Frage an Winfried Kretschmann bezüglich Recht

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Winfried Kretschmann
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Frage von Jürgen M. •

Frage an Winfried Kretschmann von Jürgen M. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Kretschmann

wie Professor Hans Meyer auch für juristische Laien ganz plausibel in der »Süddeutschen Zeitung« behauptet, sind die Verträge des Landes zur Finanzierung von S21 verfassungswidrig. Meine Fragen dazu:
1. Werden Sie diese Thesen überprüfen lassen und Konsequenzen ziehen?
2. Sollen die Verträge ihrer Meinung nach trotz Nichtigkeit erfüllt werden.
3. Wie stehen Sie zur Schadenersatzpflicht der »Verfassungsbrecher«

Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Michels, Sielmingen

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Sehr geehrter Herr Michels,

vielen Dank für Ihre Frage zur Verfassungsmäßigkeit der Finanzierungsverträge für das Projekt Stuttgart 21. Hierzu kann ich Ihnen mitteilen, dass diejenigen Teile der Landesregierung, welche Stuttgart 21 ablehnen, den Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 weiterhin für verfassungswidrig halten. Dies liegt begründet in der Kompetenzzuordnung zwischen Bund und Ländern und dem Verbot, Bundesaufgaben mit Landesgeld zu finanzieren. Diese Auffassung wird durch das Rechtsgutachten von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Meyer vom 3. November 2010 zu finanzverfassungsrechtlichen Fragen des Stuttgarter Bahnhofkonflikts gestützt. Bis heute wurden die Argumente, welche für einen Grundgesetzverstoß sprechen, nicht überzeugend entkräftet. Weil aber insbesondere die Deutsche Bahn AG auf die Erfüllung des Finanzierungsvertrages besteht, müsste die umstrittene Frage der Verfassungswidrigkeit zunächst gerichtlich, und zwar letztinstanzlich, geklärt werden.

Für die Stuttgart 21 ablehnenden Teile der Landesregierung sind die rechtlichen Möglichkeiten, die Nichtigkeit des Finanzierungsvertrages wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz (GG) selbst gerichtlich geltend zu machen, indes gering. Weil vor dem Staatsgerichtshof Baden-Württemberg grundsätzlich nur Streitigkeiten oder Meinungsverschiedenheiten über die Vereinbarkeit mit der Landesverfassung gerügt werden können, kommt ein Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht nicht in Betracht.

Eine Anrufung des Bundesverfassungsgerichts erscheint im Ergebnis wenig erfolgversprechend: Ein verfassungsrechtlicher Bund-Länder-Streit nach Artikel 93 Absatz 1 Nr. 3 GG scheidet aus, weil keine Rechte und Pflichten aus einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis, sondern allein aus einem öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnis streitig sind. Bei der Beantwortung der Frage, ob das Land zu keiner weiteren Finanzierung von Stuttgart 21 verpflichtet werden und bereits Geleistetes zurückfordern kann, geht es primär um eine einfachgesetzliche Streitigkeit, die lediglich unter Beachtung von Verfassungsrecht zu beurteilen ist. Die Aussichten, in dem daher allein in Betracht kommenden nichtverfassungsrechtlichen Bund-Länder-Streitverfahren nach Artikel 93 Absatz 1 Nr. 4 GG zu obsiegen, werden indes als gering erachtet. Hinzu kommt, dass das Land ein solches Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, aber auch eine verwaltungsgerichtliche Leistungs- oder Feststellungsklage erst nach Fassung eines entsprechenden Kabinettsbeschlusses erheben könnte. Ein Kabinettsbeschluss zur Anrufung eines Gerichts lässt sich aber politisch nicht herbeiführen, weil innerhalb der Landesregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien zu Stuttgart 21 entgegengesetzte Positionen vertreten werden.

Die heftig umstrittene Frage nach der Verfassungsmäßigkeit bzw. –widrigkeit des Finanzierungsvertrages zu Stuttgart 21 können wir unter dieser Prämisse leider nicht letztinstanzlich gerichtlich klären lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Winfried Kretschmann

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