Millionen für Bonuszahlungen und Werbung

Wofür die Fraktionen Steuergelder ausgeben

Ein aktueller Prüfbericht des Bundestags zeigt, wofür die Fraktionen Geld ausgeben. Mehrere Millionen Euro gehen beispielsweise für umstrittene Bonuszahlungen an Abgeordnete drauf, die ein renommierter Verfassungsrechtler für illegal hält. In dem Finanzbericht sticht eine Oppositionsfraktion durch einen besonders hohen Ausgabenposten hervor: den für Öffentlichkeitsarbeit und Werbung.

von Josephine Andreoli, 21.09.2021
Bürgergeld (Symbolbild)

Es ist eine ständige Gratwanderung: Geht es um Angelegenheiten der Partei oder der Fraktion? Bei jedem Social Media-Post, jeder Kampagne, jeder Anzeige stellt sich diese Frage. Der Grund: Fraktionen erhalten für ihre parlamentarische Arbeit Steuergelder, die sie unter anderem für Öffentlichkeitsarbeit nutzen können. Doch das Geld darf in keinem Fall für die Parteizwecke eingesetzt werden. Dies wäre eine illegale Parteienfinanzierung. 

Doch das kommt immer wieder vor. So hatte die FDP-Fraktion kurz vor der Bundestagswahl 2013 Werbespots finanziert, die bundesweit in den Kinos liefen - und damit rechtswidrig für die Partei geworben. Laut einem Bericht des Bundesrechnungshofes ist dieses Beispiel aber nur eines von vielen, wie die Bundestagsfraktionen Steuermittel missbrauchen.

Werden Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen nachgewiesen, droht der Partei die Rückzahlung der öffentlichen Zuschüsse. Bei einem Verstoß gegen das Parteiengesetz kommen noch empfindliche Strafzahlungen obendrauf. Trotz einer Bewertung des Bundesrechnungshofes, dass die FDP Steuergelder "in erheblichem Umfang" missbraucht hatte, kam die Bundestagsverwaltung zu einem anderen Schluss - und ließ die FDP straffrei davonkommen. 

Verfassungsrechtler Hans-Herbert von Arnim fordert Sanktionen bei zweckentfremdeten Steuermitteln

Wie aber legt man fest, was die Partei und was die Fraktion betrifft? Klare Regeln dafür existieren nicht. „Manchmal gibt es da einen gewissen Interpretationsspielraum“, sagt Stefan Koch, Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Ein Beispiel: Vor kurzem jährten sich die Anschläge vom 11. September – die Union wollte den Opfern gedenken. Ist das nun Sache der Partei oder Fraktion? Es war der Beginn einer internen Debatte. Das Ergebnis: Es ist Angelegenheit der Fraktion. Aber warum? Erstens: Die Abgeordneten mussten dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan mehrfach zustimmen. Und zweitens: Bei der Bundeswehr handelt es sich um eine Parlamentspartei. „In dieser Sache gab es also einen klaren Fraktionsbezug“, so Koch. Doch das ist nicht immer so.

Der renommierte Verfassungsrechtler Hans-Herbert von Arnim kritisiert die fehlende Grundlage, auf der Entscheidungen wie diese getroffen werden. „Der Bundesrechnungshof müsste endlich klare Regeln für die Fraktionen aufstellen. Aber das macht er nicht. Er schiebt den Schwarzen Peter ans Parlament und damit an die Fraktionen, die ja davon profitieren und dementsprechend nicht dagegen vorgehen“, erklärte von Armin gegenüber abgeordnetenwatch.de.

Oppositionsfraktionen erhalten mehr Steuergelder als die Regierung

Knapp 120 Millionen Euro erhalten die Bundestagsfraktionen jährlich für ihre parlamentarische Arbeit. Wie viel genau jede Fraktion davon bekommt, hängt von ihrer Größe ab, und ob sie in der Regierung oder der Opposition sitzt. So erhalten die Bundestagsfraktionen einen monatlichen Grundbetrag in Höhe von 452.121 Euro sowie einen monatlichen Betrag in Höhe von 9.438 Euro für jedes ihrer Mitglieder. Die Fraktionen, die in der Opposition sitzen, bekommen dazu noch einen Zuschlag – 15 Prozent auf den Grundbetrag, 10 Prozent für jedes Mitglied.

