Frage an Viola von Cramon-Taubadel bezüglich Wirtschaft

Portrait von Viola von Cramon-Taubadel
Viola von Cramon-Taubadel
Bündnis 90/Die Grünen
0 %
/ 10 Fragen beantwortet
Frage von Tristan H. •

Frage an Viola von Cramon-Taubadel von Tristan H. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Cramon-Taubadel,

ich schließe mich den Fragen von Herrn Jürgens an und was in Gottes Namen hat Sie und Ihre fast gesamte (!) Fraktion der Grünen(!) dazu bewogen zuzustimmen.

Was wissen Sie alle, was wir nicht wissen ?

Irgend etwas muss es sein, sonst kann ich mir Ihre Entscheidung rational nicht erklären.

Danke für eine Antwort

Mit freundlichen und sehr neugierigen Grüßen

Tristan Horstkotte

Portrait von Viola von Cramon-Taubadel
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Horstkotte,

Vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich beantworte die Fragen gern wie folgt:

a) Hatten Sie vor Ihrer Abstimmung Zugang zum genauen Wortlaut des Gesetzesentwurfs des ESM?
Ja, sowohl die ESM-Durchführungsbestimmungen als auch die Gesetzentwürfe zum ESM-RatifizierungsG und dem ESM-FinanzierungsG lagen mir rechtzeitig vor.

b) Wenn ja, bei wem haben Sie vor Ihrer Abstimmung kompetenten juristischen Rat zur Erläuterung und zu den Auswirkungen des ESM eingeholt?
Wir haben diese Dokumente in den dafür zuständigen Fachgremien unter Einbeziehung unseres Justiziariats rechtlich bewertet. Außerdem wurden externe Juristen in die Fraktionsgremien und Arbeitsgruppen eingeladen. Ich besuchte darüber hinaus auch verschiedene Veranstaltungen, in denen es um die Frage des ESM ging.

c) Glauben Sie, dass der ESM in seiner jetzigen Fassung mit der deutschen Verfassung, dem Grundgesetz und dem Urteil des BVerfG vom 07.11.2011 zum ESFS zu vereinbaren ist?
Das wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Nach der sehr gründlichen und umfassenden Verhandlung am 10.07.12 vor dem Bundesverfassungsgericht hoffe ich auf eine positive Entscheidung beim Europäischen Rettungsschirm ESM.

d) Teilen Sie die Ansicht: - Wenn der Euro fällt, fällt auch Europa - ?
Ich gehe davon aus, dass ein Scheitern des Euro auch die Europäische Integration grundsätzlich gefährden würde. Zudem stünden wir vor der größten Wirtschaftskrise in unserer Geschichte.

e) Bitte begründen Sie kurz, weshalb Sie für den ESM gestimmt haben.
Ich habe für einen handlungsfähigen europäischen Stabilitätsmechanismus gestimmt, da es ein wichtiges Element ist, um die Krise zu überwinden und den Euro dauerhaft zu stabilisieren. Solidarität muss aus meiner Sicht aber auch eng mit Solidität zusammenhängen.

f) Bitte beziffern Sie kurz die z.Zt. bestehenden Verbindlichkeiten Deutschlands bzw. der deutschen Steuerzahler gegenüber Institutionen und anderen Ländern inkl. Bürgschaften und ESM.
Die Kredite aus dem ersten Griechenland-Rettungspacket, die im Frühjahr 2010 vergeben wurden, stammten aus Mitteln des Internationalen Währungsfonds und aus bilateralen Kredithilden der Euro-Länder darunter auch Deutschland. Die Bundesrepublik hat in diesem Kontext beschlossen, über die Kreditanstalt für Wiederaufbau Hilfskredite bis zu 22,4 Milliarden Euro an Griechenland zu vergeben.
Der Euro-Rettungsschirm (EFSF) wurde im Mai 2010 als vorübergehendes Notfallinstrument eingerichtet, um den Euro-Staaten zu helfen, die sich in einer Notlage befinden und am Markt keine bezahlbaren Kredite mehr bekommen. Wenn ein Land Finanzhilfen beantragt, also unter den Rettungsschirm schlüpfen muss, leiht sich die EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) am Markt Geld und reicht es als EFSF-Kredit an dieses Land weiter. Die Länder der Eurozone garantieren dafür, dass dieses Geld auch wieder zurückgezahlt wird. Insgesamt haben die Euro-Länder Gewährleistungen von 779 Milliarden Euro abgegeben. Die EFSF hat sich aber verpflichtet, nicht mehr als 440 Milliarden Euro an Krediten für die "Krisen-Länder" auszugeben. Kredite haben bisher Portugal, Irland und Griechenland erhalten. Der deutsche Anteil am zweiten Griechenland-Rettungspaket aus diesem Frühjahr liegt beispielsweise bei bis zu 38,9 Milliarden Euro, wovon etwa 7 Mrd. Euro aus dem ersten Griechenland-Rettungspaket in das zweite überführt worden.
Da es bislang keine Ausfälle gibt, heißt das, dass der deutsche Haushalt bis heute nicht belastet wurde. Deutschland hat aber im Rahmen der EFSF zunächst für maximal 123 Milliarden Euro Garantien übernommen. Am 29. September 2011 hat der Bundestag dann eine Erhöhung dieser Garantiesumme auf 211 Milliarden Euro beschlossen. Eine Erhöhung der Garantiesumme war wichtig, damit der Rettungsschirm sein Triple A Rating und das ursprünglich vorgesehene Ausleihvolumen behalten konnte.
Der ESM setzt sich wie folgt zusammen:
• Maximales Kreditvolumen/ Ausleihkapazität: 500 Milliarden Euro
• Bareinlage ESM (tatsächlich eingezahltes Geld): 80 Milliarden Euro
• Deutscher Anteil am Gewährleistungsrahmen des ESM: 168 Milliarden Euro
• Deutscher Anteil an der Bareinlage des ESM: 22 Milliarden Euro
• Gesamter Deutscher Anteil an der Kreditvergabekapazität ESM: 190 Milliarden Euro
• Maximales Kreditvolumen durch Parallelführung EFSF und ESM: 700 Milliarden Euro
• Summe der deutschen Garantien aus ESM und EFSF (worst-case-szenario): 393 Milliarden Euro
Insgesamt können durch die zeitweilige Parallelführung von ESM und EFSF Kredite in Höhe von 700 Milliarden Euro gewährt werden. Deutschlands Anteil am Eigenkapital des ESM beträgt 22 Milliarden Euro. Dazu übernimmt die Bundesrepublik weitere Gewährleistungen in Höhe von 168 Milliarden Euro. Die maximale Gewährleistungshöhe ist fixiert. Ein Fass ohne Boden ist der ESM nicht, weil die Summe der deutschen Gewährleistungen mit maximal 190 Milliarden klar begrenzt ist. Diese Summe hat der Deutsche Bundestag beschlossen und sie kann nicht ohne seine Zustimmung überschritten werden. Sollte der ESM tatsächlich einen Verlust erleiden, würde ihn Deutschland zu 29 Prozent tragen müssen.

