Kandidaten-Check-Analyse Berlin: Hier liegen die Stolpersteine für Rot-Grün und Schwarz-Grün

Neben einer Fortsetzung der politischen Langzeit-Ehe zwischen SPD und Linkspartei sind nach der Abgeordnetenhauswahl in Berlin am 18. September insbesondere zwei Koalitionskonstellationen wahrscheinlich: Rot-Grün und Schwarz-Grün bzw. Grün-Schwarz. Doch wie groß sind die inhaltlichen Schnittmengen zwischen den potentiellen Partnern, wo liegen die Stolpersteine für mögliche Koalitionsverhandlungen?

von Martin Reyher, 07.09.2011

Eine Analyse des Kandidaten-Checks, für den abgeordnetenwatch.de alle 624 Direktkandidaten zu 25 zentralen Landesthemen befragt hat, liefert die Antwort: Bei einem Bündnis von SPD und Grünen sind insbesondere fünf Konfliktfelder auszumachen, bei einer Koalition aus CDU und Grünen sind es neun. Allerdings liegen Christdemokraten und Grüne bei weiteren acht Sachthemen nicht allzu weit auseinander, eine Einigung scheint hier möglich. Die Zahlen besitzen deswegen eine große Aussagekraft, weil sie sich aus den Einzelmeinungen der allermeisten Direktkandidaten dieser drei Parteien zusammensetzen. Von den SPD- und CDU-Bewerbern um ein Abgeordnetenhausmandat haben sich jeweils 86 Prozent am Kandidaten-Check beteiligt, von denen der Grünen waren es 82 Prozent. Dies sind die Konfliktfelder und Gemeinsamkeiten bei den Koalitionskonstellationen:

 

SCHWARZ-GRÜNE KOALITION / GRÜN-SCHWARZE KOALITION:

zur Auflistung aller Kandidaten-Check-Thesen im Wortlaut (pdf)

 

Konfliktstoff dürfte es reichlich geben, sollten sich CDU und Grüne bei Koalitionsverhandlungen gegenübersitzen. Angefangen beim Nachtflugverbot für den Flughafen BBI, über den Rückkauf der Wasserbetriebe bis hin zur Finanzierung von Arbeitsplätzen für Langzeitarbeitslose. Bei etwa einem Drittel der im Kandidaten-Check abgefragten Themen nehmen die Direktkandidaten von CDU und Grünen vollkommen gegensätzliche Positionen ein. Doch ebenso lang ist die Liste der Gemeinsamkeiten: Einigkeit herrscht u.a. bezüglich der Beibehaltung von Gymnasien, beim städtischen Wohnungsbau und der Förderung der alternativen Kulturszene. Schwarz und Grün stimmt sogar bei der Frage überein, ob die letzten beiden Kita-Jahre auch für Gutverdiener beitragsfrei bleiben sollen („Nein“), ein Thema, bei dem die Grünen mit der SPD („Ja“) über Kreuz liegen. Interessant sind vor allem jene Themenfelder, in denen die potentiellen Koalitionäre unterschiedlicher Meinung sind, wo aber eine Einigung durchaus möglich erscheint. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Meinungsbildung noch nicht endgültig abgeschlossen sind und zahlreiche Kandidaten von CDU und Grünen noch unentschlossen sind. Zum anderen sind diese Sachfragen auch parteiintern alles andere als unumstritten. Beispiele:

 

Privatisierungen: Kandidaten-Check-These: Das Land Berlin soll seine Wohnungsbaugesellschaften, die Stadtreinigung BSR, die BVG und die Messe verkaufen. Die Direktkandidaten beider Parteien sind zwar mehrheitlich gegen die Privatisierung städtischer Beteiligungen. Doch während die Grünen den Verkauf beinahe geschlossen ablehnen, sind es unter den CDU-Kandidaten nur etwas mehr als die Hälfte. Mehr als ein Drittel ist in dieser Frage allerdings noch unentschlossen. Update 14.09.2011: Dieser Absatz wurde nach Hinweisen aufmerksamer Leser korrigiert, so dass es nun richtig heißt, dass die Grünen und die meisten Kandidaten der CDU die Privatisierung ablehnen und nicht wie zuvor versehentlich beschrieben befürworten würden. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.

