Frage an Martin Häusling bezüglich Wirtschaft

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Martin Häusling
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Matias Leão R. •

Frage an Martin Häusling von Matias Leão R. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Häusling!

Ich bitte Sie höflich freundlicherweise zum Thema TTIP folgende Fragen zu beantworten:

Wie sollen im jeweiligen Wirtschaftsraum der EU und der USA die Unternehmen über gleich einklagbare Chancen gleichgestellt werden? Wie sind in diesem Zusammenhang die eigenwirtschaftlichen Betriebe der hessischen Kommunen gefährdet?
Wie soll im Rahmen der Lebensmittelgesetze und Gesundheitsstandards das Vorsorgeprinzip, durch das Gefährdungsprinzip ersetzt werden? In welcher Weise werden hier die Verbandsklagerechte der Umwelt- und Gesundheitsverbände beschnitten?
In welcher Weise werden im Rahmen der Verhandlungen nicht die jeweils strengsten Regelungen übernommen, sondern die jeweils laxesten Regulierungen z. B. bei der Regulierung des Finanz- und Bankensektors?
In welcher Weise werden in Hinblick auf Umwelt-, Produktsicherheits-, Arbeitssicherheits- und Arbeitsgesundheitsstandards Industriestandards nicht abgesenkt, sondern angehoben? Stimmen Sie dem zu, dass gerade eine Verschärfung von Standards zu eine innovativen Welle führt und zu einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb um die besten Produkte?
In wieweit kritisieren die gängigen Wirtschaftsprognosen als nicht als die wahrscheinlichste, sondern als die optimistischste und in welcher Weise können Sie im Rahmen ihrer parlamentarischen Kontrolle eine wirksame Kontrolle dieser Prognosen garantieren?
Wie lässt sich das geplante Mediationsverfahren im Einzelfall gerichtlich überprüfen? Wie können privatwirtschaftliche Regressforderungen gegen die öffentliche Hand verfassungsrechtlich blockiert werden? In welcher Weise sind die eingesetzten Anwälte auch als eingesetzte Mediatoren einer Anwaltsgerichtsbarkeit weiterhin unterworfen?

Wie sieht abschließend der aktuelle Verhandlungsstand zwischen der EU und der USA aus und welche Position beziehen Sie?

Vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen.

Mit besten Grüßen, Hr. Rautenberg

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Rautenberg,

meine Antworten im Einzelnen:

Wie sollen im jeweiligen Wirtschaftsraum der EU und der USA die Unternehmen über gleich einklagbare Chancen gleichgestellt werden? Wie sind in diesem Zusammenhang die eigenwirtschaftlichen Betriebe der hessischen Kommunen gefährdet?
Antwort: In Zeiten der Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit wird das geplante europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen sozusagen als Konjunkturpaket verkauft.Der Abbau von Handelshemmnissen soll angeblich dazu führen, dass der transatlantische Handel einen neuen Aufschwung erlebt. Tarifäre Handelshemmnisse sind Zölle, zum Beispiel auf Waschmaschinen oder Autos. Derzeit liegen die Zölle im Handel zwischen der EU und den USA bei durchschnittlich drei Prozent. Dies ist ein historisch niedriger Wert. Positive,volkswirtschaftliche Effekte einer weiteren Zollsenkung erscheinen in diesem Licht eher marginal. Dann gibt es da noch die sogenannten nichttarifären Handelshemmnisse. Diese umfassen auch Maßnahmen, die dem Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutzdienen, beispielsweise ein Importverbot von hormonbelastetem Fleisch oder die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Genau diese nichttarifären Handelshemmnisse haben die WTO-Verhandlungen immer wieder scheitern lassen,und genau auf diese haben es die Verhandlungsführer der USA ganz besonders abgesehen.Inwiefern sich das alles auf eine Gefährdung kommunaler Betriebe auswirken kann ist vollkommen unklar. In jedem Fall wären sie aber einem stärkeren internationalen Wettbewerb ausgeliefert, was Entscheidungen zu mehr Qualität und mehr Nachhaltigkeit oder auch das Einhalten höherer Arbeitsschutzstandards erschweren dürfte.

