Frage an Klaus Hänsch bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Klaus Hänsch
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Frage an Klaus Hänsch von Stefan P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Hänsch,

Sie schreiben auf Ihrer Homepage: "Ich habe im Präsidium des Konvents an der Ausarbeitung des Verfassungsvertrages intensiv mitgewirkt. Er sollte der Einigung Europas eine neue, feste Grundlage geben und die Institutionen der EU für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stärken."

Man kann vor dieser Grundlage Angst bekommen, denn: Die Todesstrafe ist in diesem Verfassungsentwurf legitimiert.

Ich zitiere die Schlussakte, Erklärung 12, Art.2:

Recht auf Leben
(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Leben.
(2) Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.

Bei den Erläuterungen zu (2) findet man unter 3. nun folgendes:

a) Artikel 2 Absatz 2 EMRK:
"Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um
a) jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen,
b) jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen worden ist, an der Flucht zu hindern,
c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen".

b) Artikel 2 des Protokolls Nr. 6 zur EMRK:
"Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden...."

Laut diesem Gesetz ist es legal, eine Person, die z.B. aufgrund eines Verkehrsdeliktes Widerstand gegen Vollzugsbeamte leistet, zu töten. Die Exekutivgewalt muss nur in diesem Moment entscheiden, dass eine Gewaltanwendung unbedingt erforderlich ist. Kein Staatsanwalt wird die Sache verfolgen.
Aufruhr und Aufstand - ein äußerst dehnbarer Begriff! Befürchtet die EU nach Ratifizierung Massendemos in allen Ländern?
Wer entscheidet über unmittelbare Kriegsgefahr?

Habe ich da etwas falsch verstanden?

Mit freundlichem Gruß

Stefan Pahl

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Pahl,

wie Sie selbst schon vermuten, haben Sie sowohl Geist als auch Wortlaut der Charta der Grundrechte der Europäischen Union falsch verstanden. Artikel 2 der Charta garantiert in Übereinstimmung mit der EMRK das Recht auf Leben (Absatz 1) und die vollständige Abschaffung der Todesstrafe (Absatz 2).

Ihr Hinweis auf die Erläuterungen zu Artikel 2 Absatz 2 der Charta und Artikel 2 des Protokolls Nr. 6 zur EMRK ist überholt. Seit dem 1. Juli 2003 ist das 13. Zusatzprotokoll zur EMRK in Kraft, das die Todesstrafe auch in Kriegszeiten abschafft. Damit ist Artikel 2 des Protokolls Nr. 6 aufgehoben. Das Protokoll Nr. 13 ist von allen 27 Mitgliedstaaten der EU ratifiziert und legt damit entsprechend Artikel 53 der Charta das Schutzniveau der Charta verbindlich fest.

Der in den Erläuterungen zu Artikel 2 der Charta zitierte Artikel 2 Absatz 2 der EMRK läßt die Todesstrafe nicht zu, sondern regelt die Zulässigkeit von Notwehr bzw. Gefahrenabwehr durch Gewalt mit Todesfolge, das ist ein erheblicher Unterschied. Notwehr ist selbstverständlich nicht mit Todesstrafe gleichzusetzen, Notwehr ist in allen Rechtsstaaten im Rahmen der Gesetze und unter der Kontrolle der Gerichte erlaubt. Das muß zum Schutz der Bürger auch so sein. Der von Ihnen konstruierte Fall ist wirklich aus der Luft gegriffen und absurd, denn selbstverständlich steht dieses äußerste Notwehr- und Gefahrenabwehrrecht zum Beispiel durch einen Vollzugsbeamten in besonderem Maße unter dem rechtsstaatlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Hänsch