Frage an Petra Crone von Maximilian S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Crone,
ich zitiere den Artikel 146 des deutschen Grundgesetzes:
"Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."
Dieser Artikel bedeutet für mich, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland keine Verfassung besitzen, die jedoch für einen Staat, der sich selbst als demokratisch bezeichnet, unabdingbar ist.
Warum wird den Bürgerinnen und Bürgern das Recht auf eine selbst akzeptierte Verfassung selbst nach der deutschen Einigung von 1989/90 weiterhin verwehrt, wenn jedoch alle Voraussetzungen dafür vorhanden sind?
Über eine klare Antwort würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Maximilian Schmelzer
Sehr geehrter Herr Schmelzer,
ich danke Ihnen für Ihre Frage "Grundgesetz oder neue Verfassung?", die mich über abgeordnetenwatch.de erreichte:
Bis 1990 sah das Grundgesetz für die Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands zwei Wege vor: Zum einen den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Art. 23 GG (in seiner damaligen Fassung), zum anderen die Ablösung des Grundgesetzes durch eine neue Verfassung gemäß Art. 146 GG (in seiner damaligen Fassung).
Forderungen, den zweiten Weg zu beschreiten, konnten sich in der politischen Diskussion vor der Wiedervereinigung nicht durchsetzen, so dass schließlich der Weg über den Beitritt nach Art. 23 GG a. F. beschritten wurde. Nach überwiegender Auffassung in der Staatsrechtslehre wird die Legitimität des Grundgesetzes durch dieses - vom Grundgesetz ja selbst eröffnete - Verfahren nicht in Frage gestellt, da hierfür auch ein repräsentatives Verfahren mit nur mittelbarer Beteiligung des Volkes als ausreichend angesehen wird. Insofern hat die Zustimmung der demokratisch gewählten letzten Volkskammer zum Einigungsvertrag die Legitimität der Geltung des Grundgesetzes für das Gebiet der ehemaligen DDR bewirkt.
Damit war Art. 146 GG in seiner damaligen Fassung obsolet geworden, wurde aber als Ergebnis eines politischen Kompromisses in den Beratungen zum Einigungsvertrag in veränderter Form beibehalten, um die Möglichkeit einer originären gesamtdeutschen Verfassungsneuschöpfung beizubehalten. In seiner gegenwärtigen Fassung enthält Art. 146 GG also die Option zu einer Verfassungsneuschöpfung, verpflichtet aber nicht zu ihr. Ein solcher Erlass einer neuen Verfassung bedarf der Zustimmung des Volkes und würde bei einem positiven Abstimmungsergebnis das Grundgesetz außer Kraft setzen. Vielfach wird dieser Weg als Möglichkeit gesehen, die nationalstaatliche Souveränität zugunsten eines europäischen Bundesstaates aufzugeben. Strittig ist allerdings, welche Rolle bei einer Verfassungsneugebung nach Art. 146 GG die „Ewigkeitsgarantie“ des Art. 79 Abs. 3 GG spielen würde.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Crone, MdB