Frage an Winfried Nachtwei bezüglich Innere Sicherheit

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Winfried Nachtwei
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Helene und Dr.Ansgar K. •

Frage an Winfried Nachtwei von Helene und Dr.Ansgar K. bezüglich Innere Sicherheit

Lieber Winni,
Am 3. Juli wird der Bundestag über den Einsatz von AWACS abstimmen- Wir fordern dich auf, als Verteidigungspolitischer Sprecher deiner Fraktion dich in deiner Fraktion dafür einzusetzen, mit dem Nein zu diesem Einsatz endlich der Eskalation des Krieges in Afghanistan entgegen zu wirken.

Der AWACS-Einsatz wird als ´Sicherung des zivilen Luftverkehrs´ ´verkauft´.
Unsere Frage: Glauben du daran daran, dass nicht auch weitere Fähigkeiten des AWAC-Systems genutzt werden?
AWACS kann als Feuerleitstelle dienen.
AWACS kann weit über Afghanistan hinaus aufklären; dadurch wird eine überregionale Ausweitung des Einsatzgebietes (Pakistan und Iran) möglich.
AWACS liefert Echtzeitbilder von militärisch relevanten Objekten - nicht nur für ISAF!

´Sicherung des zivilen Luftverkehrs´ bedeutet in erster Linie Sicherung von Einsatzkorridoren und freiem Luftraum für das Militär. Das bedeutet die Intensivierung von Lufteinsätzen. Die deutsche Kriegsbeteiligung wird wieder weiter vergrößert, deutsche Soldaten werden noch mehr zur Zielscheibe für Aufständische und Deutschland wird mitverantwortlich für die Opfer der Luftkriegsführung in Afghanistan und auch in Pakistan.

Wir wissen, wir stehen nicht allein mit unserer Forderung an dich und deine Fraktion, im Bundestag am 03.06. gegen den AWACS-Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan zu stimmen. Siehe dazu: ´Darmstädter Signals´ ( http://www.darmstaedter-signal.de/aktuell.php )und Friedensratschlag ( http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Afghanistan/awacs-flyer.pdf ). Auch das Schreiben vom ´Aachener Friedenspreises´ liegt dir vor.
In der Hoffnung, dass du und deine Fraktion dem Artikel 26 unseres Grundgesetzes Geltung verschaffen, verbleiben wir mit Friedensgruß

Helene und Dr. Ansgar Klein

Es ist Krieg! Und Regierung und Parlament schauen weg!

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Liebe Helene, lieber Ansgar,

für Eure friedenspolitische Aufmerksamkeit danke ich Euch. Es ist wirklich überfällig, dass wir unsere friedenspolitischen Streit- (und auch Konsens-)themen endlich mal direkt persönlich und nicht nur übers Internet austragen.

Ihr fordert mich auf, als sicherheitspolitischer Sprecher meiner Fraktion in der Fraktion auf die Ablehnung des AWACS-Einsatzes hinzuwirken. Wer den UN-mandatierten ISAF-Einsatz fundamental ablehnt, lehnt selbstverständlich auch jede Einzelmaßnahme ab. Wer der Auffassung ist, dass Vieles in der Afghanistanpolitik falsch läuft, aber einen Sofortabzug für unverantwortlich hält, muss genauer hinsehen, muss abwägen. Eure Aufforderung ist kategorisch. Ihr mahnt mich und uns, dem Artikel 26 des Grundgesetzes (Verbot von Handlungen, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören, insbesondere die Vorbereitung eines Angriffskrieges) Geltung zu verschaffen. Im Umkehrschluss heißt das: Wer Eurer Forderung widerspricht, würde sich friedenspolitisch schwer schuldig machen.

Ihr müsst daher erlauben und aushalten, dass ich die Frage des AWACS-Einsatzes nach bestem Wissen und Gewissen prüfe, wie es meine Grundpflicht als Abgeordneter und insbesondere als Sprecher ist, und dabei zu einem anderen Ergebnis komme. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund meiner vielen Besuche in Afghanistan, zuletzt vor drei Wochen, sehe ich keine überzeugenden Argumente, die eine Ablehnung rechtfertigen würden. Ich halte ihn heute für verantwortbar.

