Frage an Matthias Wissmann von Michael M. bezüglich Innere Sicherheit
Das Post- und Fernmeldegeheimnis gehört zum Kernbereich eines freiheitlichen Rechtsstaates und ist ein elementares Menschenrecht. Auch EU-Beschlüsse stehen hier nicht darüber. Zum Fernmeldegeheimnis gehört nach gängiger Rechtsauffassung nicht nur der Inhalt der Kommunikation sondern auch die Tatsache der Kommmunikation selbst und sogenannte "Metadaten". Mit der geplanten "Vorratsdatenspeicherung" sollen künftig alle anfallenden Verbindungen aller wichtigen Telekommunikationsdienste protokolliert werden - und zwar wirklich alle und nicht nur die Daten jener, gegen die irgendein Verdacht vorliegt - eine in Westdeutschland beispiellose verdachtslose Generalüberwachung praktisch sämtlicher Bundesbürger.
Was gedenken Sie gegen diesen schweren und wahrscheinlich verfassungswidrigen Grundrechtseingriff zu unternehmen?
Sehr geehrte Herr Müller,
für Ihr Schreiben vom 15. Januar 2007, in welchen Sie dazu auffordern, die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht in nationales Recht umzusetzen, danke ich Ihnen. Ich möchte dazu folgendes bemerken:
Die Bundesregierung hat im Februar dieses Jahres der Richtlinie Nr. 2006/24/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, zugestimmt. Sie hat dies mit Unterstützung des Deutschen Bundestages getan. In dem Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD vom 7. Februar 2006 (BT- Drs. 16/545), der mit der Mehrheit der Stimmen des Deutschen Bundestages angenommen wurde, wurde die Bundesregierung aufgefordert, dem Text der Richtlinie bei der abschließenden Befassung des Rates der Europäischen Union zuzustimmen (Nr. II. 1 der Beschlussempfehlung). Der Deutsche Bundestag hat in dem Beschluss ausdrücklich darauf hingewiesen dass ein Zugriff auf Telekommunikationsverkehrsdaten insbesondere bei Straftaten mit komplexen Täterstrukturen, wie sie für den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität kennzeichnend sind, und bei von mittels Telekommunikation begangenen Straftaten unverzichtbar ist (Nr. I. 5 und 6 der Beschlussempfehlung).
Dem Deutschen Bundestag war dabei bewusst, dass das hierfür gewählte Instrument der Richtlinie möglicherweise nicht ganz frei von rechtlichen Risiken ist (I. 13 der Beschlussempfehlung). Er hat sich dennoch dafür ausgesprochen, weil es sich insoweit um einen Kompromiss der EU-Mitgliedstaaten gehandelt hat (das Instrument des Rahmenbeschlusses war innerhalb der EU-Mitgliedstaaten nicht mehrheitsfähig) und es jedenfalls gelungen ist, in der Richtlinie Regelungen mit Augenmaß (z. B. keine Speicherung von Gesprächsinhalten, Beschränkung der Speicherungsfrist auf 6 Monate, Datenabfrage nur bei Verdacht erheblicher oder mittels Telekommunikation begangener Straftaten) zu erreichen. Nur deshalb, weil die Bundesregierung diesen Weg der Richtlinie mitgetragen hat, hatte sie die Möglichkeit, diese Kautelen im Text der Richtlinie zu verankern. Der Richtigkeit dieser Entscheidung stehen auch nachträglich eingetretene Umstände nicht entgegen. Weder aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Mai 2006 in Sachen Übermittlung von Fluggastdaten, noch aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 2006 in Sachen Rasterfahndung lässt sich zwingend ableiten, dass die Richtlinie von der Form oder vom Inhalt her rechtswidrig wäre.
Die Richtlinie ist bis zum 15. September 2007 in nationales Recht umzusetzen. Das Bundesministerium der Justiz bereitet derzeit einen Gesetzentwurf hierfür vor. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird bei dieser Umsetzung darauf achten, dass die oben genannten Vorgaben, mit denen sowohl dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung als auch dem Schutz der Grundrechte in ausgewogener Weise Rechnung getragen wird, eingehalten werden.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Matthias Wissmann