Frage an Viola von Cramon-Taubadel bezüglich Wirtschaft

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Viola von Cramon-Taubadel
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Marcel S. •

Frage an Viola von Cramon-Taubadel von Marcel S. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Cramon-Taubadel,

in der aktuellen Finanzkrise werden immer neue Methoden und Möglichkeiten durch die Politik ausgeschöpft um Staaten zu retten. Ein Mittel um Staatspleiten zu verhindern soll der Vertrag zur Transferunion sein. Der Entwurf dazu ist im Internet einsehbar und liegt ihnen mit Sicherheit auch vor. Werden Sie diesem Mittel zustimmen?

Ich finde es unerhört was hier ausgearbeitet wurde. Die Rechte von Bürgern werden mit Füßen getreten, ja sogar die Souveränität der Bundesrepublik wird damit faktisch aufgehoben. Ich bitte Sie sich deshalb mit diesem Vertrag eingehend zu beschäftigen. Was halten Sie von diesem Vertrag und von der derzeitigen Politik die mit Staaten wie Griechenland betrieben wird?

Mit freundlichen Grüßen
Marcel

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schröter,

vielen Dank für Ihre Anfrage, in der Sie Ihre Bedenken hinsichtlich der aktuellen EU-Schuldenkrise schildern. In der Tat sind die aktuellen Herausforderungen, vor der die Mitglieder der Eurozone und damit die gesamte EU stehen, immens.

Von Beginn an der Krise setzen wir uns dafür ein, dass sich Deutschland – der bislang größte Profiteur der Gemeinschaftswährung Euro – verantwortlich und solidarisch in der Krise engagiert.

Ein Strategiewechsel im Umgang mit der Schuldenkrise ist nötig, da die bisherigen Maßnahmen, vor allem in Griechenland nicht zum gewünschten Ziel geführt hat. Dazu gehört ein klares Signal an die Märkte, dass Spekulationen gegen einzelne Länder – wie jetzt Italien – sich nicht lohnen.

Wir müssen festhalten: Die Währungsgemeinschaft hat der europäischen Wirtschaft durch den Wegfall von Währungsrisiken enorme Vorteile erbracht. Und nochmals: Kein anderes Land in Europa hat so vom Euro profitiert wie das exportstärkste Land Europas, und das ist Deutschland.

Daher hätte ein Auseinanderbrechen der Währungsunion drastische Folgen für die Unternehmen in Deutschland und würde hunderttausende Arbeitsplätze kosten. Die Stammtischparolen aus den Reihen von Schwarz-Gelb und von der Bild-Zeitung lassen den Eindruck entstehen, Deutschland sei der Zahlmeister und würde ständig wieder neue Milliarden an Griechenland überweisen und hätte selbst nichts davon. Das Gegenteil ist der Fall. Während Schwarz-Gelb sich durch kurzfristig erfolgversprechende Rhetorik Aufwärtswind in den Meinungsumfragen erhofft, sehen wir Grüne uns weiterhin als die Europapartei, die an langfristig richtigen Entscheidungen festhält.

Aber nicht nur Deutschland, auch die anderen europäischen Staaten haben, insbesondere in der Finanzkrise, enorm durch den Euro profitiert. Während in anderen EU-Staaten viele Unternehmen, die sich in niedrig verzinsten Euro-Darlehen finanzierten, nach Abwertungen in der Finanzkrise mit großen Schwierigkeiten konfrontiert sahen, waren die Euro-Länder vor Währungsschwankungen geschützt, da der Euro als zweitwichtigste Reservewährung kaum Spekulationen ausgesetzt ist. Die Tatsache, dass die isländische Regierung auf ihre Bankenkrise mit dem Wunsch nach einem schnellstmöglichen Beitritt zur Euro-Zone antwortete, ist ein Zeichen, wie stabil und erfolgreich der Euro eingeschätzt wird. Trotz dieser Vorteile hat die Vergangenheit uns gezeigt, welche Konsequenzen sich aus Ungleichgewichten im Währungsgebiet ergeben können.

Das bedeutet nicht, dass wir eine unbegrenzte Transferunion wollen. Diese Krise zeigt jedoch, dass wir mehr Europa brauchen! Unsere gemeinsame Währung kann nur gelingen, wenn wir einen gemeinsamen Rahmen für die Wirtschafts-, Haushalts-, Steuer- und Sozialpolitik schaffen, mit dem wirtschaftliche Ungleichgewichte und unhaltbare Staatsverschuldung effektiver bekämpft werden können.

