Nebentätigkeiten

Prominente Abgeordnete verstießen offensichtlich gegen Gesetz

Verbotene Vorträge gegen Geld, nicht gemeldete Nebentätigkeiten: Recherchen zeigen, dass mehrere bekannte Bundestagsmitglieder es mit den Vorgaben im Abgeordnetengesetz nicht so genau nahmen. Die Konsequenzen dürften überschaubar bleiben – wieder einmal.

von Martin Reyher, 10.07.2023
Abgeordnete Lambsdorff (FDP), Klöckner (CDU), Friedrich (CSU)

Bezahlte Vorträge waren für Abgeordnete immer schon eine willkommene Einnahmequelle. Besonders geschäftig war der SPD-Politiker Peer Steinbrück. Als er noch im Bundestag saß, ließ er für einen bezahlten Auftritt bei einer "Leitmesse für Finanzprofis" auch schon mal eine wichtige Plenarsitzung sausen. Honorar: 15.000 Euro.

Auch heute lässt sich mit Vorträgen viel Geld verdienen. Ein gut gebuchter Redner ist Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion. Mal referiert er für 3.000 Euro bei einer Steuerberatungsfirma auf Mallorca, mal tritt er für 6.910 Euro bei einer Vermögensverwaltung auf einem denkmalgeschützten Wasserschloss nahe München auf, wie der SPIEGEL kürzlich berichtete.

Das Problem ist: Dass Lambsdorff für seine Vorträge Geld annahm, dürfte verboten sein, jedenfalls in einigen Fällen.

Seit Beginn der Legislaturperiode gelten strenge Regeln für die Annahme von Vortragshonoraren. Bezahlte Reden sind laut Abgeordnetengesetz unzulässig, wenn sie "im Zusammenhang mit der Mandatsausübung" stehen. Von einem Mandatsbezug ist laut einem Bundestagssprecher immer dann auszugehen, "wenn der Vortrag sich auf die Mitgliedschaft des Abgeordneten im Bundestag im Allgemeinen bezieht oder ein Zusammenhang mit einzelnen Tätigkeiten des Abgeordneten im Rahmen seiner Mandatsausübung gegeben ist".

Über 52.000 Euro mit bezahlten Vorträgen

Lambsdorff ist ein profilierter Außenpolitiker. Im Bundestag gehört er dem Auswärtigen Ausschuss und dem Europa-Ausschuss als stellvertretendes Mitglied an. Wenn er außerhalb des Parlaments gegen Bezahlung redet, geht es meist um Themen, die in seinen Ausschüssen behandelt werden: Europa, Außenpolitik, Sicherheitspolitik. Auf Mallorca sprach Lambsdorff zur "Zeitenwende in Europa". Bei einem Auftritt in Düsseldorf ging es 2022 um "Die aktuelle Situation in Europa". Bei anderen Gelegenheiten hielt er Vorträge zum "Krieg in der Ukraine" und den "Entwicklungen in der Ukraine". Elf bezahlte Vorträge führt der Politiker auf seiner Bundestagsseite auf. Das Honorar beläuft sich laut Eigenauskunft auf insgesamt 52.750 Euro.

Die Bundestagsverwaltung wollte sich zu dem konkreten Fall nicht äußern. Ein Sprecher wies aber darauf hin, dass es enge Grenzen dafür gibt, wann Vortragshonorare erlaubt sind. Zulässig seien beispielsweise "Forschungsergebnisse eines Wissenschaftlers, kulturelle Beiträge, Vorträge im Rahmen von Lehrveranstaltungen (soweit es hier nicht doch um das Mandat gehen sollte)". Nichts davon dürfte auf die genannten Vorträge des FDP-Politikers zutreffen. Eine Anfrage von abgeordnetenwatch.de ließ Lambsdorff unbeantwortet.

Auch bei einer anderen Abgeordneten stellt sich die Frage, ob sie sich an die Vorgaben aus dem Abgeordnetengesetz gehalten hat: Julia Klöckner (CDU).

"Privilegierter Zugang zu Persönlichkeiten aus der Politik"

Im Februar 2022 wurde die ehemalige Landwirtschaftsministerin Mitglied im "politischen Beraterkreis" des Vereins Wirtschaftspolitischer Club Deutschland e.V. (WPCD). Doch von dieser Tätigkeit war bis vor kurzem nichts auf ihrer Bundestagsseite zu lesen.