 

Personalabbau im öffentlichen Dienst: Kandidaten-Check-These: Die hohen Schulden lassen keine andere Wahl: Im öffentlichen Dienst muss weiter Personal abgebaut werden. Etwa die Hälfte der Grünen-Kandidaten befürwortet zwar den Personalabbau, der von den CDU-Politikern mehrheitlich abgelehnt wird. Umgekehrt bedeutet dies jedoch: Die übrigen Direktkandidaten der Ökopartei teilen die Position der CDU-Kollegen oder sind in dieser Frage noch unentschlossen. Auch innerhalb der CDU ist das Thema Personaleinsparung nicht unumstritten. Jeder fünfte Christdemokrat ist dafür. Die große Gruppe der Grünen-Kandidaten, die sich für einen Personalabbau im öffentlichen Dienst ausspricht, stellt sich damit übrigens gegen das eigene Wahlprogramm Darin heißt es auf Seite 91 unmissverständlich:

Wir müssen jetzt anfangen, dafür zu sorgen, dass die dann frei werdenden Stellen auch wieder besetzt werden können und der Personalaufbau beginnt. In Tätigkeitsbereichen, deren Funktionsfähigkeit infolge der Personalfluktuation gefährdet ist, müssen schon jetzt gezielt Einstellungskorridore eröffnet werden.

 

Tempo 30: Kandidaten-Check-These: In Berlin soll es weniger Tempo-30-Zonen geben. Für die Grünen ist die Sache klar: Sämtliche Kandidierenden widersprechen dieser These. Innerhalb der CDU ist das Thema umstritten: Gut die Hälfte spricht sich zwar gegen Tempo-30-Zonen aus, jeder Dritte Kandidat liegt hier aber mit den Grünen auf einer Wellenlänge.

 

S-Bahn-Ausschreibung: Kandidaten-Check-These: Sobald wie möglich sollen Teile des S-Bahn-Verkehrs ausgeschrieben werden, so dass sich Konkurrenten der Deutschen Bahn bewerben können. Die allermeisten Direktkandidaten der Grünen sprechen sich für eine Ausschreibung aus. Von den CDU-Politikern sind zwar etwas mehr als die Hälfte dagegen, aber eine Einigung ist durchaus möglich: Denn ein Drittel sieht es so wie die Grünen.

 

Mehr Polizei: Kandidaten-Check-These: Berlin braucht nach Jahren des Stellenabbaus wieder mehr Polizisten. Auffallend ist die große Gruppe der Unentschlossenen unter den Grünen-Direktkandidaten (knapp zwei Drittel). Die CDU ist geschlossen für die Personalaufstockung bei der Polizei.

 

Rauchverbot: Kandidaten-Check-These: In Gaststätten und Kneipen soll es ein generelles Rauchverbot ohne Ausnahmen geben. In beiden Parteien gibt es zwar eine Tendenz in die ein oder andere Richtung (Grüne dafür, CDU dagegen). Allerdings nimmt jeder vierte CDU-Kandidat dieselbe Meinung wie die Mehrheit der Grünen ein. Dort ist immerhin noch jeder sechste Kandidat in dieser Frage noch unentschlossen.

 

NPD-Verbot: Kandidaten-Check-These: Berlin soll sich für ein Verbot der NPD einsetzen. Beide Parteien sind in dieser Frage gespalten. Sowohl bei der CDU als auch bei den Grünen spricht sich die größte Gruppe gegen ein neuerliches Verbotsverfahren aus, allerdings ist auch die Zahl der Unentschlossenen äußerst groß.