Mit den Steuermitteln soll sichergestellt werden, dass die Fraktionen ihre Arbeit im Parlament verrichten können. Dazu zählt auch die Organisation von Pressekonferenzen oder der Druck von Informationsbroschüren, sprich – die Öffentlichkeitsarbeit. Laut einem Bericht von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), der die Rechnungen der Fraktionen kürzlich geprüft hat, sind die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit gegenüber dem Vorjahr gestiegen. 

FDP-Fraktion gibt mehr Gelder für Öffentlichkeitsarbeit aus, als Union und SPD zusammen

Insbesondere die FDP-Fraktion sticht hier ins Auge. Bereits von 2018 auf 2019 hatten sich die Ausgaben der Fraktion für Öffentlichkeitsarbeit auf mehr als 1,4 Millionen Euro beinahe verdoppelt. Auf Nachfrage von abgeordnetenwatch.de, warum die Ausgaben deutlich höher seien als bei den anderen Fraktionen, antwortete ein Sprecher damals: „Die FDP-Fraktion war nach ihrer Gründung 2017 in den Folgejahren noch im personellen wie organisatorischen Aufbau. Entsprechend stiegen die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit ebenso wie auch die meisten anderen Ausgabenposten 2018 und 2019 an.“ Doch damit nicht genug. Auch im vergangenen Jahr sind die Ausgaben noch einmal deutlich angestiegen – auf jetzt mehr als 1,9 Millionen Euro. Das ist mehr, als Union und SPD gemeinsam für ihre Öffentlichkeitsarbeit ausgeben.

Ist die Corona-Pandemie Grund für gestiegene Ausgaben in der Öffentlichkeitsarbeit?

Nils Droste, Sprecher der FDP-Fraktion, begründet die abermals gestiegenen Ausgaben gegenüber abgeordnetenwatch.de vor allem mit der Corona-Pandemie und den Folgen der Krise für Gesellschaft und Wirtschaft. „Die Fraktionen CDU/CSU und SPD tragen die Bundesregierung und profitieren in hohem Maße von der Öffentlichkeitsarbeit des Bundeskanzleramts und der Bundesministerien“, so Droste. „Wir sind der Auffassung, dass es das Recht und die Pflicht der Opposition im Deutschen Bundestag ist, die Bürgerinnen und Bürger intensiv über Wege aus der Corona-Krise und über ihre parlamentarische Arbeit insgesamt zu informieren.“ Warum die Öffentlichkeitsarbeit der FDP 12,6 Prozent ihrer Gesamtausgaben ausmacht, die anderen Oppositionsfraktionen aber nur zwischen 4,3 Prozent (Bündnis 90/Die Grünen) und höchstens 8,1 Prozent (Die Linke) ausgeben, erklärt das aber nicht.

Verfassungsrechtler von Arnim weist noch auf ein anderes Problem hin. Die in den Rechnungen genannten Ausgaben spiegeln demnach lediglich die unmittelbaren, nicht aber die mittelbaren Kosten wider. Sprich: Funktionäre oder Mitarbeiter:innen, die Anzeigen, Social Media-Posts oder Pressekonferenzen vorbereiten, sind darin nicht einmal berücksichtigt.

