Impfpflicht ab 60

Der Gesetzentwurf der überfraktionellen Gruppe Baehrens/Janecek sieht eine Impfpflicht gegen COVID-19 ab 60 Jahren zum 15. Oktober 2022 vor. Zudem beinhaltet er eine Impfberatungspflicht für Personen im Alter zwischen 18 und 60 Jahren, die bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls zu erfüllen ist.

Der Gesetzentwurf wurde mit 296 Stimmen gegen 378 Stimmen abgelehnt. Es gab neun Enthaltungen. Die Regierungsfraktionen hatten im Vorfeld erklärt, keine gemeinsame Linie bei der Abstimmung für ihre Abgeordneten vorzugeben. Es handelte sich demnach um eine Gewissensabstimmung.

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Dafür gestimmt
296
Dagegen gestimmt
378
Enthalten
9
Nicht beteiligt
53
Abstimmungsverhalten von insgesamt 736 Abgeordneten.

Der Abstimmung über den Gesetzentwurf ging eine mehrmonatige Debatte über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in Deutschland voraus. Bereits im Januar 2022 führte der Deutsche Bundestag darüber eine Orientierungsdebatte. Außerdem wurde schon im Dezember 2021 die Einführung einer Impfpflicht für Pflegeberufe beschlossen.

Im Bundestag wurden seitdem verschiedene Entwürfe für die Einführung oder Ablehnung einer Impfpflicht ausgearbeitet. Die meisten Unterstützer:innen fanden dabei ein Entwurf zu einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren und ein zweiter Entwurf zur Impfpflicht ab 50 Jahren. Vor der Bundestagssitzung am 7. April zeichnete sich ab, dass keiner dieser Entwürfe mehrheitsfähig sein würde.

Vor diesem Hintergrund hat der Gesundheitsausschuss am 6. April mehrheitlich für die Zusammenführung der beiden bisherigen Gesetzentwürfe gestimmt. Der neue Gesetzentwurf zur „Pandemievorsorge durch Aufklärung, verpflichtende Impfberatung und Immunisierung der Bevölkerung gegen Sars-CoV-2“ sieht laut Änderungsantrag eine Impfpflicht ab 60 Jahren zum 15. Oktober 2022 vor. Zudem beinhaltet der Entwurf eine Impfberatungspflicht für Personen im Alter zwischen 18 und 60 Jahren, die zum gleichen Datum zu erfüllen ist. Für die dafür erforderte Grundimmunisierung wären drei Impfungen oder zwei Impfungen und eine Genesung notwendig.

Der Bundestag kann der Vorlage zufolge nach Auswertung der Daten des aktuellen Infektionsgeschehens frühestens zum 15. Oktober 2022 auch beschließen, die Immunitätsnachweispflicht auszusetzen oder auf Personen im Alter zwischen 18 und 59 Jahren auszudehnen. Zudem ist der Aufbau eines Impfregisters vorgesehen. Darin könnten erfolgte Impfungen zentral dokumentiert werden.

In der Schlussdebatte warben zahlreiche Redner:innen für ihre Entwürfe zur Impfpflicht. In der emotionalen Debatte warfen sich insbesondere Abgeordnete von SPD und Union gegenseitig vor, einen Kompromiss über Fraktionsgrenzen hinweg verhindert zu haben.

Die SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt warb für eine allgemeine Impfpflicht und den kurzfristigen Kompromissentwurf. Es ginge nicht einmal vorrangig um die derzeitige Lage, sondern um mögliche neue Virusvarianten. Der Bundestag müsse die notwendige Vorsorge treffen, um die Gesundheit der Bürger:innen zu schützen. Sonst müssten notfalls wieder Freiheitseinschränkungen in Kauf genommen werden. Sie kritisierte die Union, sich eines Kompromisses verweigert zu haben. Verhandlungen und Kompromisse seien die Aufgabe verantwortlicher Politiker:innen.

Für Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) kann die vergleichsweise milde Omikron-Variante nicht als Argument gegen eine Impfpflicht angeführt werden. Die Verläufe bei dieser Variante seien auch deswegen milder, weil schon so viele Menschen geimpft seien. Hätte sich niemand impfen lassen, „hätten wir eine lupenreine Katastrophe“, so Lauterbach. Das Land befände sich dann im totalen Lockdown. Mit einer Impfpflicht könne man sich vor einer gefährlicheren Variante schützen und 90 Prozent der Todesfälle verhindern.

