Frage an Thomas Feist bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Thomas Feist
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Frage von Heiner H. •

Frage an Thomas Feist von Heiner H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Feist,

im Hinblick auf die öffentliche Anhörung des Petitionsausschusses am 8.11.2010 zur Petition für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens möchte ich Sie im Namen der Grundrechtsschutz-Initiative darauf aufmerksam machen, dass eine bedingungslose Grundsicherung für alle Bürger längst durch das Grundgesetz geboten und damit überfällig ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus den Artikeln 1 und 20 des Grundgesetzes abgeleitet. So heißt es beispielsweise in dem Hartz IV-Regelsatz-Urteil vom 9.2.2010 (unter Rnn 133, 136, 137):

"Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG.
Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG wiederum erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern."
"Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein. Dies verlangt bereits unmittelbar der Schutzgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG."
"Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt."

Dieser Verpflichtung kommt der Staat nur nach, wenn er das menschenwürdige Existenzminimum jedem Einzelnen bedingungslos sichert. Die derzeitige Regierungspraxis in Bezug auf die Erwerbslosen, die den Anspruch auf staatliche Unterstützung an die Voraussetzung der Unterwerfung unter die Vorstellungen der Arbeitsmarktverwaltung bindet, stellt einen Hohn gegenüber dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dar.

Ein Menschenrecht, das unter Bedingungen steht, ist kein Menschenrecht. Werden Sie sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen?

Mit freundlichen Grüßen
H.E. Holzapfel

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CDU

Sehr geehrter Herr Holzapfel,

vielen Dank für Ihren Beitrag bei abgeordnetenwatch.de. Ich kann Ihnen versichern, dass ich selbstverständlich für den Schutz der Menschenrechte einstehe.

Das von Ihnen angeführte Urteil des Bundesverfassungsgerichtes fordert meines Erachtens aber kein bedingungsloses Grundeinkommen. Das Gericht hat die Regelleistungen nach SGB 2 ("Hartz IV") nicht für mit der Verfassung unvereinbar erklärt. Die Richter haben auch die Höhe der Regelsätze für Erwachsene und Kinder nicht beanstandet und die Ermittlungsmethode im Grundsatz bestätigt. Es sollte jedoch besser und nachvollziehbarer begründet werden, wie die Regelsätze im Einzelnen zustande kommen. Der Bundesgesetzgeber hat auf dieses Urteil angemessen reagiert.

Im Übrigen stehe ich zur Entscheidung des Petitionsausschusses, der die von Ihnen angesprochene Petition am 27.06.2013 abgeschlossen hat, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden konnte.

Ich zitiere einige Gründe für die Entscheidung, die ich vorbehaltlos teile. Die vollständige Begründung finden Sie unter: https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2008/_12/_10/Petition_1422.abschlussbegruendungpdf.pdf

1. „Unabhängig von den unabsehbaren Folgen, die eine solche drastische Umorganisation der staatlichen Haushalte für die Unternehmen und privaten Haushalte mit sich bringen würde, steht der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, das zudem auch noch deutlich höher sein soll als die heute nur in Bedarfsfällen gewährte Grundsicherung, entscheidend entgegen, da kaum eingeschätzt werden kann, in welchem Umfang die Bürgerinnen und Bürger, aufgrund der dann nicht mehr gegebenen Anreize, noch einer und vor allem welcher Erwerbstätigkeit nachgehen würden.“

2. „Da das heutige Sozialleistungssystem auf Erwerbsarbeit beruht, kann keine Aussage darüber getroffen werden, welche Beträge bei Einführung einer Grundsicherung, die alle bisherigen Sozialleistungen ersetzen soll, zur Verfügung stehen würden. Mithin wäre die finanzierbare Höhe des Grundeinkommens losgelöst von den Annahmen über die Lebensbedürfnisse und könnte nur nach Kassenlage gewährt werden. Leistungen aus der Sozialversicherung, die den weitaus größten Anteil an der sozialen Sicherung trägt, sind dagegen stets abhängig vom Erwerbseinkommen der Versicherten. Die Höhe des von jeglicher Erwerbsarbeit losgelösten Grundeinkommens hat keinen ökonomischen oder sozialen Aussagegehalt, so dass fraglich erscheint, ob die Bedürfnisse der Menschen auch tatsächlich weiter befriedigt werden könnten.“

3. „Eine Beschränkung auf in Deutschland ansässige Personen würde eine nicht zu bewältigende Zuwanderung auslösen, die zumindest aufgrund der innerhalb der Europäischen Union verbindlichen Freizügigkeit auch nicht verhindert werden könnte. Ferner würden die unausweichlich höheren Verbrauchssteuern zu einem Anstieg der Schattenwirtschaft führen, weil sie eine Ermunterung zur Schwarzarbeit darstellen und Anlass für ökonomisch nicht sinnvollen Konsumtourismus ins benachbarte Ausland geben.“