Im Einzelnen:

(1) Der AWACS-Einsatz liegt im Rahmen des Mandats des UN-Sicherheitsrates für ISAF. Die afghanische Regierung befürwortet diesen Einsatz ausdrücklich. Völkerrechtlich ist der Einsatz legal und mitnichten ein Angriffskrieg.
Wir kritisieren, dass es mit der Anti-Terror-Operation Enduring Freedom in Afghanistan weiterhin eine Paralleloperation der USA gibt, die unserer Auffassung nach beendet werden muss. Wir kritisieren, dass auf afghanischer Seite zu wenig getan wird, um Korruption und Missstände zu beseitigen. Wir kritisieren, dass wieder einmal das Militär auf längere Zeit eine Lücke schließen muss, die es im zivilen Bereich gibt. Wir kritisieren auch, dass die Bundesregierung im Handumdrehen 300 Soldaten und mehrere Millionen für einen Militäreinsatz bereitstellt, im zivilen und polizeilichen Bereich ihrer Verantwortung aber nicht hinreichend nachkommt. Hier fehlt es trotz den Sonntagsreden von „vernetzter Sicherheit“ an den entsprechenden Strukturen und am politischen Willen.
Das macht mich zornig, aber nicht blind. Für eine Ablehnung des konkreten AWACS-Einsatzes reichen diese Defizite meines Erachtens nicht aus. Diese müssen im Dezember bei einer Gesamtabstimmung über den ISAF-Einsatz in die Waagschale geworfen werden.

(2) Ihr behauptet, der Einsatz werde als Sicherung des zivilen Luftverkehrs verkauft. Schuld daran ist eine völlig unzureichende Informationspolitik der Bundesregierung. Fakt ist erstens, dass im Antrag der Bundesregierung von der Kontrolle des gesamten Luftverkehrs über Afghanistan die Rede ist, des militärischen und des zivilen. Fakt ist zweitens, dass die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs kein Randproblem ist. Wenn in 2008 73.500 Flugzeuge Afghanistan auf fünf internationalen Flugstraßen überquerten, wenn es auf den fünf größten Flugplätzen bald 60.000 Flugbewegungen gab, wenn man bedenkt, dass UN-Organisationen, Hilfsorganisationen, Regierungsvertreter wegen der schlechten und oft riskanten Landwege zwingend auf Flugverbindungen angewiesen sind, wenn man die nur lokal begrenzte Luftraumkontrolle bedenkt und das überwiegende Fliegen nach Sichtflugregeln, dann kann man das Problem der Sicherheit des zivilen Luftverkehrs nicht einfach abtun. Es ist ein reales Problem mit erheblichen Risiken: 2007 gab es 50 kritische zivile Annäherungen/Beinahe-Zusammenstöße, 2008 80. Die lokale Luftraumkontrolle in Kabul, Mazar, Herat, Kandahar wird übrigens seit 2003 nach Abmachung mit der afghanischen Regierung von ISAF betrieben.
Der größte Teil des militärischen Flugverkehrs besteht aus Transport- und Versorgungsflügen, ein kleinerer Teil aus Luft-Boden-Einsätzen zur Abschreckung bzw. mit Waffeneinsatz. Umstritten und nicht hinnehmbar sind insbesondere Luft-Boden-Einsätze, bei denen es Opfer unter der Zivilbevölkerung gibt.
In den letzten Jahren stieg das Flugaufkommen über Afghanistan jährlich
um ca. 25%.
Vor diesem Hintergrund befürwortet die afghanische Regierung den AWACS-Einsatz ausdrücklich. Der Minister für Verkehr und Luftfahrt: Der Einsatz sei von erheblichem Nutzen für die zivile Luftfahrt und könne eine Zwischenlösung sein bis zum Aufbau einer afghanischen Luftraumüberwachung, der aber noch mehrere Jahre brauche. (Hierzu laufen einige Projekte auch mit deutscher Unterstützung)

(3) Die weiteren Fähigkeiten sind mir bekannt und für mich keine Glaubensfrage: Die AWACS klären den Luftraum auf, erkennen Luftfahrzeuge und Flugobjekte und könnten als Feuerleitstelle gegen Flugziele dienen. Für die Aufklärung des Bodens und von Bodenzielen sind sie im Unterschied zum Tornado nicht ausgelegt. Sie erstellen ein Luftlagebild - in der Tat mit allen Nutzern und für alle Nutzer, sie sollen darüber hinaus Flugbewegungen entflechten, ggfs Luftfahrzeuge von ISAF und zivil – aber laut Mandat ausdrücklich nicht von OEF - koordinieren und durch den Luftraum führen.

(4) Die AWACS können mit ihrem Radar technisch hunderte Kilometer weit sehen. Laut Mandat sind sie ausschließlich zur Überwachung des afghanischen Luftraumes befugt. Die Mandatseinhaltung wird überwacht. Das NATO- Bündnis wird sich hüten, seinen Einsatzraum nach Iran und Pakistan auszuweiten.

