Frage an Ute Kumpf bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Ute Kumpf
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Frage von Christof T. •

Frage an Ute Kumpf von Christof T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Frau Kumpf,

ich bin entsetzt! Auch Sie haben dem Überwachungsstaat zugestimmt - ich meine das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung und TK-Überwachung. Ich hoffe, Sie haben sich zuvor eingehend mit dem Thema beschäftig und auch die zahlreichen Argumente z.B. vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) - http://www.vorratsdatenspeicherung.de - genau abgewogen. Noch werden zwar keine Inhalte von Telefongesprächen und eMails gespeichert,aber die Online-Duchsuchung ist ja schon geplant. Glauben Sie es wirklich, das es mit den freiheitlichen Bürgerrechten vereinbar ist, wenn der Staat (Polizei, Nachrichtendienste und Ordnungsbehörden) im Detail über Zeitpunkt, Dauer und Ort ALLER Kommunikation ALLER Bürger bescheidweiß?
Mit freundlichen Grüßen,
Christof Türk

PS: Schade, das mit diesem Beschluß eine weitere Partei (nun also die SPD nach den Grünen wegen des Jugoslavien-Krieges) und Sie Frau Kumpf ganz persönlich für mich nicht mehr wählbar sind.

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SPD

Sehr geehrter Herr Türk,

leider zwingt uns die sicherheitspolitische Lage, auch in Deutschland, die vertrauten Strafverfolgungsmethoden zu modifizieren, um eine zeitgemäße Gefahrenabwehr, im Interesse aller Bürger, zu gewährleisten. Vor welchen Herausforderungen wir stehen und von welchen Überlegungen wir uns haben leiten lassen, will ich Ihnen nachfolgend darstellen.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den parlamentarischen Beratungen zu diesem Gesetz dafür Sorge getragen, dass der Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung und dem Schutz vor schweren Straftaten mit hohen, grundrechtssichernden Schwellen verknüpft ist. Auf diese Weise bleibt das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gewahrt.

Wir haben bei dem Gesetz einerseits im Auge behalten, dass der Staat für unsere Sicherheit zu sorgen hat und daher die berechtigten Strafverfolgungsinteressen des Staates angemessen berücksichtigt werden müssen. Andererseits greifen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen aber regelmäßig in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, so dass für ihre Anordnung strenge Voraussetzungen gelten und der Rechtsschutz wirksam ausgestaltet sein müssen. Deshalb haben wir das Telekommunikationsüberwachungsrecht weiter rechtsstaatlich eingegrenzt. Dadurch liegen die Hürden für die Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung in Zukunft noch höher als jetzt. Dabei gilt künftig wie bisher, dass sie – wie künftig bei jeder eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahme auch – grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden darf.

Hürde Nr. 1: Vorliegen einer schweren Straftat
Neu ist dabei, dass Straftaten grundsätzlich nicht in Frage kommen, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Tat muss – auch diese ausdrückliche Regelung ist neu – auch im konkreten Einzelfall schwer wiegen.

Hürde Nr. 2: Kernbereichsschutz
Eine Telekommunikationsüberwachung ist unzulässig und hat zu unterbleiben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden.

Hürde Nr. 3: Berufsgeheimnisträgerschutz
Soll ein Berufsgeheimnisträger wegen des Ermittlungsverfahrens gegen einen Dritten, an dem er selbst in keiner Weise beteiligt ist, überwacht werden, gilt Folgendes:

Das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten wird absolut geschützt. Sie haben eine besondere verfassungsrechtliche Stellung. Deshalb sind sie von allen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die Informationen beziehen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger anvertraut wurden.

Bei Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und allen anderen zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen künftig nur nach einer sehr sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen. Für die Abwägung wird es zudem einen ausdrücklichen Maßstab im Gesetz geben: Betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht vom Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Eine Straftat ist nur dann von erheblicher Bedeutung, wenn sie mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden kann, den Rechtsfrieden empfindlich stört und dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Ergibt die Prüfung also, dass es bei der Ermittlung nicht um eine erhebliche Straftat geht, sind jegliche Ermittlungsmaßnahmen gegen den Berufsgeheimnisträger regelmäßig unzulässig, weil unverhältnismäßig.

Hürde Nr. 4: Berufsgeheimnisträgerschutz bei Verstrickung
Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können nach geltendem Recht zum Beispiel Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn diese für die Aufklärung einer Straftat relevant sind. Künftig muss sich die Annahme des Verstrickungsverdachts auf bestimmte Tatsachen gründen, so dass eine sorgfältige, sich auf konkrete Tatsachen stützende Prüfung erforderlich werden wird.

Hürde Nr. 5: Beweisverwertungsverbot bei Zufallsfunden
Ein Zufallsfund ist Material, das auf eine Straftat hindeutet, aber nichts mit der Untersuchung zu tun hat, wegen derer eine Durchsuchung angeordnet wurde. Bei Journalisten dürfen solche Zufallsfunde künftig nicht als Beweise in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats oder wegen sonstiger Straftaten, die mit einem Höchstmaß von unter fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, verwertet werden.
Das neue Gesetz enthält darüber hinaus Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) in deutsches Recht umzusetzen. Auch hier haben wir im Bewusstsein der Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung unsere Verpflichtung für Bürgerrechte ernst genommen und dafür Sorge getragen, dass die EU-Vorgaben so grundrechtsschonend wie möglich gestaltet wurden. So ist es Deutschland gegen den Widerstand vieler anderer Mitgliedstaaten gelungen, dass die Mindestspeicherungsdauer auf sechs Monate (statt der ursprünglich auf EU-Ebene diskutierten 36 Monate) beschränkt wurde. Dies ist ein vom Deutschen Bundestag wirksam unterstützter Verhandlungserfolg der Bundesregierung auf EU-Ebene.

Ich hoffe ich konnte Ihnen einen detaillierten Einblick in das Gesetz zur Novelle der Telekommunikationsüberwachung und zur Umsetzung der europäischen Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung geben.

Die von Ihnen und dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung angeführten Bedenken sind für mich nachvollziehbar, weswegen wir versucht haben diese in die Novellierung des Telekommunikationsüberwachung einfließen zu lassen. Der oberste Grundsatz bei Gesetzen und Verordnungen, die in die Grundrechte der Bürger eingreifen, ist das Gebot zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit. Hierüber hat letztlich das Bundesverfassungsgericht zu urteilen. Dessen Standpunkt zum Schutz der Bürgerrechte beim Urteil zu „Online-Durchsuchungen“ vom 27. Februar 2008 – 1 BvR 370/07; 1 BvR 595/07 – deutlich wurde. Die von Ihnen und dem „AK Vorrat“ eingereichte Verfassungsbeschwerde ist wichtig und findet meine Unterstützung, um auch im Bereich der Vorratsdatenspeicherung für Klarheit bei der Beurteilung der Verhältnismä ;ßigkeit zu sorgen. Wie Sie, so erwarte auch ich gespannt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Laufe dieses Monats.

Mit freundlichen Grüßen

Ute Kumpf