Frage an Peter-Rudolf Zotl bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Peter-Rudolf Zotl
DIE LINKE
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Frage von Andreas K. •

Frage an Peter-Rudolf Zotl von Andreas K. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Zotl,
2 Fragen an Sie

1.Im Berliner Senat kommt wissenschaftlicher Politikberatung im weitesten Sinne, Anbindung an die Sozialwissenschaft im engeren Sinne, in den letzten Jahren sehr wenig Bedeutung zu. Reicht das ihrer Meinung nach aus oder benötigt die Berliner Politik und ihre Vertreter mehr wissenschaftliche Unterstützung?
2. In Zeiten wachsender Imageberatung etc sinkt das Vertrauen der Bürger in die Politik und die Politiker noch rapider als vorher. Worin sehen sie die Gründe, sehen Sie darin eine Gefahr und wenn ja, wie wollen Sie das Vertrauen wieder gewinnen.
Beste Grüße
A. Kolbe

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Kolbe,

natürlich braucht Politik immer - und eben auch die Berliner Politik bzw. die Politikerinnen und Politiker in Berlin - wissenschaftliche Unterstützung. Jedoch weiß ich nicht, wie Sie zu der Auffassung kommen, dass dieser in den letzten Jahren durch die Berliner Politik wenig Bedeutung zugemessen worden sei. Unmittelbar nach Beginn der Legislaturperiode hat der Senat - in enger Absprache mit dem Abgeordnetenhaus sowie mit den Bezirken - eine "Neuordnungsagenda" beschlossen. Darauf waren über sechzig grundlegende Reformen auf den verschiedensten Politikgebieten, aus allen Senats- und aus mehreren Bezirksverwaltungen. Das Ziel war in jedem Falle eindeutig definiert: Es ging darum, Verwaltungsprozesse zu entschlacken und als bürgernahes Dienstleistungsangebot umzugestalten und dabei höchst effektiv - möglichst sogar kostensparend - mit den finanziellen Mitteln umzugehen. In nahezu allen Fällen war daran externer Sachverstand beteiligt, z.B. bei der sozialwissenschaftlichen Definition der konkreten Bedürfnisse, aber auch bei der Verfahrenskritik und -optimierung. Die Palette dieser Projekte reichte von der Neustrukturierung ganzer Verwaltungsbereiche bis hin zur wissenschaftlichen Begleitung des ersten bezirklichen Bürgerhaushaltes im Berliner Bezirk Lichtenberg, der immerhin 250.000 Einwohnerinnen und Einwohner umfasst.

Was wir aber im Vergleich zu unseren Vorgängersenaten nicht getan haben, war, dass man wissenschaftliche Begleitung festlegte, sie an möglichst namhafte und große Firmen vergab und die beträchtlichen Honorare bezahlte und diese in Auftrag gebenen Expertisen dann als Feigenblatt benutzte, um Reformen zu verzögern oder zu verhindern. Nein, wir - und in den meisten Fällen waren da die Fachausschüsse beteiligt - haben in jedem Fall gefragt, ob es um wirklich neue und praktikable Fragestellungen geht und ob nicht mit einer neuen Expertise lediglich eine bisherige abgelöst wurde. Und wir haben ebenfalls die Kompetenz der jeweils vorgesehenen wissenschaftlichen Begleitung abgeprüft und gesichert, dass diese nicht aus "vorgefertigten Versatzstücken" besteht. Wir haben in jedem Falle verlangt, dass auch der externe Sachverstand von Anfang an mit dem internen Sachverstand - der z.B. in der Verwaltung vorhanden ist - kooperiert. Insofern war die Anbindung rot-roter Politik an wissenschaftliche Politikberatung, auch an sozialwissenschaftliche, ziemlich produktiv und effektiv und - was auch ein sehr wichtiger Unterschied zu früher ist - skandalfrei.

Ihre zweite Frage zielt offensichtlich darauf, dass es wachsende Angebote zur Imageberatung gibt und dennoch - vielleicht weil diese Angebote zu wenig genutzt werden - zu einem permanenten Imageverlust bei Politik, Politikerinnen und Politikern kommt. Ich will Imageberatung überhaupt nicht unterschätzen, und meines Wissens gibt es mehr und mehr politisch Verantwortliche auch in Berlin, die sich solchen Beratungen unterziehen, weil es eben auch darauf ankommt, wie Persönlichkeiten heraus gearbeitet werden. Und dennoch glaube ich, dass hier ein grundsätzlicher Irrtum vorliegt: Der wachsende Imageverlust von Politik, Politikerinnen und Politikern ist nur ganz bedingt eine Frage unzureichender Imageberatung, sondern in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass Politik immer öfter unglaubwürdig ist.

