Frage an Alexandra Thein bezüglich Verbraucherschutz

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Alexandra Thein
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Frage von Michael H. •

Frage an Alexandra Thein von Michael H. bezüglich Verbraucherschutz

Liebe Frau Thein,

ich habe auf Ihrem Profil bei twitter gesehen, dass Sie sich gegen das von-der-Leyen-Gesetz zu Zugangs-Sperren von kinderpornografischen Internet-Webseiten auf den Domain-Name-Servern einsetzen. Da ich davon ausgehe, dass Sie als Rechtsanwältin und Notarin keine rechtsfreien Räume wollen, warum sind Sie gegen diesen Gesetzentwurf? Was wollen Sie statt dessen tun?

Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort, Michael Hilmer

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Lieber Herr Hilmer,

Kinderpornografie, bei welcher der Missbrauch von Kindern in Bild oder Film wiedergegeben wird, ist ein verabscheuungswürdiges Verbrechen, welches unheilbare Wunden an Seele und Körper der missbrauchten Kinder hinterlässt. Dieses Verbrechen muss hier und auf der ganzen Welt konsequent und effektiv bekämpft und so weit wie irgend möglich unterbunden werden.

Wir müssen daran arbeiten, internationale Erfolge bei der Bekämpfung von Kinderpornografie weiter auszubauen. Defizite bestehen in Deutschland bei der personellen und sachlichen Ausstattung der Polizeibehörden, insbesondere auch bei der Ausstattung mit Informationstechnologie. Verbesserungen brauchen wir auch im Bereich der Prävention: Eine Kultur des Wegschauens darf es nicht geben, sondern jeder, der Hinweise auf Kindesmissbrauch hat, muss ermutigt werden, dies zur Anzeige zu bringen. Hier sind Eltern, Schulen, Kindergärten, Ärzte und Jugendämter ebenso gefordert wie die Gesellschaft insgesamt.

Wichtig ist in unserer Zeit der Globalisierung auch die immer engere internationale Kooperation im Kampf gegen Kinderpornografie. Hier geht es nicht zuletzt um die Verbesserung der internationalen Rechtshilfe mit Ländern, bei denen heute noch Defizite in diesem Bereich bestehen. Wenn heutzutage etwa eine Bank eine so genannte „Phishing“-Webseite, die ihre Bankkunden betrügt, identifiziert und die Bank diese Phishing-Webseite der Polizei meldet, wird die betreffende Phishing-Webseite in der Regel binnen Stunden im Wege internationaler Kooperation der Polizeibehörden abgeschaltet, wo auch immer der betreffende Web-Server in der Welt steht. Und vor allem wird gegen die Täter ermittelt. Was hier möglich ist, das muss auch im Kampf gegen Kinderpornografie möglich sein. Nach Erkenntnissen aus anderen Ländern befindet sich übrigens die weit überwiegende Zahl der betreffenden Server in den Vereinigten Staaten, in Europa (insbesondere in Deutschland selbst) und in Australien. Rechtshilfe zwischen diesen Ländern ist besonders gut möglich und Erfolg versprechend.

Den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des deutschen Telemediengesetzes mit dem irreführenden Namen „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen“ lehne ich hingegen in der Tat ab.

Dieser Gesetzentwurf sieht nichts anderes vor als eine Pflicht für die deutschen Internet-Zugangs-Provider – also die Telekommunikationsunternehmen, welche Ihnen gegen Bezahlung eine Verbindung Ihres Computers zum Internet ermöglichen –, ihre eigenen jeweiligen Domain-Name-Server – also ihre „Telefonbücher des Internet“ –, zu manipulieren. Diese Domain-Name-Server sollen alle Aufrufe von Domain-Namen, die sich auf einer ihnen jeden Tag vom Bundeskriminalamtes (BKA) übermittelten geheimen Liste befinden, nicht auf ihre eigentliche IP-Adresse im Internet weiterleiten, sondern auf eine IP-Adresse des Bundeskriminalamtes umleiten. Dort sieht der Nutzer dann ein Stopp-Schild und seine Daten werden protokolliert.

Dieser Gesetzentwurf wird dem Ziel nicht gerecht, Missbrauch von Kindern und die Darstellung des Missbrauchs zu verhindern. Er legt einen Mantel des Wegschauens über kinderpornografische Inhalte im allgemein zugänglichen Teil des Internet für solche Nutzer, die das „Telefonbuch“ eines deutschen Zugangs-Providers benutzen, was sich obendrein ganz leicht umgehen lässt.

Den Hauptverbreitungsweg kinderpornografischen Materials, sogenannte Peer-to-Peer-Netzwerke, erreicht der Gesetzentwurf schon von vornherein nicht.

