Frage an Stefan Liebich bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Stefan Liebich
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Frage an Stefan Liebich von Constantin M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Liebich,

Okkupation und Annexion der Halbinsel Krim in die Russische Föderation stellen einen gravierenden Verstoß gegen zahlreiche völkerrechtliche Normen (Gewaltverbot, territoriale Souveränität etc.) dar.

Es mag dahinstehen, inwieweit der EGMR unter dem Blickwinkel menschenrechtlicher Fragestellungen im Rahmen einer Staatenbeschwerde der Ukraine (Vgl. etwa Ilașcu und Banković) die Frage der Annexion bewerten darf.

Wer es mit der Stärke des Rechts ernst meint, der kommt nicht umhin, auf eine Klärung anhand völkerrechtlicher Maßstäbe zu drängen. Dass eine solche Klärung auch im Falle von Streitigkeiten über territoriale Ansprüche Erfolg zeitigen kann, beweist etwa das Urteil des Int. Seegerichtshofs über den Verlauf der Seegrenze zwischen Bangladesch und Myanmar.

Einzig zur autoritativen Entscheidung der Streitigkeit über die völkerrechtliche Nichtigkeit der Annexion der Krim berufen ist der Internationale Gerichtshof. Das Problem hierbei besteht jedoch darin, dass der IGH derzeit keine Gerichtsbarkeit haben dürfte, da Russland eine generelle Unterwerfungserklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut nicht abgegeben hat und weder eine Zuständigkeitsklausel in einem völkerrechtlichen Vertrag (evtl. das Truppenstatut der Streitkräfte in Sevastopol) noch die russische Zustimmung zu einer ad-hoc Vereinbarung nach Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut ersichtlich sind.

Die russische Seite hat stets auf völkerrechtliche Argumente verwiesen, die ihr Vorgehen in Bezug auf die Krim rechtfertigen sollen. Wenn Russland jedoch der Auffassung ist, Völkerrecht nicht gebrochen zu haben, dann sollte es sich auch dem IGH stellen.

Daher frage ich Sie:

1. Werden Sie in Gesprächen mit russischen Gesprächspartnern darauf drängen, dass sich Russland in der Krim-Frage der Gerichtsbarkeit des IGH unterwirft?

2. Werden Sie öffentlich dafür eintreten, dass eine Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des IGH für die Aufhebung der bestehenden Sanktionen notwendige Bedingung ist?

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Sehr geehrter Herr Merlan,

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag als Institution der Vereinten Nationen entscheidet über Streitigkeiten zu Fragen des Völkerrechts, die in der Regel von Mitgliedsländern der UNO eingebracht werden. Der IGH kann allerdings nur dann aktiv werden, wenn die betroffenen Staaten die Zuständigkeit anerkannt haben – in diesem Fall die Ukraine und Russland. Beide Staaten haben keine sogenannte Unterwerfungserklärung unterzeichnet, so dass sich beide bilateral im Vorfeld darauf einigen müssten. Eine solche Einigkeit ist nicht im Ansatz erkennbar. Ungeachtet dessen hat die Ukraine vor einem Jahr erklärt, Russland in der Krimfrage vor dem Internationalen Gerichtshof anklagen zu wollen.
Bislang haben erst ca. 70 Staaten eine Unterwerfungserklärung geleistet, von den Ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats hat lediglich Großbritannien ein solches Dokument Ende 2014 unterzeichnet. Deutschland hat 2008 eine entsprechende Erklärung abgegeben, jedoch mit der Einschränkung, dass Ereignisse im Zusammenhang von Auslandseinsätzen der Bundeswehr davon nicht erfasst werden.
In völkerrechtlichen Streitfällen wie dem zwischen der Ukraine und Russland kann allerdings die UN-Generalversammlung von ihrem in Artikel 96 der UN-Charta verankerten Recht Gebrauch machen, Rechtsgutachten beim Internationalen Gerichtshof (IGH) anzufordern. Im Ergebnis würde es zwar kein Urteil geben, dafür aber eine fundierte juristische Bewertung, der sich keine Konfliktpartei wirklich entziehen kann.

Mit freundlichen Grüßen
Stefan Liebich