Bei dem Club handelt es sich um einen Netzwerkverein, der potentiellen Mitgliedern einen "privilegierten Zugang zu Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft" verspricht. Weitere Vorteile einer Mitgliedschaft seien ein "persönlicher Austausch mit Entscheidungsträgern" und "wertvolle Kontakte in einem leistungsfähigen Netzwerk", heißt es in einer Broschüre. Präsident des Vereins ist ein ehemaliger Deutsche Bank-Lobbyist, der mittlerweile eine PR- und Lobbyagentur betreibt.

Ausriss aus Broschüre des Wirtschaftspolitischen Club Deutschland e.V. (2022)
"Vorteile einer Mitgliedschaft: Persönlicher Austausch mit Entscheidungsträgern und privilegierter Zugang zu Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft": Werbebroschüre des Wirtschaftspolitischen Club Deutschland e.V. (Ausriss)

Mitte Juni fragte abgeordnetenwatch.de bei Klöckner nach, warum sie die Tätigkeit nicht auf ihrer Bundestagsseite aufführt. Ihre Antwort war nicht wirklich eine Erklärung. Sie gehöre "aufgrund ihrer Funktion als wirtschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion zum so genannten politischen Beraterkreis des Clubs, unentgeltlich".

Gemeldet wurde die Tätigkeit erst, als abgeordnetenwatch.de nachfragte

Kurz nach der Anfrage ließ Klöckner die Tätigkeit auf ihrer Bundestagsseite nachtragen – mit mehr als einem Jahr Verspätung.

Auch der FDP-Abgeordnete Reinhard Houben gehört dem "politischen Beraterkreis" des exklusiven Netzwerk-Clubs seit Anfang 2022 an, auch er vergaß die Angabe auf seiner Bundestagsseite. Nach einer Anfrage von abgeordnetenwatch.de holte Houben die Veröffentlichung nach.

Ein Sprecher des Bundestags erklärte, dass die Tätigkeit in einem “politischen Beraterkreis” grundsätzlich meldepflichtig sei, sofern der Verein überregional tätig ist. Ein Verstoß liege dann vor, wenn die Tätigkeit nicht innerhalb von drei Monaten gemeldet wird.

Beides trifft auf Houben und auf Klöckner zu.

Verstöße gab es Hunderte, Sanktionen nur eine

Spürbare Konsequenzen hatten Verstöße gegen die Transparenzpflichten bislang so gut wie nie.

Im vergangenen Jahr zeigten Recherchen von abgeordnetenwatch.de, dass Bundestagsmitglieder zwischen 2005 und 2021 fast 500-mal gegen die Verhaltensregeln verstießen. Fast immer kamen die betroffenen Abgeordneten mit einem “internen Hinweis” davon (s. Grafik unten): Die damaligen Bundestagspräsidenten teilten ihnen mit, dass die Verhaltensregeln doch bitte einzuhalten seien. Das war’s.

Veröffentlicht wurden Verfehlungen dagegen nur selten. Zehnmal erhielten Abgeordnete eine öffentliche Rüge. Das klingt dramatischer, als es ist: Am Ende handelte es sich um einen Verwaltungsakt, bei der die Bundestagspräsidenten in einer offiziellen Drucksache feststellten, dass ein Bundestagsmitglied gegen seine Pflichten verstoßen hatte.

Eine Sanktion gab es erst einmal. 2019 musste die inzwischen verstorbene CDU-Abgeordnete Karin Strenz ein Ordnungsgeld in Höhe von rund 20.000 Euro zahlen. Sie hatte einen Beraterjob bei einer aus Aserbaidschan finanzierten Lobbyfirma verheimlicht. Öffentlich wurde das durch Recherchen von abgeordnetenwatch.de.

 

Verstöße von Abgeordneten gegen die Verhaltensregeln (Übersicht der Fallzahlen nach Legislaturperioden, siehe dazu Angaben im Artikel)

 

Beiratsposten nicht gemeldet

Doch seit Beginn der Legislaturperiode können Abgeordnete nicht mehr damit rechnen, dass ihr Verstoß vor der Öffentlichkeit verborgen bleibt. Denn im Abgeordnetengesetz wurde eine Definition hinzugefügt: Nur noch eine Überschreitung der Meldefrist um "höchstens drei Monate" wird mit einer internen Ermahnung geahndet. Alles darüber gilt nicht mehr als "minder schwerer Fall beziehungsweise leichte Fahrlässigkeit".