 

Migrantenquote: Kandidaten-Check-These: Migranten sind in vielen Bereichen unterrepräsentiert. Daher soll es eine Quote bei Neueinstellungen im Öffentlichen Dienst geben. Die große Mehrheit der CDU-Direktkandidaten ist sich in diesem Punkt einig: Eine Migrantenquote soll es nicht geben. Auch unter den Grünen-Kandidaten spricht sich die größte Gruppe gegen eine solche Quotierung aus, mehr als jeder Vierte ist unentschlossen.

 

ROT-GRÜNE KOALITION

zur Auflistung aller Kandidaten-Check-Thesen im Wortlaut (pdf)

 

Mindestlohn, Tempo 30, Frauenquote im öffentlichen Dienst: Lang ist die Liste der Gemeinsamkeiten zwischen den Kandidaten von SPD und Grünen. Dennoch tun sich fünf Konfliktfelder auf:

 

Kita-Gebühren: Kandidaten-Check-These: Die letzten beiden Kita-Jahre sollen weiterhin auch für Gutverdiener beitragsfrei bleiben. Während die SPD-Kandidaten beinahe geschlossen für die beiden kostenlosen Kita-Jahre auch für Gutverdiener plädieren, sieht es die Mehrheit der Grünen ganz anders. Allerdings teilt bei den Grünen jeder Vierte Kandidat die Position der SPD-Kollegen.

 

Nachtflugverbot am neuen Großflughafen BBI: Kandidaten-Check-These: Am neuen Flughafen Berlin-Brandenburg soll ein strenges Nachtflugverbot von 22 Uhr bis 6 Uhr gelten. Während die Grünen beinahe geschlossen für ein strenges Nachtflugverbot am neuen Großflughafen eintreten, lehnen dieses drei von vier SPD-Kandidaten ab. Anders als die Direktkandidaten der Grünen vermeidet die Partei in ihrem Wahlprogramm übrigens eine Festlegung in Sachen Nachtflugverbot. Auf Seite 72 heißt es:

„Das Recht der betroffenen Menschen in Berlin und Brandenburg auf Schutz vor Fluglärm und auf Erhalt der Nachtruhe – kurzum auf Gesundheit – setzt aber enge Grenzen.“ (...) „Er [Wowereit] hat bewusst verschwiegen, dass sich die Flugrouten und damit die Belastungen ändern werden. Alle Fakten auf den Tisch! Das ist der Ausgangspunkt, um über Lärmschutz und Nachtflugverbot zu reden. Ein transparentes Verfahren wird dafür sorgen, dass alle Akteure den BBI auch unter Betrieb akzeptieren. So wird der Flughafen ein Erfolg für Berlin.“

 

Verlängerung der Autobahn A 100: Kandidaten-Check-These: Die Autobahn A 100 soll von Neukölln nach Treptow verlängert werden. Beim Thema A 100-Verlängerung liegen die Kandidaten beider Parteien weit auseinander. Der Autobahnbau wird von den Grünen geschlossen abgelehnt, auf Seiten der SPD sind drei Viertel der Kandidaten jedoch dafür.

 

Ausschreibung bei der S-Bahn Kandidaten-Check-These: Sobald wie möglich sollen Teile des S-Bahn-Verkehrs ausgeschrieben werden, so dass sich Konkurrenten der Deutschen Bahn bewerben können. Während die Grünen sich beinahe geschlossen für eine Ausschreibung bei der S-Bahn aussprechen, sind zwei Drittel der SPD-Kandidaten dagegen.

 

Rauchverbot Kandidaten-Check-These: In Gaststätten und Kneipen soll es ein generelles Rauchverbot ohne Ausnahmen geben. Gegensätzliche Positionen auch beim Thema Rauchverbot: Hier stehen sich bei SPD und Grünen zwei etwa gleich große Gruppen gegenüber. Von den Direktkandidaten der Grünen sprechen sich zwei Drittel für ein generelles Rauchverbot ohne Ausnahmen aus, beinahe ebensoviele SPD-Kandidaten nehmen die gegensätzlich Position eine.

 

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