4. „Auch unter Gerechtigkeitsaspekten kann die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, das allenfalls nur durch eine Erhöhung der Verbrauchssteuern zu finanzieren wäre, nicht befürwortet werden. Während auch Vermögende, die eine staatliche Unterstützung im Grunde nicht benötigen, in den Genuss der Zahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens kommen würden, tragen zum Beispiel weniger wohlhabende Familien aufgrund ihres höheren Verbrauchs an Konsumgütern überproportional zur Finanzierung dieses Systems bei.“

5. „Der auf den ersten Blick einnehmende Vorschlag, mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens eine den Menschen entgegenkommende neue Sozialordnung zu schaffen, in der jeder nur nach seinen Vorstellungen tätig zu sein braucht ohne auf Erwerbsarbeit angewiesen zu sein, erweist sich bei näherer Betrachtung als nicht realisierbare Wunschvorstellung. Eine Wirtschaft, in der die Befriedigung aller Bedürfnisse nicht über Erwerbsarbeit, sondern durch staatliche Leistungen erfolgt, quasi als Perpetuum Mobile Waren und Dienstleistungen bereitstellt, ohne dass ein adäquater Produktionsprozess verlangt wird, ist empirisch nicht belegt und schlicht nicht vorstellbar.“

Im Übrigen möchte ich Sie auf eine Stellungnahme des Institutes der deutschen Wirtschaft Köln hinweisen, das bezüglich der Kosten den aktuellen Kenntnisstand zusammengefasst hat: Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat errechnet, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger jährlich einen dreistelligen Milliardenbetrag kosten würde. Einige Experten hätten sogar Kosten von bis zu 1.000 Milliarden Euro im Jahr errechnet. Zum Vergleich führen die Wissenschaftler an, dass die Ausgaben für alle bestehenden Sozialleistungen sich in Deutschland im Jahr 2009 auf 750 Milliarden Euro beliefen, davon entfielen auf Hartz-IV-Leistungen circa 46 Milliarden Euro. Sie kommen zu dem Schluss: „Ohne eine erhebliche zusätzliche Staatsverschuldung ist die Einführung eines Grundeinkommens nicht finanzierbar.“

Die Wissenschaftler aus Köln führen weiter zur Einstellung der Bevölkerung aus: Demnach ergab eine Umfrage des World Values Survey – einem Netzwerk von Sozialwissenschaftlern - dass die meisten Leute pauschalen Transferleistungen skeptisch gegenüber stehen. „Rund 40 Prozent der Deutschen finden es entwürdigend, Geld zu bekommen, ohne dafür etwas zu leisten. Der Anteil derer, die das anders sehen, liegt nur bei 33 Prozent. Am höchsten ist die Ablehnungsrate mit annähernd 47 Prozent unter den Selbstständigen. Doch auch unter den Arbeitslosen ist der Anteil derer, die den Empfang von Leistungen ohne Gegenleistung kritisch beurteilen, mit knapp 45 Prozent überdurchschnittlich hoch. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Erkenntnissen aus der Sozialpsychologie: So konnten Psychologen nachweisen, dass Menschen der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung in der Regel eine hohe Bedeutung beimessen. Inwieweit die Gesellschaft eine Grundversorgung akzeptiert, die beispielsweise einem gesunden Jugendlichen das gleiche Einkommen garantiert wie einem Menschen mit einem geistigen oder körperlichen Handicap, ist demnach höchst fraglich.“

Dazu passt eine aktuelle Umfrage des Deutschlandtrends der ARD von Anfang August. Demnach erklären 76 Prozent der Bevölkerung, dass sie ihre eigene wirtschaftliche Situation als gut oder sehr gut einschätzen. Dieser hohe Wert wurde in der Geschichte der Bundesrepublik nur einmal gemessen, nämlich 1998.

Ein weiteres persönliches Argument möchte ich anführen. Ich bin nicht der Meinung, dass sich der Staat durch die Zahlung einer Geldleistung aus dem Prinzip der Verantwortung „freikaufen“ sollte. Ein Sozialstaat zeichnet sich doch gerade dadurch als solcher aus, dass er seiner Verantwortung dem Einzelnen gegenüber nachkommt und nicht durch eine Pauschalzahlung diese abgibt.

Aus all diesen Gründen halte ich ein bedingungsloses Grundeinkommen politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich für nicht umsetzbar und im Grundsatz für falsch.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Thomas Feist