Wer also die Anzeigefrist um mehr als drei Monate überschreitet, muss mit einer öffentlichen Rüge durch die Bundestagspräsidentin rechnen. Im Extremfall droht ein Ordnungsgeld in Höhe einer halben Jahresdiät (rund 60.000 Euro). Beide Male muss das Bundestagspräsidium die Abgeordneten zunächst anhören.

Auf das Präsidium dürfte einiges an Arbeit zukommen. Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de haben nicht nur die Abgeordneten Klöckner und Houben die Anzeigefrist um mehr als drei Monate überschritten. Auch Stefan Rouenhoff von der CDU meldete seine im März 2022 aufgenommene Tätigkeit als Beiratsvorsitzender beim Netzwerkverein "Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen e.V." erst, als abgeordnetenwatch.de bei ihm nachfragte. Der FDP-Abgeordnete Daniel Föst leitet ebenfalls seit 2022 einen Fachbeirat bei der Strukturgesellschaft, ohne dass das auf seiner Bundestagsseite sichtbar ist. Auf Anfrage sagte Föst, er habe deswegen nun Kontakt zu den Verantwortlichen in der Bundestagsverwaltung aufgenommen.

Ex-Minister Friedrich ließ China-Verein jahrelang unerwähnt

Gegen die Anzeigepflichten dürfte auch der CSU-Abgeordnete und frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich verstoßen haben – und das seit vielen Jahren. Wie jüngst der Tagesspiegel berichtete, gründete er 2019 den Verein Committee on German-Chinese Relations e. V. und wurde dessen Vorsitzender. Erst kürzlich sei Friedrichs Tätigkeit auf seiner Bundestagsseite erschienen, "nachdem er (angeblich) nicht mehr Vorsitzender ist", schreibt die Zeitung. Der CSU-Politiker ließ eine Anfrage von abgeordnetenwatch.de unbeantwortet.

Die Bundestagsverwaltung wollte sich zu dem konkreten Fall nicht äußern. Die Tätigkeit als Vorsitzender eines Vereins sei jedoch grundsätzlich meldepflichtig, erklärte ein Sprecher, sofern der Verein überregional tätig ist. Das trifft auf Friedrichs China-Verein zu.

Sanktion? Unwahrscheinlich

Zurück noch einmal zu Alexander Graf Lambsdorff, dem gut gebuchten Vortragsredner vom Anfang. Bei ihm stellt sich die Frage, ob er zu Unrecht Geld angenommen hat, im schlimmsten Fall droht ein Ordnungsgeld. Doch selbst wenn das Bundestagspräsidium einen Verstoß gegen das Abgeordnetengesetz feststellt, könnte Lambsdorff ohne Sanktion davon kommen – aus einem praktischen Grund: Der FDP-Politiker wird in diesem Sommer deutscher Botschafter in Moskau und scheidet aus dem Bundestag aus.

Nur die zu Unrecht angenommenen Vortragshonorare dürfte er nicht behalten. Diese müssen an den Bundeshaushalt abgeführt werden – auch nach Ausscheiden aus dem Parlament. 

Alexander Graf Lambsdorff und die Geheimhaltungsklausel

Auffälligkeiten in Sachen Vorträge gab es bei FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff schon einmal. In den Jahren 2017 und 2018 nutzte er ein Schlupfloch in den Verhaltensregeln, wie abgeordnetenwatch.de damals zeigte: Anstatt die Namen der Geldgeber offenzulegen, die ihn für einen Vortrag gebucht hatten, gab Lambsdorff auf seiner Bundestagsseite nur die allgemeine Bezeichnung "Vertragspartner" an. Er berief sich auf eine Verschwiegenheitsklausel, die von seinen Vertragspartnern angeblich gewünscht worden sei. Dank einer solchen Klausel konnten Abgeordnete damals geheim halten, wer sie für einen Vortrag bezahlte. Die Recherche von abgeordnetenwatch.de führte dazu, dass Lambsdorff die Geldgeber doch noch offenlegte (u.a. ein Schweizer Wirtschaftsclub und eine Privatbank). 

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