jährlich 0,8 EP), wird für die Grundrentenbewertungszeiten, höchstens jedoch für 35 Jahre, ein Zuschlag zur Rente ermittelt. Die EP werden dabei auf das Zweifache des EP-Durchschnittswertes hochgewertet, maximal jedoch auf 0,8 EP pro Jahr, und sodann wird der so ermittelte EP-Wert mit dem Faktor 0,875 vervielfältigt. Mit diesem Faktor wird erreicht, dass die Gesamtrente aus den eigenen Beiträgen und dem Zuschlag an Entgeltpunkten umso höher ausfällt je höher die eigene Beitragsleistung ist. So findet sich das Äquivalenzprinzip auch bei der Grundrente wieder. Ab einem Durchschnittswert von 0,8 EP pro Jahr besteht kein Anspruch auf einen Zuschlag.
Mit freundlichen Grüßen

Kerstin Tack