Frage an Renate Schmidt bezüglich Gesundheit

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Renate Schmidt
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Frage von Armin S. •

Frage an Renate Schmidt von Armin S. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Frau Schmidt,

ein wichtiges Prinzip effizienter Arbeit ist: "besser gut kopiert als schlecht selbst gemacht". In der Politik vermisse ich dies leider. Nun habe ich ein paar Jahre in der Schweiz gelebt und dort die Vorteile des Gesundheitswesens am eigenen Leib erfahren dürfen - genauso wie die Nachteile der hiesigen Drei-Klassen-Medizin (gesetzliche/private/sozialhilfe). Interssanterweise ist die Beitragslast im Hochlohnland(!) Schweiz viel niedriger als in Deutschland - trotz höherer Qualität der Versorgung.

Ein kurzer Abriss: In der Schweiz gibt es einen gesetzlich festgeschriebenen Leistungskatalog, die "obligatorische KKV". Jede Krankenkasse KK muss diesen Katalog anbieten, muss Jeden aufnehmen, kann aber ihren eigenen Preis machen. Da es keine gesetzlichen KKs gibt, fördert dies Konkurrenz und Effizienz der KKs und sorgt für tiefe Beiträge (dort gibt es keine "AOK-Paläste"). Alle Arztrechnungen (bis auf teure Spitalaufenthalte) gehen direkt an den Versicherten (Kostenkontrolle). Auch Medikamente (bis auf teure) werden erst mal vom Versicherten 100%ig bezahlt. Zudem gibt immer einen gesetzlich vorgeschriebenen Selbstbehalt - dies unterbindet unnötige Arztbesuche und Verschreibungen. Nur über Zusatzversicherungen kann man z.B. Zahnbehandlungen absichern (die Schweizer haben die besten Zähne in Europa). Es gibt keinen Arbeitgebaranteil (Lohn ist dafür höher). Kinder sind mitversichert. Der Versicherte hat also volle Kostenkontrolle und kann durch eigenes Verhalten die Höhe seiner Gesundheitskosten steuern. Die Beiträge sind übrigens unabhängig von der Lohnhöhe - dafür aber sehr tief und damit sozial. Interessanterweise gibt in CH trotz tieferer Gesundheitskosten kaum unzufriedene, überbelastete und unterbezahlte Ärzte. In den Arztpraxen nimmt man sich Zeit für die Patienten.

Und in Deutschland:
Für eine Packung Zäpfchen um 5EUR fürs Kind geht man erst mal zu Arzt um es sich dort verschreiben zu lassen - was unnötige zusätzliche Kosten verursacht. Die Ärzte kriegen so wenig für die Behandlung gesetzlich versicherter Patienten, dass sie sich nur über Massenabfertigung finanzieren können - kein Handwerker würde für diese Abrechnungssätze auch nur einen Finger krumm machen. Der Patient in Deutschland hat die komplette Verantwortung für seine Gesundheit abgegeben - bei jeder Kleinigkeit rennt er zum Arzt. 50% der deutschen Absolventen in der Medizin gehen ins Ausland oder machen etwas Anderes, weil die Arbeitsbedingungen untragbar sind (=> D setzt Milliarden in den Sand für deren Ausbildung). Wegen der Abrechnung über die Kassenärztlichen Vereinigungen gibt es keine Kostentransparenz. In Deutschland gibt es eine Dreiklassenmedzin: Zeit nehmen für eine vernünftig Beratung und Behandlung kann sich ein Arzt nur für privat Versicherte oder Sozialhilfeempfänger. Trotz alle dem kostet Gesundheit in Deutschland so viel wie nirgendwo. Offensichtlich geht das Geld also im System verloren.

- Würden Sie sich trauen, endlich mal allen Lobbys zugleich auf die Füsse zu treten?
- Würden Sie die falschen Gespenster einer "unsozialen Zwei-Klassen-Medizin", die bei einem solchen Systemwechsel an die Wand gemalt werden, als solche zu entlarven?
- Würden Sie sich also dafür einsetzen, einen kompletten Systemwechsel (z.B. nach Schweizer Vorbild) voranzutreiben?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Städtler,

das Schweizer System, das Sie beschreiben, kommt in etwa dem Gesundheitssystem nahe, das die Union mit ihrer sogenannten Kopfpauschale einführen will. Die mir vorliegenden Informationen über die Erfahrungen, die die Schweiz seit der Einführung des neuen Systems Anfang 1996 gemacht hat, decken sich nicht mit den Ihren und bestätigen die Einwände der Bundesregierung gegen Modelle einer Kopfpauschale oder Gesundheitsprämie: Die Leistungen der Krankenpflegeversicherung in der Schweiz sind reduziert und die Belastungen der Versicherten durch die Prämie hat in den letzten Jahren stark zugenommen.

Am schwerwiegendsten ist sicher, dass die Schweizer die zahnärztliche Versorgung und Zahnersatz privat finanzieren. Für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall muss eine private Zusatzversicherung abgeschlossen werden und auch eine Familienversicherung wie in Deutschland gibt es nicht: Kinder bezahlen bis zum 18. Lebensjahr und jüngere Erwachsene bis zum 25. Lebensjahr niedrigere Prämien.

Die durchschnittlich zu entrichtende monatliche Prämie für Erwachsene ist in den letzten Jahren in der Schweiz stark gestiegen ?8364;“ von 173 CHF (ca. 111 Euro) im Jahr 1996 auf 290 CHF (ca. 185 Euro) im Jahr 2005. Für Personen mit niedrigem Einkommen wird die Gesundheitsprämie über Zuschüsse subventioniert, die zur Hälfte der Bund und zur Hälfte der Kanton finanziert. Ein groæ#376;er Teil der Versicherten benötigt diese ?8364;žPrämienverbilligung?8364;œ und hängt also von staatlicher Unterstützung ab: Im Jahr 2003 knapp ein Drittel (32,8 Prozent) aller Versicherten. Der soziale Ausgleich für Personen mit niedrigem Einkommen hat aber mit dem Prämienanstieg der letzten Jahre nicht Schritt gehalten. Hinzu kommt, dass die Versicherten neben der Prämie im Krankheitsfall noch eine hohe Selbstbeteiligung leisten müssen, für die es keinen sozialen Ausgleich gibt.

Unabhängige Berechnungen zeigen, dass die Schweizer Kopfprämie mittlere Einkommensschichten überproportional belastet. Gut die Hälfte aller Schweizer bezeichnet die monatliche finanzielle Belastung als dauerhaftes oder gelegentliches Problem; 37 Prozent der Haushalte mit niedrigem Einkommen stufen die Prämie als dauerhaftes Problem ein. Der internationale Vergleich zeigt: Mit einer Gesundheitsausgabenquote (Gesundheitsausgaben in Prozent des Bruttoinlandsprodukts ?8364;“ BIP) von 11,2 Prozent verfügt die Schweiz nach den USA über das weltweit zweitteuerste Gesundheitssystem. Deutschland gibt 10,9 Prozent des BIP für Gesundheit aus.

Für ein Gesundheitssystem nach Schweizer Vorbild werde ich mich demnach nicht stark machen. Es ist teuer und unsozial und das Steuern der eigenen Gesundheitsausgaben ?8364;“ so schön dies zunächst klingt ?8364;“ funktioniert nur, solange man nicht ernsthaft krank ist. Ich bin überzeugt: Mit unseren Reformen der letzten Jahre sind wir auf dem richtigen Weg.

Mit freundlichen Grüæ#376;en
Ihre
Renate Schmidt