g) Wie begründen Sie den Widerspruch der Aussage vieler Ihrer Kolleginnen und Kollegen - Der Euro hat Deutschland nur Vorteile gebracht - zu dem Faktum, dass die Pro-Kopf-Verschuldung in Deutschland seit Bestehen des Euros von 15.000 Euro auf über 25.000 Euro (= plus 67 Prozent) gestiegen ist?
Der deutlichste Anstieg der Staatsverschuldung in dieser Zeit geht auf die Finanz- und Wirtschaftskrise zurück. Wegen ihr war es nötig Banken zu retten, um das Finanzsystem zu stabilisieren und große Konjunkturpakete aufzulegen, um zu verhindern das in Deutschland eine tiefe Krise mit Massenarbeitslosigkeit entsteht. Die Finanzkrise hatte ihren Ursprung in der Deregulierung von Finanzmärkten und hatte mit der Existenz des Euro nichts zu tun.

h) Was bedeutet der Begriff - Harmonisierter Preisindex - für Sie - besonders im Zusammenhang mit den durch Medien und Bundesregierung - offiziell - verkündeten Inflationsraten?
Es handelt sich schlicht um eine Methode zur Berechnung der Inflation. Da die Preise unterschiedlicher Güter sich anders entwickeln und sich die Produkte auch verändern und neue hinzutreten, braucht es einen Warenkorb, der die Güter entsprechend ihrer Wichtigkeit für den durchschnittlichen privaten Verbraucher abbildet. Die so errechnete durchschnittliche Preissteigerung trifft damit allerdings eben nur einen Durchschnitt. Für bestimmte Personengruppen kann die Preissteigerung damit deutlich höher oder geringer ausfallen. Die Methode wird unter andrem aber auch dafür kritisiert, dass sie im Vergleich zu anderen Methoden, die Inflationsrate als zu hoch ausweist.

i) Ist Ihnen bekannt, dass die Renten in Deutschland in den letzten 10 Jahren durchschnittlich nur um 1,04 Prozent jährlich gestiegen sind u. damit nur die Hälfte der - offiziellen - Inflation ausglichen?
Die Renten sind im Grundsatz an die Löhne gekoppelt. Auch die Reallöhne sind in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt nicht oder kaum gestiegen. Dies hat sich auf die Renten übertragen. Hinzu kommt, dass die Renten aufgrund der demographischen Entwicklung langsamer steigen sollen als die Löhne. Ziel der vergangenen Rentenreformen war es, das Rentenniveau langfristig absenken. Die Renten steigen immer dann langsamer als die Löhne, wenn die Zahl der Erwerbstätigen im Verhältnis zu den Rentnern sinkt und außerdem auch wegen des Aufbaus der privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge. Dies sorgt dafür, dass ein langsamer Anstieg der Löhne zu einem Sinken der Renten führt.

j) Wie bzw. mit welchen Mitteln wollen Sie u. Ihre Partei den Rentnern (nicht Pensionären...) ein würdevolles Leben über dem Existenzminimum bzw. der Armutsgrenze realistisch u. dauerhaft gewährleisten?
Die gesetzliche Altersversicherung mit ihrer Umlagefinanzierung ist das Kernstück der Sicherung im Alter und muss es auch bleiben. Wir wollen die gesetzliche Rentenversicherung aber weiterentwickeln. Denn manche Personengruppen schützt sie bereits heute nur unzureichend vor Armut. In Zukunft ist für immer weniger Menschen eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus gewährleistet.
Meine Fraktion setzt sich deshalb für eine Rentenversicherung ein, die vor Armut schützt. Unter Rot-Grün wurde im ersten Schritt die Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung eingeführt. Jetzt geht es darum, die Grundsicherung auf ein Niveau anzuheben, das Teilhabe tatsächlich ermöglicht: Das sind mindestens 420 Euro. In einem weiteren Schritt wollen wir deshalb eine "Garantierente" einführen. Sie soll sicherstellen, dass auch Geringverdienende, Erwerbstätige in Teilzeit oder mit unterbrochenen Erwerbsbiografien als langjährig Versicherte der gesetzlichen Rentenversicherung im Alter nicht auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind. Darauf müssen sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen können.

Mit freundlichen Grüßen
Viola von Cramon

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Viola von Cramon-Taubadel
Viola von Cramon-Taubadel
Bündnis 90/Die Grünen