Glaubwürdigkeit ist aber zuerst eine Frage der Achtung gesellschaftlicher Interessen und dann eine Frage der Transparenz politischen Handelns. Von der Imageberatung wird aber nicht selten der Basta-Typ des "entschiedenen und entscheidungsfreudigen Politikers" anvisiert und dabei in Kauf genommen, dass man an den vielen Fragen und Vorschlägen der Menschen vorbeischlittert. Daraus resultiert dann häufig die resignierende Feststellung, dass "die da oben doch machen, was sie wollen, und dass wir da unten keinerlei Einfluss haben". Und besonders schlimm ist, dass immer wieder Erfahrungen gemacht werden, die genau so etwas bestätigen...

Vertrauen gewinnt man (wieder), wenn man rechtzeitig vor der Entscheidung das zu lösende Problem in seiner Widersprüchlichkeit öffentlich kommuniziert, wenn man die Öffentlichkeit - vor allem Betroffene - in Entscheidungsvorbereitungen einbezieht (bei einigen grundlegenden Strukturreformen während der rot-roten Regierungszeit in Berlin hat Politik zwar die Eckziele gesetzt, aber das Reformkonzept wurde von anerkannten Fachleuten des jeweiligen Gebietes erarbeitet) und die strukturelle Abgeschottetheit der eigentlichen Entscheidungsprozesse vor der Bevölkerung aufbricht. Deshalb hat z.B. meine Partei so stark auf eine leicht handhabbare direkte Demokratie gesetzt, die Mitsprache- und Mitbestimmungsmöglichkeiten verbindlicher ausgestaltet. Nur wenn der Souverän - das ist unsere, etwas theoretisch formuliert, Auffassung - jederzeit das Recht hat, sich die an ein Parlament übertragene Souveränität zurück zu holen und selbst zu entscheiden, wächst auch der Druck auf die Politik, von Anfang an mit der Öffentlichkeit - und eben nicht mehr in abgeschlossenen Zirkeln - an der Problemlösung zu arbeiten. Deshalb haben wir t.B. sowohl auf Landes- als auch auf Landesebene die Ausschlussgründe für Bürger- bzw. Volksentscheide weitestgehend aufgehoben, die Quorenregelungen deutlich vereinfacht, die Bedingungen für direkte Demokratie bürgernah gestaltet und das Teilnehmeralter auf 16 Jahre abgesenkt. Und genau in dieser Richtung wollen wir weiter arbeiten.

Um noch ein Beispiel zu nennen, das das soeben Gesagte auf andere Art verdeutlicht: Beim Bürgerhaushalt in Berlin-Lichtenberg wurden alle 30 Millionen Euro, über deren Verwendung der Bezirk frei entscheiden kann, zur öffentlichen Debatte übergeben. In einem sehr sachlichen und von externem Sachverstand entwickelten Verfahren wurde eine Atmosphäre allgemeiner Chancengleichheit geschaffen. Am Ende gab es Vorschläge und Ideen, die eine breite Mehrheit erhielten und auch umgesetzt wurden, und es gab auch Vorschläge, die erhielten weder auf Bürgerversammlungen noch im Internet noch auf schriftlichem Wege größere Zustimmung. Wie gesagt, es ging nicht um, Pflichtaufgaben, sondern um eigenverfantwortlich zu setzende Schwerpunkte. Allein dieses demokratische Verfahren führte dazu, dass das Ergebnis des Bürgerhaushaltes allgemeine Akzeptanz fand und dass es keine - wie ansonsten im Zuge der üblichen Haushaltsberatungen häufig - Proteste gab. Das deckt sich mit einer allgemeinen Erkenntnis aus der Demokratieforschung, dass Menschen nämlich bereit sind, Lösungen, die nicht ihren Intentionen entsprechen, zu akzeptieren, wenn diese Lösungen unter Abwägung aller Umstände und zutiefst demokratisch zustande gekommen sind.

In einem solchen Politikstil sehe ich den wirksamsten Weg, um einer allgemeinen Politikverdrossenheit entgegenzuwirken, weil nämlich die Menschen erfahren, dass Engagement "sich lohnt".

Mit freundlichen Grüßen
Peter-Rudolf Zotl