Frage an Andreas Schockenhoff bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Andreas Schockenhoff
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Frage an Andreas Schockenhoff von Markus S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Schockenhoff,

mit Interesse verfolgte ich Ihre heutige Ausführung zur Rolle der Bundesrepublik, der NATO und der Missile Defense.

Im Verlaufe Ihrer Rede bezogen Sie sich auf die Bedrohung durch den Iran, die kein Popanz sei. Sie gaben sinngemäß kund, dass der Iran nach einer Atomwaffe strebe. Als Beleg führten Sie nicht näher bezeichnete Publikationen der IAEA an. Dazu folgende Fragen:

1. Welche Angaben meinen Sie genau? Sie können die Kenntnis der veröffentlichten Dokumente bei mir voraussetzen. Ich habe die Unterstellung eines Waffenprogramms nuklearer Art nirgendwo gefunden, auch nicht im Novemberbericht und nicht in dem aus dem Februar dieses Jahres.

2. Wie stehen Sie zu den Aussagen Leon Panettas, Ehud Baraks, James Clappers und Ronald Burgess´, dass der Iran gar keine Entscheidung getroffen habe, überhaupt eine Atomwaffe zu bauen? Wie stehen Sie zu den Aussagen Clinton Bastins, der selbst an der Wasserstoffbombe baute, dass der Iran kein Waffenprogramm besitze? Wie stehen Sie zur gleichgearteten Aussage des ehemaligen britischen Vertreters bei der IAEA, Peter Jenkins? Lügen die allesamt?

3. Wie stehen Sie zur Fatwa Khomeneis gegen den Besitz und die Anwendung von Atomwaffen und deren Bestätigung durch Khamenei während seiner Ansprache vor Nukleartechnikern? Darin bezeichnete er das Streben nach und den Besitz von Atomwaffen als schwere Sünde (haram). (Und nein, das Konzept der Taqqiya bezieht sich ausdrücklich nicht auf Fatwas.)

4. Wie stehen Sie zur Verantwortung des Westens, genau das abzulehnen, was Obama eigentlich als erforderlich bezeichnet hatte: den Swap-Deal 3,5%-LEUs gegen 19,75%-LEU, wie er in der Übereinkunft von Iran, Türkei und Brasilien vereinbart worden war? Warum wurde diese einmalige Chance in einem "Meisterstück politischer Verblödung" (Mohamed ElBaradei: "The Age of Deception", p. 312) zunichte gemacht?

Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort.

Mit freundlichem Gruß

Markus Söderling

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Sehr geehrter Herr Söderling,

vielen Dank für Ihre Fragen, auf die ich gerne detailliert eingehe:

Im Jahr 2002 wurden iranische Nuklearanlagen und Beschaffungs­aktivitäten aufgedeckt, die Iran entgegen seinen Verpflichtungen im Rahmen des Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen der Internationalen Atom­energie-Organisation (IAEO) nicht gemeldet hatte. Aufgrund dieser Geheimhaltung, der Auslegung des iranischen Nuklearprogramms (etwa das Bemühen um Urananreicherung ohne erkennbaren zivilen Bedarf) und umfangreicher, für die IAEO plausibler Hinweise auf eine militärische Dimension entstand der Verdacht, Iran betreibe ein geheimes Atomwaffenprogramm.

Seither haben der IAEO-Gouverneursrat und der VN-Sicherheitsrat Iran wiederholt völkerrechtlich verbindlich aufgefordert, bis zur Wiederherstellung des Vertrauens die sensitiven Aktivitäten, wie etwa die Urananreicherung und die Vorarbeiten zur Gewinnung von waffenfähigem Plutonium, auszusetzen sowie alle Fragen zu klären, die auf ein mögliches Nuklearwaffenprogramm deuten. Iran erfüllt diese Verpflichtungen nicht.

Seit 2003 bemühen sich Deutschland, Frankreich und Großbri­tannien um eine diploma­tische Lösung. Seit 2006 sind die USA, China und Russland ebenfalls mit dabei. Diese sechs Länder, darunter die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, verfolgen gemeinsam einen zweigleisigen Ansatz: Einer­seits bieten die sie Iran für ein Einlenken weit reichende Koope­ration an; so haben sie im Juni 2006 bzw. Juni 2008 Iran umfas­sende Angebotspakete unterbreitet. Aufgrund der anhaltenden irani­schen Blockadepolitik wird andererseits seit 2006 aber auch der Sanktionsdruck im Rahmen der Vereinten Nationen und der EU erhöht, um Iran wieder an den Verhand­lungstisch zu bewegen.

Die IAEO ist immer besorgter hinsichtlich einer möglichen militäri­schen Komponente des iranischen Nuklearprogramms. Unter Miss­achtung der Sicherheitsrats- und IAEO-Resolutionen reichert Iran seit Februar 2010 Uran auf 20% an (bis Mitte Februar 2012 ca. 110 kg), womit 90% der Anreicherungsleistung bis zum waffenfähigen Grad erfolgt sind. Der IAEO werden uneingeschränkte Inspektionen der Produktion verweigert, sie kann lediglich überprüfen, ob Iran das gemeldete Nuklearmaterial friedlich verwendet. Zudem wird der Schwerwasserreaktor in Arak weitergebaut, der der Herstellung des alternativen Waffenmaterials Plutonium dienen könnte. Die IAEO kann hier keine Proben nehmen.

Bei den letzten Verhandlungen der E3+3 mit Iran im Januar 2011 ging die iranische Delegation nicht auf den Vorschlag ein, im Rahmen eines Stufenplans praktische Schritte zu ergreifen, die das Vertrauen in die ausschließlich friedliche Natur seines Nuklear­programms wiederherstellen könnten. Im Februar 2012 scheiterte eine IAEO-Mission nach Teheran wegen der unnachgiebigen Hal­tung Irans. Es konnte keine Einigung über die Modalitäten zur Klä­rung der offenen Fragen zum iranischen Nuklearprogramm erzielt werden.

Die Gespräche mit dem Iran sind mittlerweile wiederaufgenommen worden. Die Initiative ging erneut von den E3+3 aus.

Es ist richtig: Dem Iran ist bislang kein Nuklearwaffenprogramm nachzuweisen. Experten sind sich jedoch einig, dass Iran an einer Ausbruchsoption arbeitet, also die technischen Voraussetzungen schaffen will, bei einer entsprechenden politischen Entscheidung schnell eine Kernwaffe bauen zu können. Zahlreiche Indizien, die die IAEO als glaubwürdig einschätzt, weisen auf eine solche militärische Dimension des iranischen Nuklearprogramms hin, u.a.:

· Seit 2002 wurden wiederholt vom Iran geheim gehaltene Nuklearanlagen und Beschaffungsaktivitäten aufgedeckt (etwa 2009 die tief verbunkerte Urananreicherungsanlage in Qom). Es ist nicht auszuschließen, dass es neben den mitt­lerweile aufgedeckten Nuklearanlagen ein weiterhin geheim laufendes Atombombenprogramm gibt.

· Für das zu 20% angereicherte Uran hätte Iran keinen zivilen Verwendungszweck. Aber Iran gewinnt dadurch Expertise für eine eventuelle spätere Anreicherung zu waffenfähigem Uran (90%).

· Iran baut in Arak an einem Schwerwasserreaktor, der der Pro­duktion des alternativen Waffenmaterials Plutonium dienen könnte. Für eine zivile Nutzung würde ein Leichtwasserreaktor genügen.

· Die IAEO verdächtigt den Iran zudem, an einem nuklearen Sprengkopf zu arbeiten.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Andreas Schockenhoff