Frage an Lothar Bisky bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Lothar Bisky
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Frage an Lothar Bisky von Vasco S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Bisky,

Was ist ihre Vorstellung von einem "sozialen" Europa und wie sehen Sie die Rolle von Unternehmen in diesem Zusammenhang?

Bedeutet "soziales" Europa für Sie auch, für eine gerechtere Weltordnung ohne Ausbeutung "schwächerer" Staaten einzutreten?

Mit freundlichen Grüßen,
Vasco Schultz

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Schultz,
was Ihre Frage zu meiner Vorstellung von einem sozialen Europa angeht, so darf ich auf meine Antwort an Herrn Ziller und erneut auf das Wahlprogramm der LINKEN zur Europawahl verweisen, das ich ihr beigefügt hatte. Unter http://die-linke.de/fileadmin/tpl/gfx/wahlen/pdf/europawahlprogramm2009_neu.pdf erhalten Sie es ebenfalls. Und zur Rolle der Unternehmen: Nach meiner Meinung müssen die Unternehmen auch auf europäischer Ebene ihrer sozialen Verantwortung nachkommen. Dies gilt insbesondere für die Großunternehmen und die Konzerne. Darum treten wir LINKEN für starke öffentliche Dienstleistungen und öffentlich kontrollierte Unternehmen ein. Die Rechte und Möglichkeiten der arbeitenden Menschen, bei Entscheidungen von Unternehmensführungen, z.B. bei Investitionen oder Produktionsleitung mitzureden, müssen meiner Meinung nach ausgebaut und juristisch verankert werden. Das europäische Banken- und Finanzsystem sowie Unternehmen und Industrien, die Politik und Wirtschaft beherrschen, gehören dauerhaft unter gesellschaftliche Kontrolle. Eine Politik, die kleine und mittlere Unternehmen, die Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen, fördert, ist aus meiner Sicht der richtige Ansatz. Bis zur Wirtschaftskrise 2008 gab es in der EU eine Explosion der Unternehmensgewinne und einen drastischen Rückgang der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen, eine wachsenden Ungleichheit bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen, Wachstum von prekärer Beschäftigung und Armut sowie wachsende Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft. Es gilt, diese Entwicklung umzukehren. Ich halte es für richtig, in der Energiepolitik umzusteuern. Die Netzinfrastrukturen (Strom, Gas, Wasser, Bahn, Telekommunikation) sowie bedeutende Unternehmen, die Politik und den Wettbewerb beherrschen, müssen in öffentliches Eigentum überführt und demokratisch kontrolliert werden. In Zukunft sollten Kraftwerke und Unternehmen drastisch verschärfte Vorgaben für den Klimagasausstoß erhalten. Für eine gute Sozialpolitik braucht es eine solide Finanzierung. Darum wollen wir z.B. Steueroasen austrocknen und die Steuerbefreiung für Dividenden von Unternehmen in unkooperativen Staaten abschaffen. Großunternehmen und Banken zahlen im Vergleich zu ihren Gewinnen nur wenig Steuern. Meine Partei und ich fordern, sie deutlich mehr an der EU-Finanzierung zu beteiligen, wie es bereits bei der einstigen Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl der Fall war. Zudem müssen die von einigen Mitgliedstaaten ausgehandelten Rabatte auf ihre EU-Beiträge abgeschafft werden. Wir setzen uns für eine Koordinierung der nationalen Steuerpolitiken ein, um Steuerdumping innerhalb der EU zu beenden. Wir LINKEN fordern neben einer Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage für Unternehmenssteuern die Festlegung eines EU-weiten Mindeststeuersatzes für Unternehmensgewinne in angemessener Höhe, um Steuerdumping zu verhindern und Konzerngewinne auch für das öffentliche Wohl einzusetzen. Dafür sind auf europäischer Ebene die entsprechenden Kompetenzen zu schaffen. Die einheitlichen Bemessungsgrundlagen müssen breit angelegt werden und somit Unternehmensgewinne realistisch erfassen. Besonders am Herzen liegen mir die Rechte der Beschäftigten in den Unternehmen. Wir wollen, dass in allen großen und mittleren Unternehmen die Beschäftigten und ihre gewählten Vertreterinnen und Vertreter bei grundlegenden wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen paritätisch mitbestimmen können. Betriebsräte müssen auf allen Ebenen über Informations-, Anhörungs-, Vorschlags- und Mitbestimmungsrechte verfügen. Wir unterstützen die Forderung nach einem Ausbau der Beteiligungsrechte von europäischen Betriebsräten und fordern eine Revision der EU-Betriebsräterichtlinie mit dem Ziel, dass bei Verstößen gegen die Konsultations- und Informationspflicht Sanktionen verhängt werden können. Die Mitbestimmung auf Unternehmensebene soll EU-weit nach dem Vorbild der Montanmitbestimmung geregelt werden. Wir verwahren uns gegen die von EU-Institutionen ausgehenden Angriffe auf Flächentarifverträge, Tarifautonomie und Streikrecht. Vielmehr müssen die Gewerkschaften das uneingeschränkte Recht haben, regionale, nationale und EU-weit grenzüberschreitende Tarife abzuschließen und dafür zu streiken. Das ungehinderte Streikrecht der Gewerkschaften, einschließlich des politischen Streiks, ist in allen Ländern Europas zu gewährleisten.

Fazit: Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen, die nachhaltig produzieren, Arbeitsplätze erhalten und schaffen und die politischen Rahmenbedingungen für Konzerne und großen Unternehmen so verändern, dass ihr unternehmerisches Handeln auch den Beschäftigten und den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu Gute kommt, ohne umweltschädlicher als unbedingt nötig zu sein. Gleichzeitig sollen sie sich an der Finanzierung des Sozialstaates angemessen beteiligen.

Zu Ihrer zweiten Frage lautet meine Antwort: Uneingeschränkt: JA. DIE LINKE war immer internationalistisch und sie bleibt ohne Wenn und Aber der internationalen Solidarität verpflichtet. Für mich ist dies eine conditio sine qua non.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Lothar Bisky