Frage an Andrea Wicklein bezüglich Gesundheit

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Andrea Wicklein
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Frage von Hajo A. •

Frage an Andrea Wicklein von Hajo A. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Wicklein,

nachdem in den letzten Jahren nur kleine "Reförmchen" das marode Gesundheitswesen nicht wirklich zukunftsweisend verbessert haben, bleibt abzuwarten, ob die geplanten Veränderungen ab dem 01.01.2009 wirklich im Sinne des Bürgers gestaltet wurden. Bereits 1996 wurde der Wettbewerb unter den gesetzlichen Kassen eingeführt, der keine nennenswerten Vorteile für die Versicherten brachte. Einzelne haben für Mitgliederwerbung profitiert, honoriert mit einem Fahrrad oder Wellnessweekend auf Kosten der Versichertengemeinschaft. Beitragsstabilität konnte nur durch immer weitere Leistungskürzungen erreicht werden! Die Versorgung ist im gleichen Zeitraum zusätzlich schlechter geworden. Zu wenig Ärzte in unserer Region, mit entsprechender Wartezeit auf Termine. Nur mit der richtigen Versicherungskarte (Privatpatient), scheint Kunde Vorteile zu geniessen. Damit zu meiner ersten Frage. Was wird von Ihrer Seite/von Seiten der Politik unternommen, um einer immer weiter fortschreitenden 2-Klassenmedizin entgegen zu wirken? Rentner zahlen den allgemeinen Beitragsatz, obwohl für Personen ohne Krankengeldanspruch der ermässigte Beitragssatz anzusetzen ist. Bitte erklären Sie mir, wie das möglich ist?
Ab 1. Januar fällt für freiwillige Versicherte der Krankengeldanspruch weg und kann dann über eine teure Zusatzversicherung (PKV) oder einen Wahltarif bei der Krankenkasse versichert werden. Gerade kleine Unternehmer benötigen diese Absicherung, wenn Sie alleine einen Betrieb oder mit wenigen Angestellten führen. Warum wird vielen Selbständigen dieses Standbein der sozialen Absicherung genommen? Arbeitnehmer die keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben (tägliche Aushilfen etc.), finanzierten bisher den erhöhten Beitragssatz und erhielten bei Arbeitsunfähigkeit sofort Krankengeld. Nach meinen Informationen wird der erhöhte Beitragssatz mit der Gesundheitsreform gestrichen. Wie wird das zukünftig für diese Personen geregelt?

Freundliche Grüße
Hajo Achtmann

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Achtmann,

entschuldigen Sie bitte die späte Antwort auf ihre Anfrage zur Gesundheitsreform. Da sie sehr spezielle Fragen gestellt hatten, habe ich mich umfassend informiert.

Vor der Gesundheitsreform standen die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) im Wettbewerb, indem die Mitglieder ihre Krankenkasse weitgehend frei wählen und diese auch wieder verlassen konnten. Die Krankenkassen mussten sich bemühen, durch einen günstigen Beitragssatz für möglichst viele Mitglieder attraktiv zu sein. Das geschah dadurch, indem die Krankenkassen vor allem möglichst viele gesunde und gut verdienende Mitglieder anwarben und die Versorgung der kranken und chronisch kranken Versicherten vernachlässigten. Aus diesem Grund gibt es seit 1994 den sogenannten Risikostrukturausgleich (RSA), der die finanziellen Auswirkungen der von den Krankenkassen nicht beeinflussbaren Unterschiede ihrer Risikostrukturen ausgleichen sollte. Dieser Risikoausgleich war jedoch nicht so gerecht und zielgenau. Und veranlasste die Kassen, ausschließlich den Wettbewerb um junge, gesunde und gutverdienende Menschen ("gute" Risiken) zu führen. Deshalb wurde mit der letzten Gesundheitsreform ein neuer, gerechterer und zielorientierter Risikostrukturausgleich eingeführt und darüber hinaus durch die gleichzeitige Einführung des Gesundheitsfonds wesentlich vereinfacht.

Mit Einführung des Gesundheitsfonds zahlen alle Beitragszahler den gleichen Beitragssatz. Damit gelten -- wie in der gesetzlichen Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung schon heute -- einheitliche Beitragssätze auch in der GKV. Durch die einheitliche Finanzierung aller Krankenkassen über den Gesundheitsfonds entfällt künftig eine Differenzierung in Zahler- und Empfängerkassen. Zur Versorgung ihrer Versicherten erhält eine Krankenkasse für jeden von ihnen aus dem Gesundheitsfonds eine Grundpauschale sowie Zu- und Abschläge zum Ausgleich des nach Alter, Geschlecht und Krankheit unterschiedlichen Versorgungsbedarfs.

Die zwischen den Krankenkassen unterschiedlich verteilte Krankheitsbelastung ihrer Versicherten wird hierüber gezielt ausgeglichen. Krankenkassen mit einer hohen Zahl überdurchschnittlich kranker Versicherter haben daher künftig keine Nachteile im Wettbewerb mehr.

Beitragsstabilität nur durch Leistungskürzungen? Auch hier hat die jüngste Gesundheitsreform (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) den Leistungskatalog der GKV nicht eingeschränkt, sondern dort, wo es notwendig ist, ausgebaut: Medizinische Rehabilitationsleistungen, von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlene Schutzimpfungen und Mutter-/Vater-Kind-Kuren sind Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenkassen. Häusliche Krankenpflege wird auch in Wohngemeinschaften oder neuen Wohnformen sowie in besonderen Ausnahmefällen in Heimen als Leistung gewährt. Bei ambulanten Geburten im Geburtshaus zahlen die Krankenkassen einen Betriebskostenzuschuss.