Auf der Grundlage der Sparbeschlüsse des griechischen Parlaments haben die Finanzminister des Euroraums am vorvergangenen Wochenende einem neuen Rettungspaket für Griechenland zugestimmt. Ich befürworte dieses Rettungspaket, denn die Stabilisierung Griechenlands hat überragende Bedeutung für den wirtschaftlichen Wohlstand in Deutschland und Europa.

Durch das erste internationale Hilfsprogramm konnte ein Abgleiten der griechischen Volkswirtschaft in ein Chaos mit dramatischen sozialen Folgen verhindert werden. Dies kann als ein erster Teilerfolg für die griechische Regierung und die internationale Gemeinschaft gewertet werden. Allerdings hat sich in den vergangenen Monaten herausgestellt, dass der griechische Staat nicht nur ein kurzfristiges Zahlungsproblem (Liquiditätsproblem) hat, sondern überschuldet ist. Ziel sollte es daher sein, dass weitere Hilfsangebote der internationalen Gemeinschaft an der Überschuldung des Staates ansetzen, anstatt nur die Symptome der Staatsverschuldung zu behandeln.

Aus unseren GRÜNEN Sicht sollte sich die Hilfe für Griechenland an drei Zielen orientieren:

1. Griechenland braucht Luft zum Atmen

Der Zinsdienst des griechischen Staates muss auf ein langfristig tragfähiges Niveau gesenkt werden, das der Wirtschaftsleistung des Landes entspricht. Dazu muss der griechische Staatshaushalt durch einen Schuldenschnitt entlastet werden. Kurzfristig wird Griechenland aus eigener Kraft die geschätzten 11,6 Milliarden Euro jährlich für den Zinsdienst nicht aufbringen können. Die einseitigen Forderungen der Bundesregierung nach immer neuen Sparanstrengungen führen ins Leere, solange das Land unter der Schuldenlast erdrückt wird. Alleiniges Sparen und Kürzen wird die griechische Rezession indes nur verschärfen und den Abstieg in der Schuldenspirale beschleunigen. Zu dem erforderlichen Strategiewechsel muss deshalb auch gehören, die Grundlage für erneute wirtschaftliche Dynamik in Griechenland zu legen. Erforderlich ist ein starkes europäisches Investitionsprogramm, das einen nachhaltigen Umbau der griechischen Wirtschaft unterstützt. Beispielsweise könnten erneuerbare Energien statt hoher Ölimporte zur energetischen Wertschöpfung vor Ort beitragen – mit positiven Wirkungen für Wirtschaftskraft und Klimaschutz.

2. Der Steuerzahler darf nicht mehr als nötig belastet werden

Bislang wird ein erheblicher Teil der Kredite vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Währungsunion (EWU) zur Tilgung fällig werdender Staatsanleihen verwendet und somit an private Gläubiger ausgezahlt. Sollte sich die Bundesregierung mit ihrer Forderung nach Umstrukturierung trotz der nun offenkundigen Überschuldung Griechenlands nicht durchsetzen können, würden Griechenlands Staatsschulden lediglich von Privatgläubigern auf die öffentliche Hand übertragen, ohne dass dem Land dadurch nachhaltig geholfen wäre. Eine Wiederholung der Finanzkrise, in der die Gewinne in die Hände privater Investoren fielen, während Steuerzahler für die Verluste haften, muss dringend verhindert werden.

3. Die Folgen einer Umschuldung für die Finanzmärkte müssen begrenzt werden

Bei einer Umschuldung Griechenlands droht ein Übergreifen der Krise auf andere Staaten der EU. Gläubiger könnten befürchten, dass Griechenland nur der Vorgeschmack auf Zahlungsausfälle anderer Staaten war – das Eis wäre gebrochen. Es gilt, dieser Ansteckungsgefahr durch flankierende Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft entgegen zu wirken. Um ein Übergreifen auf andere Euro-, EU- und Nicht-EU-Staaten zu verhindern, brauchen wir ein europäisches Bankenrettungspaket bestehend aus drei Elementen:

a) Es muss ein Europäischer Bankenrettungsfonds innerhalb der EU-Institutionen entwickelt werden, um beispielsweise europäische Geschäftsbanken bei Bedarf direkt zu rekapitalisieren. Dadurch kann die Verbindung zwischen Bankenkrise und Krise der Staatsfinanzen gebrochen werden. Diese Re-Kapitalisierung muss auch für Staaten in der Nachbarschaft der EU möglich sein, die in sehr starker Abhängigkeit vom griechischen Bankensystem stehen (beispielsweise Westlicher Balkan).