Nach Ansicht von Tino Sorge (CDU/CSU) könne „nicht sofort und pauschal“ über eine Impfpflicht entschieden werden. Es komme dafür auf die konkreten Bedingungen an. Bei zurückgehenden Inzidenzen und keiner absehbaren Belastung des Gesundheitssystems könne man nicht abschätzen, welche Corona-Variante im Herbst dominiere und ob der verfügbare Impfstoff dagegen wirke.

Eine Impfpflicht auf Vorrat sei deshalb der falsche Weg. Vorsorge heiße nicht, jetzt pauschal eine Impfpflicht für alle Menschen zu beschließen. Auch eine Pflichtberatung sei zu bürokratisch. Der Antrag der Union liege als Kompromiss seit Wochen vor.

Die CDU-Abgeordnete Nina Warken schrieb die Hauptschuld für die unübersichtliche Situation der Regierungskoalition zu. Sie hätte sich in Gruppenanträge geflüchtet. Die Gefahr, dass am keine Entscheidung stünde, sei damit einhergegangen. „Das war ein falsches Signal“, so Warken.

Wolfgang Kubicki (FDP) warb für eine selbstbestimmte Entscheidung der Bürger:innen für oder gegen die Impfung. Kubicki betonnte, dass er es problematische finde, wenn der Eindruck entstünde, dass Argumente weniger auf Evidenz basierten als „auf dem unbedingten Willen, die eigene Position durchzusetzen“. Mit einer Impfpflicht werde eine Herdenimmunität nicht erreicht, so Kubicki. Eine gefährlichere Virusvariante im Herbst sei zudem nicht das wahrscheinlichste Szenario.

Prof. Dr. Andrew Ullmann der FDP-Fraktion, der im Vorfeld für eine verpflichtende Impfberatung und Impfpflicht ab 50 geworben hatte, setzte sich für den als Kompromiss ausgearbeiteten Gesetzentwurf ein. Das Ziel dahinter sei, Vorsorge zu treffen, damit es keinen dritten Corona-Winter gebe und Freiheiten zurückgewonnen werden könnten.

Der Bündnis 90/Die Grünen-Abgeordnete Dr. Janosch Dahmen verteidigte die Entscheidung, das ursprüngliche Konzept mit einer Impfpflicht ab 18 Jahren über eine Impfpflicht ab 50 Jahren bis hin zu einer verpflichtenden Impfung ab 60 Jahren zu ändern. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf sei vernünftig, wirksam und rechtssicher.

Dr. Alice Weidel (AfD) wies alle Versuche zur Einführung einer Impfpflicht als untauglich und unangemessen zurück. Wenn eine Regierung sich anmaße, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrheit nach Belieben zu verbiegen, handele sie verfassungsfeindlich, die Impfpflicht sei deshalb gar „eine totalitäre Anmaßung, eine Entwürdigung des Individuums.“

Martin Sichert (AfD) kritisierte, die verantwortlichen Politiker:innen hätten die Bürger:innen belogen, da vor der Bundestagswahl das Versprechen abgegeben wurde, dass es keine Impfpflicht geben werde.

Dr. Sahra Wagenknecht (Die Linke) argumentierte gegen eine Impfpflicht. Die Impfstoffe schützten nicht vor Infektionen, schwere Verläufe seien selten geworden, Krankenhäuser seien nicht überlastet. Deshalb vermutete sie, dass die Unterstützer:innen des Antrages den Bürger:innen eine Impfpflicht aufzwingen wollten, „weil der Kanzler Durchsetzungsfähigkeit demonstrieren muss.“ Außerdem wolle der Gesundheitsminister sein Gesicht wahren. Sie forderte, die Menschen nicht länger zu „bevormunden“.

Der Bundestag stimmte zeitgleich über einen CDU/CSU-Antrag zu einem Impfvorsorgegesetz, Antrag einer Gruppe um den Abgeordneten Kubicki zur Erhöhung der Impfbereitschaft ohne Impfpflicht und AfD-Antrag gegen eine allgemeine Impfpflicht ab.