Bezüglich ihrer Kritik am Ärztemangel, kann ich Ihnen versichern, dass der Gesetzgeber auf Initiative der SPD-Fraktion auf die in den letzten Jahren artikulierte Unzufriedenheit der im ambulanten Bereich tätigen Ärztinnen und Ärzten mit einer Verbesserung der Rahmenbedingungen der Arbeits- und Vergütungssituationen reagiert hat. Die Sicherung der Attraktivität des Arztberufs insbesondere als Perspektive für die Nachwuchsmedizinerinnen und -mediziner ist ein wichtiges Anliegen der SPD-Fraktion. Die Versorgungssituation bei den niedergelassenen Ärzten ist nicht mit einem Satz zu beschreiben. Einerseits gibt es derzeit in Deutschland mehr berufstätige Ärzte als jemals zuvor, insbesondere die Zahl der Fachärzte ist in den vergangenen Jahren erheblich angestiegen. Andererseits unterscheidet sich die Versorgungssituation in städtischen Ballungsgebieten ganz erheblich von der in strukturschwachen Randgebieten der Flächenländer. Unsere Aufgabe wird in Zukunft sein, die Ärzte dahin zu bewegen, wo sie tatsächlich gebraucht werden.

Zur 2-Klassenmedizin möchte ich Ihnen sagen, dass wir eines der leistungsfähigsten Gesundheitssysteme weltweit besitzen. Dennoch enthält unser System immer noch Strukturelemente, die nicht mehr zeitgemäß und allenfalls historisch zu erklären sind, wie z.B. die Trennung in eine private und gesetzliche Krankenversicherung. Leider gibt es aufgrund dieser Teilung oftmals auch einen 2-Klassen-Service in unserem Gesundheitssystem, wie beispielsweise bei Wartezeiten in Arztpraxen. Eine systematisch schlechtere medizinische Behandlung von gesetzlich Versicherten gegenüber privat Versicherten gibt es allerdings nicht. Dennoch sind schon diese Serviceunterschiede nicht zu rechtfertigen. Deshalb hat der Gesetzgeber auch hier mit verschiedenen gesetzlichen Maßnahmen eingegriffen (z.B. neue Vertragsmöglichkeiten für Krankenkassen, die einen Facharztzugang innerhalb einer bestimmten Frist garantieren).

Grundlegend sind wir Sozialdemokraten aber davon überzeugt, dass nur eine Bürgerversicherung diese Unterscheidung in private und gesetzliche Krankenkasse wirksam beenden kann. Deshalb setzen wir uns für eine solidarisch finanzierte Bürgerversicherung ein, die allen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes versichert und das Prinzip wahrt, dass starke Schultern mehr tragen sollen als schwache. Für eine effiziente, solidarische und hochwertige Gesundheitsversorgung brauchen wir viel mehr einheitliche Bedingungen und Regeln für alle Versicherungen, egal ob privat oder gesetzlich, damit die Versicherten möglichst viele Wahlmöglichkeiten haben.

Die Frage, wieso Rentner den allgemeinen Beitragssatz zahlen, erklärt sich aus dem bewährten Prinzip, dass in der GKV alle Beitragszahler für alle Leistungen -- unabhängig von der möglichen Inanspruchnahme der Leistung -- aufkommen. So zahlen selbstverständlich auch GKV-versicherte Männer für Leistungen in der Schwangerschaft, die sie selbst nicht in Anspruch nehmen können -- analog hierzu erbringen die aktiven Versicherten den Großteil der Beitragsanteile für versicherten Rentnerinnen und Rentner. Im Jahre 2002 haben die Krankenkassen für jeden Rentner im Durchschnitt 3.907 EUR aufgewandt. Ihre durchschnittlichen Beitragseinnahmen je Rentner beliefen sich dem gegenüber auf lediglich 1.716 EUR. Damit deckten die Beitragszahlungen der Rentner 2002 knapp 44 Prozent ihrer Leistungsausgaben. Deshalb würde das Solidarprinzip außer Kraft gesetzt, wenn man forderte, dass jede Altersgruppe die auf sie entfallenden Gesundheitskosten selbst aufbringt. Solidarität ist vielmehr gegenseitiges Geben und Nehmen.

Für freiwillig versicherte Selbstständige gilt seit dem 1. Januar 2009 der ermäßigte Beitragssatz von 14 Prozent, statt des allgemeinen Beitragssatzes in Höhe von 14,6 Prozent. Sie haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Krankengeld. Die GKV sind jedoch verpflichtet Wahltarife anzubieten. Bei der Ausgestaltung dieser Krankengeldwahltarife durch die Krankenkassen hat sich jedoch gezeigt, dass es erforderlich ist, die gesetzlichen Vorgaben zur Vermeidung von ungerechtfertigten Belastungen der Versicherten und zur Verwaltungsvereinfachung anzupassen. Diese Nachjustierung soll im Zuge der aktuellen Novellierung des Arzneimittelgesetzes, an welchen zurzeit gearbeitet wird, erfolgen.

Gerne informiere ich Sie über kommende Entwicklungen und verbleibe bis dahin mit freundlichen Grüßen.

Andrea Wicklein