In jedem Fall lässt er kinderpornografische Inhalte selbst und die Täter unangetastet und wendet sich nur an die Nutzer. Er nimmt im Ergebnis von den Polizeibehörden den Druck, etwas gegen die Täter zu unternehmen, weil letztere eben weniger öffentlich sichtbar sind.

Der deutsche Gesetzentwurf stellt mit seiner Manipulation am internationalen System der Domain-Name-Zuordnung einen gewaltigen nationalen Eingriff Deutschlands in die Freiheit der internationalen Informationsgesellschaft dar, sowie aus verfassungsrechtlicher Sicht in die Telekommunikationsfreiheit, die Informations- und Meinungsfreiheit sowie die allgemeine Handlungsfreiheit.

Er birgt in sich noch größere Risiken bezüglich künftiger solcher Eingriffe in der Zukunft.

Es fehlen in dem Gesetzentwurf jegliche Vorgaben für ein rechtsstaatliches Verfahren, um zu überprüfen, welche Web-Inhalte sich überhaupt auf den geheimen Listen des BKA befinden. Von den geplanten Sperrungen wären zweifellos auch legale Internetseiten erfasst. Berichte über „durchgesickerte“ derartige Listen in anderen Ländern legen dar, dass dort oft weniger als zehn Prozent der erfassten Seiten tatsächlich strafbare Kinderpornografie überhaupt enthalten haben, die restlichen neunzig Prozent betrafen legale Seiten.

Darüber hinaus gibt es schon jetzt zahlreiche Rufe, auch andere Internetinhalte wie etwa Glücksspiel, Internet-Tauschbörsen oder politischen Radikalismus auf jene geheimen, nicht überprüfbaren BKA-Listen zu setzen. Leitbild dieser Entwicklung ist ein Internet, in dem eine Polizeibehörde ohne jegliche rechtsstaatliche Kontrolle tagesaktuell entscheidet, was die Bürger im Internet sehen dürfen und was nicht. Hier gilt es den Anfängen zu wehren.

Außerdem würde mit dem polizeilichen Speichern der Zugriffsversuche auf „gelistete“ Webseiten eine Vorverlagerung der Strafermittlung erfolgen, die hunderttausende von absolut unschuldigen Menschen zu Verdächtigen machen würde. Allein der Umstand, dass eine Internetadresse angeklickt wird, würde zum Anlass für Ermittlungen – z.B. wegen Kinderpornografie – genommen. Damit würde sich jeder Internetnutzer schon der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen, wenn er eine ihm noch nicht bekannte Internet-Adresse aufruft, da er nicht wissen kann, ob diese Adresse selbst gelistet ist oder ob diese auf eine gelistete Adresse automatisch weiterleitet. Ein polizeiliches Speichern von Webseitenaufrufen wäre nicht nur ein Frontalangriff auf die freie Kommunikation im Internet, sondern zugleich ein Überwachungsinstrument, mit dem die Nutzung des Internet allgemein massiv beeinträchtigt würde.

Im Übrigen ist mit Blick auf den föderalen Aufbau Deutschlands auch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Gefahrenabwehr bei der Verbreitung von Kinderpornografie mehr als zweifelhaft. Gefahrenabwehr obliegt den Ländern, die in diesem Bereich hervorragende Arbeit leisten. Auch die Regulierung von Medieninhalten liegt in der Zuständigkeit der Länder, wohingegen der Bund nur für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Telemedien zuständig ist. Es sprechen gute Gründe für die Annahme, dass der Gesetzentwurf schon aus diesem Grunde unsere Verfassung verletzt.

Auch aus politischer Perspektive lehne ich eine Ausweitung der Befugnisse des BKA im Bereich der Gefahrenabwehr ab.

Selbstverständlich müssen Straftaten, die im oder mittels des Internets begangen werden, konsequent verfolgt werden. Staatliche Maßnahmen zu diesem Zweck müssen aber sinnvoll und zweckmäßig sein und sich an den geltenden rechtsstaatlichen Vorgaben messen lassen.

Das Internet ist nur ein Kommunikationsmedium wie der gute alte Brief. Niemand käme auf die Idee, zum Beispiel die Deutsche Post AG für einen möglicherweise strafbaren Inhalt der von ihr transportierten Briefe verantwortlich zu machen, oder aufgrund eines Generalverdachts gegen alle Briefkastenbesitzer die für sie bestimmten Briefe systematisch zur Kontrolle öffnen zu lassen.

Mit freundlichen liberalen Grüßen,

Ihre Alexandra Thein

PS: Empfehlenswert zum Thema sind zum Beispiel aus dem Wochenmagazin „DIE ZEIT“ die Analyse „Von der Leyens unseriöse Argumentation“ von Lutz Donnerhacke, http://www.zeit.de/online/2009/20/kinderpornografie-fakten , und der Essay „Kampf der Kulturen“ von Ralf Bendrath, http://www.zeit.de/online/2009/18/internet-sperren-kulturkampf