(5) Die AWACS schaffen Korridore für alle Beteiligten im Luftraum, dabei auch Kampfflugzeuge. Ob es dabei zu mehr oder weniger Luftangriffen, immer wieder Zivilopfern und Eskalation kommt, liegt nicht an den AWACS, sondern zuallererst an der Strategie der Militäreinsätze von ISAF und insbesondere USA. Hier hat es bis vor einigen Monaten eine deutliche Eskalation gegeben, mehr "Luftnahunterstützung", mehr Zivilopfer. Das haben wir immer und immer wieder angeprangert. Mit der neuen US-Regierung ist das Desaster der selbst herbeigeführten Zivilopfer nicht nur sehr deutlich erkannt. Hier hat ein Strategiewechsel begonnen, weg vom Fokus Gegnerbekämpfung hin zum Fokus Schutz der Bevölkerung. Eher will man eigene Risiken in Kauf nehmen oder sich zurückziehen, als Zivilbevölkerung zu gefährden. Dieser Strategiewechsel muss jetzt am Boden ankommen.
Weitere Elemente eines zum großen Teil auf Deeskalation zielenden Strategiewechsels sind: Kehrtwende bei der Drogenbekämpfung (weg von der Erntevernichtung hin zu Alternativen), Suche nach Verständigungen mit ansprechbaren Teilen der Taliban und regierungsfeindlichen Kräften, Aufbauoffensive - und vor allem die regionale Konflikteindämmung mit Pakistan, Iran, China, Russland, arabischen Staaten, nördlichen Anrainern. Diese Chancen für eine Wende zum Besseren sind noch längst keine Garantie. Aber ich kann nicht begreifen, warum Ihr und andere diese entscheidenden Veränderungen gegenüber der Bush-Administration einfach ignoriert.

(6) Auf der Sachebene halte ich Eure Ablehnungsbegründungen für falsch. Nichtsdestoweniger respektiere ich Eure Ablehnung der AWACS. Sie ist selbstverständliche Konsequenz Eurer Haltung, dass nur ein schneller Abzug der ausländischen Truppen einen Weg raus aus dem Krieg und Frieden bringen könne. Ich verstehe, dass viele, gerade friedensbewegte Menschen vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, keine Mitverantwortung für einen Militäreinsatz tragen wollen. Einer Mitschuld entgeht man durch eine solche „ohne uns“-Haltung nicht.
Ihr wisst, dass ich die Vorstellung eines Sofortabzuges als "Friedensbringer" für falsch und verantwortungslos halte, weil eine Explosion von Gewalt und eine Destabilisierung des gefährdeten Pakistan die absehbare Folge wäre. Das sagen uns jedes Mal gerade GesprächspartnerInnen aus der afghanischen Zivilgesellschaft.

(7) Ihr schließt mit dem Vorwurf "Es ist Krieg! Und Regierung und Parlament schauen weg!" Bevor Ihr solche Pauschalvorwürfe nicht zuletzt auch gegen mich erhebt, sollten Friedensbewegte, die selbstverständlich keine Feindbilder pflegen wollen, zur Kenntnis nehmen, wie intensiv gerade wir Außen- und Sicherheitspolitiker an der sehr beunruhigenden Entwicklung in Afghanistan dran sind. (vgl. http://gruene-fraktion.de und http://www.nachtwei.de )

(8) Zuletzt möchte ich Euch auf meine Bemühungen hinweisen, die sehr komplexe und uneindeutige Entwicklung in Afghanistan zu erfassen, auf einen Strategiewandel zu drängen und vor allem auch Chancen ausfindig zu machen. Ich bitte Euch um Beachtung für unsere Initiativen auf dem Feld der Abrüstung und zivilen Friedensförderung. (Alles auf meiner Homepage) Leider bestätigt sich auch an meinen letzten Tagen im Bundestag meine langjährige ernüchternde Erfahrung, dass solche Initiativen über die fachinteressierten Szenen hinaus nicht nur von Medien und Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. Auch bei einem Großteil von Friedensbewegung und Friedensbewegten gibt es jenseits allgemeiner Bekenntnisse zum Vorrang von zivilen Mitteln dafür keine erkennbare Resonanz geschweige Unterstützung. In ihrer Militärfixiertheit und Ignoranz gegenüber dem Aufbau einer Infrastruktur für zivile Krisenprävention sind sich bestimmte Teile der Friedensbewegung und die Bundesregierung leider sehr Nahe.

Wahrscheinlich hat Euch meine Antwort enttäuscht, aber nicht überrascht. Ich hoffe zugleich, dass wir im Gespräch bleiben. Anderes wäre ja auch mit unseren friedenspolitischen Ansprüchen nicht vereinbar.

Herzliche Grüße

Winni Nachtwei