b) Der Euro-Rettungsschirm (EFSF) sollte befähigt werden, in begrenztem Maße zweckgebundene Kredite zum Rückkauf von Staatsanleihen an Mitgliedsstaaten zu vergeben. Griechenland und andere Krisenstaaten könnten so ihre eigenen Kredite zurück kaufen. Dadurch kann einer von Spekulanten angefachten Panik am Markt begegnet werden.

c) Schließlich sollte die EU von ihren neuen regulatorischen Befugnissen Gebrauch machen und Leerverkäufe von Staatsanleihen temporär untersagen. Dies gilt sowohl für ungedeckte als auch für gedeckte Leerverkäufe.

Da das Problem Griechenlands in der überhohen Schuldenlast des Staates liegt und eine vollständige Sozialisierung der Staatsschulden durch die internationale Gemeinschaft für uns Grüne ausscheidet, muss die Lösung nicht nur eine Stundung, sondern einen teilweisen Erlass der Schulden durch private Gläubiger beinhalten. Eine Schuldenreduktion für Griechenland sollte keinen großen Schock bei Anlegern auslösen, da die Marktpreise dieses Resultat bereits vorwegnehmen und die Anleger freiwillig entscheiden sollen, ob und welches Angebot sie annehmen. Unser Modell funktioniert dabei wie folgt:

1. Griechenland kauft seine Staatsanleihen zu den niedrigen aktuellen Kursen zurück. Abhängig davon, wie viele Investoren sich für dieses Modell entscheiden, sinkt der Schuldenstand Griechenlands auf bis zu 90 % des BIP. Der europäische Finanzstabilisierungsfonds EFSF gewährt den Griechen dafür einen zweckgebundenen Kredit, der ihnen den Rückkauf zum niedrigen Marktpreis erlaubt. Der EFSF würde dafür mit Hilfe neuer Garantien erweitert.

2. Alternativ wird den Banken und anderen private Gläubigern (ähnlich wie im Modell von Bundesfinanzminister Schäuble) der Umtausch ihrer Staatsanleihen in Papiere mit einem niedrigeren Nominalwert oder niedrigeren Zinsen angeboten. Diese Papiere werden vom europäischen Finanzstabilisierungsfonds EFSF abgesichert.

Die Europäische Zentralbank hat bereits angekündigt, griechische Altanleihen nach einer erneuten Ratingherabstufung auf die Note „default“ (Ausfall) nicht weiter für Refinanzierungszwecke zu akzeptieren. Gleichzeitig haben Ratingagenturen bekräftigt, eine Herabstufung auch nach einer freiwilligen Umschuldung durchzuführen. Dadurch würde unser Angebot für Banken attraktiver, da die neuen, durch die EFSF garantierten Anleihen, wieder für die Refinanzierung nutzbar wären. Dadurch ließe sich einerseits der Schuldenstand senken, andererseits aber Turbulenzen an den Finanzmärkten vermeiden. Dieses Modell ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wir sind aber der festen Überzeugung, dass dies langfristig die nachhaltigste und kostengünstigste Lösung darstellt und damit der Salami- und Verschleierungstaktik der Bundesregierung in jedem Fall vorzuziehen ist.

Das Modell der französischen Regierung und der Bundesregierung favorisiert eine Verlängerung der Laufzeiten. Eine bloße Verlängerung reicht unseres Erachtens nicht aus, da eine effektive Senkung der griechischen Staatsschuld notwendig ist. Zudem halten wir die Auswirkungen auf die Finanzmärkte für nicht abschätzbar, da einem Ratingdowngrade in diesem Fall keine garantierten Anleihen gegenüberstünden, durch die die Refinanzierung (insbesondere der griechischen) Banken weiter gewährleistet wäre. Dennoch müssen wir anerkennen, dass es selbst für Schäubles Vorschlag auf europäischer Ebene bisher keine Mehrheit gibt. Aus diesem Grund wäre die Umsetzung seines Vorschlags – obgleich er hinter unseren Forderungen zurückbleibt – schon ein erster Teilerfolg auf dem richtigen Weg hin zu mehr Gläubigerbeteiligung.

Mit freundlichen Grüßen,
Viola von Cramon

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