Wie soll im Rahmen der Lebensmittelgesetze und Gesundheitsstandards das
Vorsorgeprinzip, durch das Gefährdungsprinzip ersetzt werden?
Antwort: In der EU reicht ein VERDACHT auf Schädlichkeit aus, um ein Verbot bestimmter Stoffe zu rechtfertigen. In den USA ist jeder Stoff erlaubt, dessen Schädlichkeit nicht bewiesen ist. Aus Sicht der USA sind daher Vorsorgeprinzipien, wie sie die europäischen Verbraucher seit langem genießen, ein unzulässiger Protektionismus. Seit Jahren ist zum Beispiel die Grüne Gentechnik Konfliktthema in den EU-US-Agrarhandelsstreitigkeiten. Hauptkritikpunkt sind die langen Zulassungsverfahren und Anbauverbote für GVO. Laut US-Auffassung beruhen diese nicht auf wissenschaftlichen Grundlagen. Das Gefährdungsprinzip fordert den Nachweis, dass ein Stoff schädlich ist. Dieser Nachweis ist aber für viele Stoffe erst dann wissenschaftlich abzusichern, wenn Menschen oder Natur eindeutig zu Schaden gekommen sind. Das schließt Vorsorgemaßnahmen auf Verdacht grundsätzlich aus und ist für uns Grüne untragbar.

In welcher Weise werden hier die Verbandsklagerechte der Umwelt- und Gesundheitsverbände beschnitten?
Antwort: Die Verbandsklagerechte würden durch ein Freihandelsabkommen nicht direkt rechtlich beschnitten. Sie hätten aber gegenüber den einklagbaren Interessen ausländischer Investoren nach meiner Einschätzung kaum noch ein wirksames Gewicht. In welcher Weise werden im Rahmen der Verhandlungen nicht die jeweils strengsten Regelungen übernommen, sondern die jeweils laxesten Regulierungen z. B. bei der Regulierung des Finanz- und Bankensektors?

In welcher Weise werden in Hinblick auf Umwelt-, Produktsicherheits-, Arbeitssicherheits- und Arbeitsgesundheitsstandards Industriestandards nicht abgesenkt, sondern angehoben?
Antwort: In Freihandelsabkommen werden Standards in der Regel auf den kleinsten gemeinsamen Nenner festgelegt, egal ob es um Bankenaufsicht oder um Arbeitsstandards geht. Das bilaterale Freihandelsabkommen für landwirtschaftliche Produkte zwischen der EU und Marokko, das im Oktober 2012 in Kraft getreten ist, bedroht zumBeispiel massiv Arbeitsplätze in der landwirtschaftlichen Produktion im Süden Europas. Dort steigt der Druck auf die Preise. Es wird noch billiger produziert, noch weniger auf Umweltschutz geachtet, Hilfsarbeiter werden noch schlechter bezahlt. Auch der NAFTA-Vertrag zwischen den USA, Kanada und Mexiko hat eher das Gegenteil bewirkt: Gewerkschaften beklagen Arbeitsplatzverluste in der Industrie, sinkende Löhne, das Unterlaufen von Arbeitsmindeststandards und wachsende Einkommensunterschiedeals Folge des Freihandels, weil Arbeitsstandards an das jeweils niedrigere Niveau angeglichen werden. Sogar der bisherige WTO-Chef Lamy hat Bedenken gegen den Freihandel der EU mit den USA. Zitat: »Die USA wollen das Abkommen als Defensivpakt gegen China. Die EUmuss wissen, ob sie da mitmachen will (…) Häufig führen entsprechende Vereinbarungen zu einer Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner (…).«Der europäische Gewerkschaftsverband für Ernährung, Landwirtschaft, Tourismus und Handel (engl. EFFAT) hat in einem Positionspapier zum Freihandel ebenfalls die Befürchtung geäußert, dass Arbeitnehmer von einem Freihandelsabkommen nicht profitieren würden.

