Die Ampelkoalition will ein Selbstbestimmungsrecht verabschieden, in der jeder die Frage nach dem Personenstand im Ausweisdokument selbst beantworten kann. Welche praktischen Auswirkungen hat das?

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Sven Lehmann
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Frage von Christoph F. •

Die Ampelkoalition will ein Selbstbestimmungsrecht verabschieden, in der jeder die Frage nach dem Personenstand im Ausweisdokument selbst beantworten kann. Welche praktischen Auswirkungen hat das?

Guten Tag Herr Lehmann,
richtet sich die Anwendung von Gesetzen auf diese Person dann nach der gerade aktuell selbst gewählten Identität? Findet z.B. Artikel 12a (Wehrpflicht) des Grundgesetzes dann für die Personen Anwendung die sich auf Basis dieses Gesetzes zu dem Zeitpunkt als Mann definieren, ungeachtet der Tatsache dass die Wehrpflicht derzeit ausgesetzt ist? Was bedeutet dies für andere Lebensbereich? Kann eine Person, die nach diesem Gesetz sich als weiblich erklärt, jedoch wie ein durchschnittlicher Mann aussieht und auch benimmt, dann Damenumkleiden, auf Damentoiletten gehen oder z.B. die Frauensauna benutzen? Was sagen Sie den Damen, die sich daran störten dass in der Frauensauna eine Person sitzt, die optisch erkennbar ein Mann ist, sich jedoch als Frau definiert? Wie wollen Sie verhindern, dass jemand seinen Geschlechtseintrag in den Ausweisdokumenten permanent wechselt, je nach dem was ihm gerade vorteilhafter erscheint?
Viele Grüße und einen schönen Tag

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr F.,

haben Sie vielen Dank für Ihre Frage vom 26. Februar.

Wie Sie richtig feststellen, planen wir Grüne mit der Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes, die geschlechtliche Selbstbestimmung von Menschen zu stärken. Die von Ihnen gemachten Aussagen, dass Menschen durch ein Selbstbestimmungsgesetz ihren Geschlechtseintrag permanent wechseln würden, ignoriert jedoch die tatsächlichen Probleme, denen sich trans* Menschen aktuell ausgesetzt sehen und die damit verbundenen Auswirkungen auf ihre physische und psychische Gesundheit.

Bereits 2018 kamen Forscher*innen auf der Grundlage von 35 Studien zu dem Ergebnis, dass transgeschlechtliche Jugendliche ein sechsmal höheres Suizidrisiko als gleichaltrige cis-Jugendliche aufweisen. Zu sagen, dass all diese Menschen rein aus eigenem Vorteil für sich mehrfach ihre Geschlechtseinträge wechseln würden, geht aus unserer Sicht gänzlich an der Lebensrealität dieser Menschen vorbei und missachtet, dass auch trans* Personen ein Recht auf Selbstbestimmung haben. Es lässt außerdem außen vor, dass das Bundesverfassungsgericht die derzeitige Rechtslage bereits in Teilen für verfassungswidrig erklärt hat. Es ist also dringend geboten, dass die Gesetzgeber*innen hier handeln.

Wenn auf der Grundlage des Selbstbestimmungsgesetzes ein Geschlechtseintrag geändert wird, dann gilt dies selbstverständlich rechtlich mit allen damit zusammenhängenden Konsequenzen. Ihre Frage zielt allerdings eher auf die gesellschaftliche Akzeptanz ab, bei der wir alle aufgerufen sind, unseren Beitrag dazu zu leisten, dass niemand in unserer Gesellschaft ausgegrenzt wird. Hierfür planen wir in der Bundesregierung den „Nationalen Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und gegen Homo- und Transfeindlichkeit“ auf den Weg zu bringen, der genau diese Punkte mit einbezieht.

Vollkommen klar ist, dass der Schutz von Frauen ohne Wenn und Aber gelten muss. Frauen müssen sich sicher und diskriminierungsfrei im öffentlichen Raum bewegen können. Dies schließt selbstverständlich auch trans* Frauen ein. Deshalb sind Schulen, Sportvereine, Schwimmbäder und andere öffentliche Einrichtungen dazu aufgefordert, ihre Angebote so zu gestalten, dass der Schutz für alle Frauen gewährleistet wird. Schutz zu gewährleisten heißt, konsequent die zu Schützenden in den Mittelpunkt zu stellen und die Hilfestrukturen zu stärken, sodass sie ihrem Schutzauftrag nachgehen können. Damit allen Menschen eine Teilhabe ohne Angst möglich ist, ist es wichtig, dass Toiletten, Umkleiden etc. gendersensibel gestaltet werden und geschützte Rückzugsräume zur Verfügung stehen. Viele Kommunen planen solche öffentlichen Orte inzwischen auf dieser Grundlage. Im Einzelfall muss immer vor Ort entschieden werden, welches Schutzbedürfnis für welche Person besteht und wie dieses gesichert werden kann.

Mit freundlichen Grüßen

Sven Lehmann MdB

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