Abgeordnete mit Zusatzfunktion erhielten Zuschläge von über 4,6 Millionen Euro

Ein weiterer problematischer Ausgabenposten, der in den Rechnungen der Fraktionen auftaucht, sind die sogenannten Funktionszulagen. Verfassungsrechtler von Arnim hält diese für illegal und verweist auf entsprechende Gerichtsurteile (siehe Infokasten). Die Funktionszulagen seien verfassungsrechtlich nur zulässig für den Präsidenten des Parlaments, seine Stellvertreter:innen sowie Fraktionsvorsitzende. „Für alle weiteren Abgeordneten – auch wenn diese ein zusätzliches Amt innehaben – ist ihre gesamte Tätigkeit schon durch die Diät von über 10.000 Euro gedeckt. Bekommen sie Einkommenszulagen, handelt es sich um eine rechtswidrige Doppelalimentation.“

Im Jahr 2020 bekamen Bundestagsabgeordnete in besonderer Funktion von ihren Fraktionen einen Zuschuss von mehr als 4,6 Millionen Euro. Zusätzlich zu ihrer monatlichen Abgeordnetendiät in Höhe von 10.083,47 Euro. 

Die meisten Bonuszahlungen gingen laut Schäubles Prüfbericht mit insgesamt knapp zwei Millionen Euro auf die Konten einiger Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion. Die SPD zahlte ihren Abgeordneten Zulagen in Höhe von rund 1,25 Millionen Euro. Es folgt die FDP mit 597.799 Euro, die Grünen-Fraktion mit 377.995 Euro sowie die AfD und Linke mit je 242.938 und 151.260 Euro.

An welche Abgeordneten die Union Zulagen in welcher Höhe zahlt, wollte Unions-Fraktionssprecher Stefan Koch auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de nicht preisgeben. 

Auch die SPD macht ein Geheimnis um ihre Zusatzzahlungen an Fraktionsmitglieder. Insgesamt 36 Personen profitieren derzeit laut einem Sprecher der Fraktion von einer Aufwandsentschädigung. Darunter Parlamentarische Geschäftsführer:innen, Sprecher:innen und Vorsitzende der Ausschussarbeitsgruppen. Eine Funktionszulage erhält lediglich eine Person: der Fraktionsvorsitzende. Auf Nachfrage von abgeordnetenwatch.de, was der Unterschied zwischen den Aufwandsentschädigungen und der Funktionszulage sei, äußerte sich die SPD nicht.

Grünen- und Linken-Fraktionen veröffentlichen Funktionszulagen auf ihrer Website

Leicht auffindbar und transparent gemacht sind die Funktionszulagen lediglich bei den Grünen und der Linken. Beide Fraktionen erläutern auf ihrer Website, welche Abgeordneten für welche Funktion Zuschüsse in welcher Höhe erhalten.

So zahlen die Grünen insgesamt elf Abgeordneten, allesamt Mitglieder des Fraktionsvorstandes, Funktionszulagen. Die beiden Fraktionsvorsitzenden bekommen beispielsweise eine Zulage in Höhe von 50 Prozent der monatlichen Diät, sprich: 5.042 Euro. 

Kommendes Jahr wird der Bundestagspräsident erneut einen Rechnungsbericht veröffentlichen. Es ist zu erwarten, dass die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit wieder sehr hoch sein werden. Denn im Superwahljahr 2021 hatten die Fraktionen einen hohen Mitteilungsbedarf. 

Umstrittene Funktionszulagen

Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Juli 2000 verstoßen Funktionszulagen der Fraktionen „gegen die Freiheit des Mandats und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Abgeordneten“. Die Bonuszahlungen für stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Parlamentarische Geschäftsführer:innen, Ausschussvorsitzende, Obleute und fachpolitische Sprecher:innen seien „mit dem Verfassungsrecht unvereinbar“. Weil das damalige Urteil den Landtag Thüringen betraf, wird es von den Fraktionen so ausgelegt, als sei es auf Bundesebene nicht anwendbar. Zutreffend ist das allerdings nicht, wie das Bundesverfassungsgericht in späteren Entscheidungen – unter anderem im Jahr 2007 – klarstellte. So erklären die Richter:innen, dass mit dem Thüringen-Urteil „allgemeine Maßstäbe“ aufgestellt worden wären und diese für alle Parlamente auf allen Ebenen gelten würden. Gegen die unrechtmäßigen Zahlungen aus der Fraktionskasse müssten allerdings die Betroffenen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen: die Fraktionen selber.

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