Stimmen Sie dem zu, dass gerade eine Verschärfung von Standards zu einer innovativen Welle führt und zu einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb um die besten Produkte?
Antwort: Eine Verschärfung von Standards ist, wie oben dargelegt, nicht zu erwarten.In wieweit kritisieren die gängigen Wirtschaftsprognosen als nicht als die wahrscheinlichste, sondern als die optimistischste und in welcher Weise können Sie im Rahmen ihrer parlamentarischen Kontrolle eine wirksame Kontrolle dieser Prognosen garantieren? Antwort: Die von der EU-Kommission berechneten Effekte sind Langfristeffekte, die ihre volle Wirkung erst im Ablauf von 10-20 Jahren erreichen. Die optimistischen Prognosen gehen demnach nach einem Ablauf von 15 Jahren von einer Erhöhung des EU-BIP um nur 0,48 % aus. Das zusätzliche Wachstum in der EU pro Jahr beträgt dabei nur 0,034 Prozentpunkte. Eine fundierte Kontrolle derartiger Prognosen ist Abgeordneten des Europäischen Parlaments schlicht nicht möglich. Aber auch ohne diese „optimistischen Prognosen“ im Detail nachrechnen zu können, zeigen die Zahlen, dass die Vorteile verschwindend gering sind.

Wie lässt sich das geplante Mediationsverfahren im Einzelfall gerichtlich überprüfen? Wie können privatwirtschaftliche Regressforderungen gegen die öffentliche Hand verfassungsrechtlich blockiert werden? In welcher Weise sind die eingesetzten Anwälte auch als eingesetzte Mediatoren einer Anwaltsgerichtsbarkeit weiterhin unterworfen?
Antwort: Vorweg: Die Urteile der Schiedsgerichte in einem Investor-Klageverfahren sind verbindlich und müssen von den Beteiligten angenommen werden, also der Staat muss, wenn er verliert, zahlen. Konkret heißt das, dass private US-Konzerne Klagerechte gegen europäische Umwelt- und Sozialgesetze bekommen. Die Verhandlungen sind geheim. Die Gerichtsbarkeit wird bei diesen Schiedsgerichten nicht von unabhängig gewählten oder staatlich eingesetzten Richtern, sondern von Rechtsanwälten ausgeübt. Mehrere Anwaltsfirmen haben sich auf diese Prozesse spezialisiert; die acht größten von ihnen hatten 2011 einen Umsatz von etwa 13 Milliarden Dollar. In über 3000 Freihandels- und Investitionsabkommen sind solche Schiedsgerichte verankert. Ende 2012 waren mindestens 518 Klagen anhängig. Im Visier der Klagen: Chemikalienverbote, Umweltauflagen, Patentgesetze, Raucher/-innenschutz, Umschuldungs- und Gleichstellungspolitiken, Preisdeckelungen bei Wasser und Energie, zurückgenommene Privatisierungen. Dieses ganze Verfahren stellt ein Rechtssystem dar, das neben unserem nationalen und demokratischen Rechtswesen steht, es hebelt die Demokratie aus, macht politische Volksvertretung überflüssig und das Aufstellen von Rahmenbedingungen für eine nachhaltige, ökologische und soziale Entwicklung unseres Wirtschaftens in Europa nahezu unmöglich. Das ist für uns Grüne nicht akzeptabel.

Wie sieht abschließend der aktuelle Verhandlungsstand zwischen der EU und der USA aus und welche Position beziehen Sie?
Antwort: Aufgrund der wachsenden Kritik an den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen - insbesondere an den Konzernklagerechten -  hat die EU-Kommission entschieden, die Verhandlungen in diesem Punkt auszusetzen und eine dreimonatige öffentliche Anhörung zu starten. Allerdings kommt diese Anhörung reichlich spät, sie hätte im Vorfeld der Verhandlungen durchgeführt werden müssen und nicht nur zu den Investitionsschutzklauseln sondern zu allen wesentlichen Inhalten, die verhandelt werden sollen. Meine Position zu den Konzernklagerechten und auch zu dem bisher intransparenten undemokratischen Verhandlungsprozess habe ich oben dargelegt. Meine Forderung dazu ist: Ein wirklich transparenter Prozess zu einem fairen Freihandelsabkommen muss anders laufen. Die Kommission muss die Verhandlungen komplett aussetzen und für alle wesentlichen Inhalte des Freihandelsabkommens Anhörungen in allen Mitgliedstaaten durchführen und dabei alle Interessensvertreter und betroffenen Gruppen berücksichtigen sowie die Parlamente der Mitgliedstaaten und insbesondere das Europäische Parlament im Verhandlungsprozess intensiv und direkt mit einbeziehen. Passiert dies nicht, bin ich für einen Abbruch der Verhandlungen zum TTIP.  Weitere detaillierte Informationen können Sie meinem Positionspapier entnehmen. http://gruenlink.de/pfx

Mit freundlichen Grüßen
Martin Häusling

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